Aufstand in Berlin. Heinz-Joachim Simon
Читать онлайн книгу.zu sein.
„Hier wurde eine interessante Frage aufgeworfen. Wovor wird die Skulptur auf dem Pariser Platz warnen?“
Die Preminger stellte Singer kurz vor. Der Künstler nahm mit einem unwilligen Blick zur Kenntnis, dass er es mit dem Mann seiner Gesprächspartnerin zu tun hatte, verbeugte sich leicht und murmelte etwas.
Helen hauchte Singer einen Kuss auf die Wange und hakte sich bei ihm unter.
„Schade, dass du so spät kommst. Es war ein wahnsinnig interessantes Gespräch“, rief sie und warf Schanek einen bewundernden Blick zu.
„Wir haben uns sehr angeregt unterhalten“, bestätigte der Künstler. „Ich beneide Sie um Ihre Frau. Ich habe nur wenige kennengelernt, die so fundiert über Kunst sprechen können.“
„Hört, hört!“, kommentierte die Preminger mit ironischem Lächeln.
„Meine Frau versteht sich auf so etwas“, antwortete Singer trocken.
„Was bedeutet nun die Hand?“, wiederholte die Preminger ungeduldig ihre Frage. Es schien ihr nicht besonders zu gefallen, dass ihr Star und Helen so voneinander angetan waren.
„Es ist eine Mahnung, das Wesentliche nicht zu vergessen.“
„Das Wesentliche“, hauchte Helen beeindruckt.
„Und was ist das Wesentliche?“, fragte Singer und erntete sowohl von der Preminger als auch von Helen einen vorwurfsvollen Blick.
„Das Leben.“
„Ich verstehe“, sagte Singer und hoffte, dass dies stimmte.
Auf Michelangelos Bild spendete Gott Leben, und Schanek wollte mit der Hand wohl ausdrücken, dass dies ein Geschenk war und dass man bewusster leben sollte. Jedenfalls reimte Singer sich dies so zusammen und fand nun die Skulptur sinnvoller als manche, die bereits in der Stadt standen.
„Woraus ist Ihre … … Plastik?“, fragte er den Künstler.
„Plastik? Natürlich aus Bronze. Wir haben die Hand in Mailand gegossen. Nur in Mailand findet man die Leute, die so etwas machen können. Es wird die größte freistehende Figur sein, die in diesem Jahrzehnt aufgestellt wurde.“
Er sagte dies mit einem Pathos, als verkünde er ein neues Zeitalter und so verstand er es wohl auch.
Schanek war ein großer stämmiger Mann mit struppigem, rötlichem Haar, einem Schnauzer und roten Augen. Auf den ersten Blick sah er nicht unsympathisch aus. Es war sein Sendungsbewusstsein, die Überzeugung von der eigenen Wichtigkeit, die ihn so unerträglich machten.
„Und die Hand ist wirklich so wie Michelangelo sie gemalt hat?“, fragte Helen vor Bewunderung ganz aufgeregt.
„Es ist original die Hand des göttlichen Funkens. Eins zu eins. Nur vergrößert. Thiel gefiel die Idee.“
Dies schien den Wert des Kunstwerks zu verdeutlichen. Damit war es eine bedeutende Schöpfung. Helen und die Preminger nickten eifrig.
„Du arbeitest ja oft mit Thiel zusammen“, sagte die Preminger, um noch einmal zu unterstreichen, welch bedeutenden Künstler sie vertrat.
„Ich war sein Meisterschüler. Wir sprechen die gleiche Sprache“, antwortete er. „Die gleiche Vibration, du verstehst?“
„Es muss aufregend sein, mit ihm zu arbeiten“, hauchte die Preminger.
„Er ist ein Großer“, bestätigte Schanek. „Vielleicht sogar der Größte.“
„Er bekommt fünfhunderttausend Euro pro Auftrag“, ergänzte die Preminger.
„Natürlich ist er ein Medienprodukt“, wiegelte nun Schanek ab. „Du verstehst, was ich damit sagen will.“
Singer hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Helen dagegen schien im Bilde zu sein.
„Mehr kann man nicht erreichen“, sagte sie ergriffen.
„Michelangelos Hand wird meinen Anspruch sichtbar machen. Ein Brückenschlag zu den alten Meistern. Genau so absolut.“
„Genauso absolut“, wiederholte Helen.
Singer schämte sich für sie. Sie war einmal anders gewesen. Selbstbewusst und kritisch. Sie hatte es früher nicht darauf angelegt, anderen zu gefallen. Er erinnerte sich an ihre erste Begegnung. Helen studierte an der Kunstakademie. Im Café Zuntz auf dem Kurfürstendamm hatten sie sich kennengelernt. Helen hatte am Nebentisch gesessen und ihn auf seine bewundernden Blicke hin angelächelt. So banal hatte es begonnen. Noch am gleichen Abend waren sie miteinander ins Bett gegangen. Seine Freunde hatten ihn um diese Schönheit sehr beneidet und er war sehr stolz auf sie gewesen. Ihre blonden Haare trug sie damals so kurz wie ein Junge. Als sich herausstellte, dass sie aus sehr begüterter Familie war, die den Singers kaum nachstand, war dies kein Nachteil gewesen. Es stand sehr früh fest, dass sie heiraten würden. Schon wenige Jahre nach der Hochzeit endete die Zeit der heiser geflüsterten Liebesschwüre. Ihre Beziehung glitt ins Fahrwasser verlässlicher Kameradschaft. Dies ließ sie jahrzehntelang eine gute Ehe führen. Sie war immer noch schön. Noch immer sahen die Männer sie mit glitzernden Augen an.
Auch Schanek schien von ihr sehr angetan zu sein. Es stimmte Singer traurig, dass sie ihm jetzt so töricht vorkam. Er zuckte zusammen, als Helen begeistert aufschrie, nachdem Schanek gesagt hatte, dass seine Skulptur in der kommenden Nacht aufgestellt werden würde.
„Nachts? Das ist ja irrsinnig geheimnisvoll.“
„Hat aber ganz profane Gründe. Tagsüber würde es den Verkehr Unter den Linden und die Anreisenden vor dem Adlon zu sehr stören. Der Regierende Bürgermeister wird auf jeden Fall dabei sein, natürlich auch einige vom Senat und der Vertreter des Bundestagspräsidenten.“
„Ein großer Bahnhof“, sagte die Preminger andachtsvoll. „Direkt vor der Akademie der Künste. Dort wo Speer einmal sein Büro hatte.“
„Seit Breker hat sich niemand an eine solche Arbeit herangewagt“, sagte Schanek selbstzufrieden.
„Ein wichtiger Augenblick für dich“, huldigte ihm die Grauäugige.
„Ja, es werden eine Menge Pressefritzen kommen. Sogar der Stern, die FAZ, die Welt und der Spiegel wollen jemanden schicken. Natürlich ist auch der Tagesspiegel da und die gesamte Berliner Presse.“
„Sogar der Stern?“, wiederholte Helen und hielt sich die Hand vor den Mund.
„Das hast du mir noch nicht gesagt“, schmollte die Preminger.
„Ist das wichtig für dich?“, fragte Schanek und zwinkerte Helen zu.
„Ach, du bist ein Schlimmer. Natürlich weißt du, wie wichtig es für mich ist“, sagte die Preminger und schlug mit ihrer langen Perlenkette nach Schanek. Der große Künstler lachte und drückte sie an sich und die Grauäugige ließ es sich gickernd gefallen.
„Du hoffst doch nur, dass der Stern auch etwas über deine Galerie bringt.“
„Natürlich. Ich weiß, was wir tun werden“, legte die Preminger aufgeregt los. „Wir veranstalten hier vor der Einweihung eine kleine Party und gehen dann später auf den Pariser Platz. Ich lade alle Freunde der Kunst ein.“
„Und die Journalisten, nicht wahr?“, unterbrach Schanek sie lachend.
„Natürlich. Ich klemme mich morgen früh sofort ans Telefon. Du musst mir die Namen der Journalisten geben, die ihr Kommen zugesagt haben. Es wird Taittinger geben und kleine Häppchen aus dem KaDeWe. Du wirst sehen, sie werden sich wohl fühlen und begeistert sein.“
„Wann wird denn dieses wundervolle Werk aufgestellt?“, fragte Helen.
„So um zwölf.“
„Na prima, „ freute sich die Preminger. „Wir feiern anschließend auf dem Pariser Platz weiter. Wir werden Champagner mitnehmen.“
„Ich würde mich freuen, wenn Sie und natürlich auch Ihr Mann