Aufstand in Berlin. Heinz-Joachim Simon

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Aufstand in Berlin - Heinz-Joachim Simon


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Wahl, wenn er nicht unhöflich erscheinen wollte.

      „Du musst auch den Bürgermeister einladen. Unbedingt. Und natürlich auch die vom Senat und den Vertreter des Bundestagspräsidenten. Er selbst kann leider nicht kommen, weil er eine Delegation aus Israel für wichtiger hält, dieser Schmock.“

      „Beyer? Ach, ich mag diesen Sozi eigentlich nicht. Ich verstehe gar nicht, warum der so beliebt ist. Aber lustig ist er. Keine Feier ohne Beyer heißt es doch in Berlin. Du hast recht, ich muss ihn hierher bekommen. Er kauft zwar bei Herkner am Kurfürstendamm. Wahrscheinlich haben die auch das rote Parteibuch. Alles was im Roten Rathaus hängt, hat er von Herkner. Wie oft habe ich ihn schon eingeladen, immer hat er sich entschuldigen lassen. Ich bin halt keine Berlinerin.“

      „Diesmal wird er vielleicht kommen. Setz deinen Charme ein. Ich habe noch keinen Mann erlebt, der dann nicht schwach wurde.“

      „Du entsetzlicher Mensch, du“, lachte die Preminger und hing sich wieder bei ihm ein. „Ist er nicht entsetzlich?“, fragte sie Singer und strich dabei dem Künstler über die Schulter.

      „Was zahlt man dir für die Hand?“, fragte sie leise.

      Schanek spitzte den Mund und drehte sich um. Natürlich sahen alle zu ihnen herüber – die Frauen mit eifersüchtigen Augen und der Frage im Gesicht, warum sie nicht dazu gehörten.

      „Zweihunderttausend“, flüsterte Schanek. Er flüsterte so laut, dass es auch der neidische Anhang mitbekam. Die Köpfe neigten sich überall zueinander. Der Geräuschpegel stieg. Irgendwo knallte bestätigend ein Sektkorken.

      „Du bist der Größte“, sagte die Grauäugige. Der Respekt war nicht geheuchelt. Sie war wirklich beeindruckt.

      Auch Helen schloss sich beeindruckt, die Hand an den Mund gelegt, dieser Meinung an. „Noch nie hat die Stadt so viel für eine Skulptur ausgegeben.“

      „Und dabei müssen sie sparen“, verstärkte die Preminger das Lob. „Sie sparen an allen Ecken und Enden. Die Straßen in Berlin sind in einem jämmerlichen Zustand. Es ist ein Wunder, dass sie soviel Geld ausgeschwitzt haben.“

      „Der Regierende hat mir geholfen, die Banausen zu überzeugen.“

      „Der Regierende persönlich?“

      „Wir haben es im Borchardt ausbaldowert. Die Kirsten hat mir sehr geholfen.“

      „Wo hat die nicht ihre Finger drin?“, fragte die Grauäugige eifersüchtig. „Aber ihre Talkshow wird immer schlechter. Sie muss jetzt die Teilnehmer schon mit dem Lasso einfangen, wenn sie die in ihre Sendung kriegen will.“

      Singer verglich das, was er gerade hörte, mit Jonas‘ Träumen. Er wünschte, er wäre in Szandors Bierstube geblieben. Demonstrativ sah er auf die Uhr und warf Helen einen bezeichnenden Blick zu. Helen schüttelte den Kopf.

      „Mich wundert, dass Rolli noch nicht da ist“, hielt sie das Gespräch in Gang. Singer kannte Rolli nur aus den Magazinen, die Helen las und die bei ihnen herumlagen. Rolli war der Friseur der Reichen und Schönen, auf jeden Fall der Prominenten. Er frisierte die Kirsten und natürlich alle, die sich danach sehnten, ihre Haare von den gleichen Händen befummeln zu lassen, die das Haupt der Kirsten verschönten. Natürlich gehörte Helen zu seinen begeisterten Kundinnen.

      „Er konnte nicht kommen“, erklärte die Grauäugige. „Er hat mich höchstpersönlich angerufen. Leider, leider hat er einen wichtigen Termin.“

      „Wahrscheinlich muss er in irgendeiner Talkrunde sein Gesicht in die Kamera halten“, sagte Schanek ungnädig.

      „Jeder will ihn haben“, verteidigte Helen ihren Friseur.

      „Jeder. Aber er ist ja auch so klug.“

      „Sind Sie eigentlich mit Thomas Singer verwandt?“, fragte die Preminger Eugen Singer, unvermittelt das Thema wechselnd.

      „Eigentlich nicht. Nicht wirklich. Er ist der Stiefsohn meines Onkels“, gestand Singer zögernd.

      „Man hört über ihn ja allerhand.“

      „Was denn?“, fragte Singer mäßig interessiert.

      „Er soll eine silberne Nase haben. Wenn Sie verstehen, was ich meine.“

      „Er hat Geld genug“, sagte Singer gelangweilt. Er hatte auch davon gehört, aber gab nichts auf das Gerede.

      „Du solltest es deinem Onkel stecken, damit er sieht, was für ein Früchtchen er großgezogen hat“, sagte Helen.

      „Er weiß, wer und was sein Stiefsohn ist.“

      Dann wandte man sich anderen Themen zu und hechelte wieder die Berliner Prominenz durch. Berlin hatte längst München als Stadt der Reichen und Schönen, auf jeden Fall der Berühmten abgelöst.

      „Wir müssen jetzt wirklich gehen. Ich habe morgen einen schweren Tag“, unterbrach er schließlich die Preminger, die nun davon erzählte, welcher Schauspieler es mit wem trieb.

      Nachdem er mit einem Blick zu Helen auf die Uhr getippt hatte, war diese, wenn auch widerstrebend, bereit zu gehen.

      Als sie draußen auf dem Boulevard waren, stellte sie schalkhaft lächelnd fest, dass er sich diesmal offenbar gut amüsiert hatte.

      „Die Preminger wich dir ja heute nicht mehr von der Seite.“

      „Sie war die Gastgeberin. Ich konnte sie ja schlecht wegscheuchen.“

      „Du machtest nicht den Eindruck, dass du dich belästigt gefühlt hast.“

      „Hör doch auf, ich habe weiß Gott andere Sorgen“, antwortete er unwillig, aber nicht zu unfreundlich. Er musste ihr noch beibringen, dass er nicht mit ihr nach Hause fahren würde.

      „Ich weiß“, antwortete sie. „Breitschmidt hat mich angerufen.“

      Sie gingen zum Adlon hinüber, in dessen Garage ihr Wagen geparkt war. Als gute Gäste des Hauses und gegen ein entsprechendes Trinkgeld war der Portier gern bereit, ihnen diesen Service zu bieten.

      Verdutzt blieb Singer auf dem Mittelstreifen stehen.

      „Was wollte er von dir?“

      „Er sagte mir, dass du Dummheiten machst und dass ich dich davor bewahren könne. Sag einmal, stimmt das? Du provozierst Breitschmidt eventuell zu einem Rauswurf?“

      „Das ist seine Version.“

      Er erzählte ihr, was der Aufsichtsratsvorsitzende von ihm verlangt und wie er darauf reagiert hatte. Er verschwieg ihr auch nicht, wie ungeheuer erleichtert er sich durch seine Entscheidung fühlte. Er rechnete nicht damit, dass sie seine Haltung verstand, seinen Entschluss, für seine Überzeugung ein Ende seiner Karriere in Kauf zu nehmen. Vor dem Adlon angekommen, kam der Portier eilig die Treppe herunter.

      „Ihren Wagen, Herr Singer?“, fragte er eifrig. Singer nickte.

      „Manchmal bist du wirklich seltsam!“ sagte Helen, ohne den Portier zu beachten, der zurück ins Hotel eilte, um die Garage anzurufen.

      „Seltsam?“

      „Ja, um nicht verrückt zu sagen. Was heißt das, der Job macht dir keine Freude mehr?“

      „Ich will nicht mehr. Jedenfalls nicht unter diesen Bedingungen. Ich werfe nicht fünfzigtausend Leute hinaus.“

      „Es machen doch alle. Auch Vater hat dies bereits tun müssen. Du wirst die Welt nicht verändern. Wir haben in den guten Zeiten zu viel Fett angesetzt. Nun gilt es den Gürtel enger zu schnallen.“

      „Wir?“, fragte er süffisant.

      „Midlife crisis“, stieß sie ärgerlich hervor. „Ein typischer Fall von verspäteter Midlife crisis.“

      „Unsinn. Musst du immer alles in deine Chi–chi–Kästchen tun?“

      „Sei nicht unhöflich“, antwortete sie bestimmt, als spräche sie mit einem ungeduldigen kleinen Jungen.


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