Sexy Zeiten - 1968 etc.. Stefan Koenig

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Sexy Zeiten - 1968 etc. - Stefan Koenig


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Ihre Eltern?“

      Wir erschraken. Joachims Vater kannte mich, weil ich hin und wieder bei ihnen zu Hause war, um Joachim in Physik und Chemie bei den Hausaufgaben zu helfen. Dafür half mir Joachim in Bio, wo er ein ausgesprochenes Ass war. Vererbungslehre.

      „Oh, Herr Stiglmaier, ja, äh, also wir sind auf dem Heimweg. Zu Fuß. Die Tram. Also, wir haben die letzte Tram verpasst.“

      „Wo ward ihr denn zu so später Stunde?“

      „Wir kommen von der Kiesgrube. Mörfelden …“

      „Na, da habt ihr ja auch ein Verbot übertreten. Da ist doch Baden gar nicht erlaubt.“

      „Wir haben da nur gesonnt und am Abend ein Feuerchen gemacht.“

      „Feuer machen ist dort auch nicht erlaubt.“

      „Äh … nur kurz. Wir hatten es nur ganz kurz an. Und wir haben es nicht allzu heiß werden lassen.“

      Jetzt musste Joachims Vater lachen. Er verwarnte uns kurz und sagte, er sehe über eine Unterrichtung unserer Eltern hinweg. Wir sollten uns hier aber nicht mehr zu so später Stunde sehen lassen und überhaupt.

      „Das ist auch gefährlich, weil sich eine Menge Kriminelle auf der Kaiserstraße herumtreiben.“

      Das stimmte wohl.

      1966 war die Mainmetropole berüchtigt und Westdeutschlands Kriminalitätshochburg. Neun Jahre zuvor hatte Frankfurt durch den Mord an der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt bundesweit traurige Schlagzeilen gemacht. Sie hatte Kontakte zu hohen Tieren, und man munkelte, dass wohl deshalb ihr Fall nie aufgeklärt werden konnte. Der alltägliche Ganoven-Brennpunkt aber lag genau hier, rund um den Hauptbahnhof.

      Für unsere Clique war diese anrüchige Gegend gerade deshalb irgendwie fesselnd und reizvoll und bot Stoff zu allerhand Räubergeschichten. Vielleicht wollten wir Jungs auch mal Zuhälter und unsere Weiber unsere Pferdchen werden. Das wäre ein Abenteuer! Auch Hanna bekam hier große Augen, denn wir Jugendliche hatten so etwas wie in den hiesigen Schaufenster-Auslagen noch nie gesehen. Ich sollte mich erst zwei Jahre später wieder in dieses Milieu wagen. Solange jedenfalls hielt der Schreck an, den uns Joachims Bullenvater eingejagt hatte.

      *

      Am Sonntag war eigentlich Familientag. Früher, als Kind, war das sehr oft ein recht angenehmer, schöner Tag, jedenfalls kein langweiliger Tag gewesen. Jetzt aber empfand ich den Sonntag als langweilige Bürde. Hanna und ich mussten lange und viel reden, um unseren Eltern das Einverständnis zum Treffen von uns beiden am Mainufer abzuringen. Wir mieteten uns von unserem spärlichen Taschengeld ein Boot und paddelten den Main bis nach Mühlheim hinauf. Unterwegs erspähten wir ein kleines Inselchen, das mit Gebüsch dicht bewachsen war.

      Auf dem Rückweg legten wir dort eine Pause ein. Da wir keine Decke mit hatten, zogen wir hinter den Büschen unsere Klamotten aus und legten uns nackt darauf. Es war eine geniale Einladung zum Liebkosen und zu Sexspielchen. Der gestrige Nachhauseweg hatte uns wohl beide scharf gemacht. Aber die immer noch ausstehende Entjungferung unterließen wir aus gutem Grund, stattdessen brachte mich Hanna auch so zum Sprudeln. Ich empfand, dass ich sie trotz sanfter Klit-Massage vernachlässigt hatte, was sie vehement bestritt, und sie sagte: „Hast du nicht gehört, wie ich gestöhnt habe?“ Ich hatte nix gehört. Ich hatte allerdings mitbekommen, dass sie – wie auch ich – in gewisser Anspannung unsere Außenwelt durch das Dickicht sorgsam beobachtete, um nur nicht selbst beobachtet zu werden.

      Am Montag gingen wir wieder brav zur Schule. Ich lernte etwas über Wahrscheinlichkeitsrechnen, und Hanna schrieb Bestnoten in Französisch. Ich rechnete mir auf höchst mathematische Weise die Wahrscheinlichkeit aus, ob und wann ich es schaffen würde, meine Liebste zur echten Frau zu machen. Leider lief das Ergebnis auf Null hinaus. Vielleicht hatte ich mich verrechnet, hoffte ich. Aber eine Kontrollrechnung unterließ ich. Ich weiß nicht, was Hanna dachte, als sie eine Eins nach der anderen in Französisch einfuhr. Jedenfalls hatte sie es wirklich drauf. Ich konnte es seit der letzten Bootsfahrt bestätigen.

      *

      Anfang des Jahres 1966 hatte die Bundesregierung, die ihren Nachkriegssitz noch in Bonn hatte, das US-Blutvergießen in Vietnam ausdrücklich gut geheißen und unterstützt. Diese völlig unchristliche und unkritische Kriegsbefürwortung befeuerte die pazifistische Bewegung. Eine bislang unbeachtete Kleinpartei von ausgeschlossenen und ausgetretenen Sozialdemokraten gewann an Bedeutung, die DFU, die Deutsche Friedens-Union. Sie warb mit meinem Vorbild, Albert Schweitzer, den ich seit der Grundschule sehr verehrte. Er war ein wahrhaft christlicher Samariter, hatte uns die Grundschullehrerin in Religion gelehrt. Was sie uns verschwiegen hatte – er protestierte seit Ende der 50er-Jahre öffentlich und sehr resolut gegen die Gefahr eines Atomkrieges und forderte den Verzicht auf Versuchsexplosionen, weil die Streuung atomarer Partikel rund um die Welt die Gesundheit der Völker gefährde.

      Gut möglich, dass die Grundschullehrerin Angst vor der Reaktion der Eltern hatte, wenn sie Schweitzer an die Seite der Ostermarschierer und jugendlichen Protestbewegung gerückt hätte. Denn alles, was zur Außerparlamentarischen Opposition zählte, war so etwas wie Vaterlandsverrat. Oder zumindest „vom Osten gesteuert“.

      Die DFU-Leutchen, bieder in Anzügen gekleidet, verteilten Flugblätter vor den Unis und den Schulen. In einem Flugblatt stand auch etwas über das „tödlichste Waffensystem für unsere Soldaten“. Gemeint war der vom CSU-Chef Strauß beschaffte Bundeswehr-Jagdbomber mit dem kitschigen Sciencefiction-Namen Starfighter. Vom Volksmund bekam er die Namen Witwenmacher und Fliegender Sargnagel. Bei Übungsflügen stürzten insgesamt 269 Maschinen ab und 116 Starfighter-Piloten starben „in Friedenszeiten“.

      Trotz dieser tödlichen Pannen ließ der urkonservative, bayrisch-soziale Christ aus Imagegründen die Maschinen noch volle zwei Jahre weiterfliegen, in denen weitere Abstürze passierten. Franz-Josef Strauß wollte seine persönliche Panne nicht eingestehen. Man munkelte schon damals über die „besonderen und pikanten Beziehungen“ des CSU-Verteidigungsministers zur Rüstungsindustrie des Ruhrpotts.

      Das sozialdemokratisch dominierte Ruhrgebiet prosperierte dank dieser Waffenschmieden, die sich aus der Energie der Kohle und dem gewonnenen Eisen der Stahlindustrie speisten. Später warb der CSU-Chef, ein kapitalistischer Obertrickser, genau diese milliardenschwere Industrie mit Steuerbefreiungsversprechen und Landgeschenken hinter dem Rücken der Restrepublik ab und krempelte auf diese schmierige Weise das Bayernländle vom Kuhmilchland zum industrieträchtigen Rüstungsstandort um. Der Ruhrpott hatte das Nachsehen und verödete. Uns Schüler erschütterten solch politische Nachrichten im Wirtschaftswunderland schon, die Mädels gewiss auch – aber sie waren mehr auf dem Trip, sich ihre Rechte als junge Frauen zu erstreiten.

      Die Altersgruppe, der ich angehörte, hatte noch nicht das ganze umfassende Umgestaltungsprogramm auf dem Schirm, das bereits in studentischen Ausschüssen und Arbeitsgruppen bundesweit erarbeitet wurde. Uns Blutjungen fehlte noch Wissen – und uns fehlte Erfahrung. Wir sollten sie in den kommenden zwei Jahren zuhauf machen.

      Erfahrung machten wir auch mit dem billigen Teil der meinungsbildenden Presse, also mit der massenmeinungsmanipulierenden BILD-Zeitung. Mitte Juli 1966 hatten folgende Überschriften die Titelseite geziert: * Bei Spatzenjagd selbst erschossen * Sex-Idol, Frankreichs Filmstar Brigitte Bardot (31), und Deutschlands Playboy Nr. 1, Gunther Sachs (33), haben geheiratet. Im Film heißt sie weiter Bardot * Lasst Deutsche zu Deutschen! * Massenmörder tötete 8 Mädchen. Nur eine entkam dem Hünen. Nach der Mordnacht konnte die überlebende Schülerin die Polizei alarmieren. Dann bekam sie Schreikrämpfe und brach zusammen. *

      In der Schule sollten wir solche Überschriften analysieren. Mein Resultat: Das ist Verdummung pur. Ich behielt seitdem die Springerpresse im Auge. Gelegentlich holte mein Vater die BILD, und ich las sie mit den Augen des jungen, unerfahrenen Kritikers, und siedelte diese Pamphlet-Zeitung zwischen kurios, lächerlich und politisch jugendgefährdend ein.

      Mein Vater lachte über die BILD und nahm sie als bloße Unterhaltung. Doch


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