Bürde der Lust. Waldemar Paulsen

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Bürde der Lust - Waldemar Paulsen


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eine große Herausforderung für dich, könnte ein Baustein zum Oberkommissar sein, bist ja langsam mal fällig.“

      „Fällig hin, fällig her. Weshalb hast du Hauptkommissar Weber oder Oberkommissar Ahlers nicht mit dem Fall beauftragt?“

      „Bitte lass solche Fragen!“, jammerte Wiese und setzte eine Leidensmiene auf.

      „Du weißt doch selbst, dass die so einen komplexen Fall nicht packen. Die kann man nur als Müllfresser für die Kleinkriminalität gebrauchen. Bleibt aber unter uns!

      Und noch was, Max.

      Um neun kommt ein Kommissarsanwärter von der Polizeischule, der hier sein Praktikum im dritten Semester absolvieren soll. Ich hatte die Wahl zwischen einer Kollegin und eben diesem Mann. Ich habe mich diesmal für den Mann entschieden, gibt vielleicht weniger Probleme. Er heißt Anton Meyer und ist 34 Jahre alt. Nimm ihn an die Hand, kannst ihn wahrscheinlich gut gebrauchen.“

      Max Herbst nickte und ging wortlos mit gesenktem Kopf in sein Büro. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass Dieter Wiese ja nur noch zwei Jahre bis zur Pensionierung in den Ruhestand benötigen würde. Welch eine Freude.

      Während Herbst die aktuellen Tageszeitungen las, klopfte es kräftig an seiner Bürotür. Ein Blick auf die Wanduhr zeigte ihm, dass es bereits neun Uhr fünfzehn war.

      „Herein!“, rief Max Herbst.

      Forsch wurde die Tür aufgerissen und mit zackigem Schritt stürmte ein junger Mann herein. Er baute sich mit ausgestrecktem Arm vor Max auf und schüttelte ihm überschwänglich die Hand zum Gruß. Max wechselte widerwillig den Händedruck, der ein unangenehmes Gefühl bei ihm auslöste.

      Er mochte das ewige Händeschütteln mit Menschen, die ihm fremd waren oder mit denen er nicht intim war, nicht besonders. Er konnte die Körperpflege dieser Personen nicht beurteilen. Immer wieder hatte Max auf der Herrentoilette und auch anderswo festgestellt, dass ihre Hygiene mangelhaft war. Entweder wuschen sie sich nicht die Hände, wenn sie vom großen Geschäft oder Pinkeln kamen oder sie fummelten sonst wo herum. Zum Beispiel in den Zähnen oder am Arsch und reichten dann ganz selbstverständlich ihre ungewaschene Hand. Sie bezeichneten das Händeschütteln dann kurioser Weise als besondere Wertschätzung dem anderen gegenüber.

      Nein, das war nicht Max Herbst Welt.

      Er liebte diesbezüglich die Skandinavier und Amerikaner, die bei einer täglichen oder gelegentlichen Begegnung lediglich ein lässiges He oder Hello von sich gaben.

      Die Person, die Max das morgendliche Unbehagen bereitet hatte, war um die dreißig Jahre alt, hatte eine wallende weizenblonde Mähne und einen kleinen Oberlippenbart.

      Besonders auffällig war die enge knallrote Lederhose, kombiniert mit hochhackigen Westernstiefeln und einer beigen Lederjacke mit langen Fransen an den Ärmeln. Das Oberhemd war fast bis zum Bauchnabel geöffnet und um den Hals baumelte eine goldene Kette mit einem Kreuzanhänger.

      Der junge Mann schien in billigem After Shave gebadet zu haben.

      Der Geruch des penetranten Rasierwassers stieg Max Herbst in die Nase und füllte innerhalb kürzester Zeit den gesamten Raum.

      „Jetzt kommen die Luden schon unangemeldet zur Tür herein“, dachte der Kriminalist bei sich im Stillen.

      „Moin! Anton Meyer, 34 Jahre alt. Kannst ruhig Toni zu mir sagen.

      Ich bin der neue Praktikant. Ledig, dynamisch und momentan noch erfolglos, ha, ha. Wird sich hoffentlich bald ändern, ha, ha.

      Seit einem Jahr bei der Bullerei. War vorher einige Jahre als Global- Player unterwegs.

      Mann, was bin ich froh, hier aufräumen zu dürfen“, stellte sich der junge Mann glucksend vor.

      Aua, dachte Max Herbst, der für einen Moment fassungslos war.

      „Ja, dann nehmen Sie mal Platz“, sagte Max und wies dem forschen jungen Kollegen den Bürostuhl an dem ihm gegenüber liegenden Schreibtisch zu, während er seine rechte Handfläche automatisch zweimal an seiner Hose rieb.

      „Ich nehme Ihr Angebot an und nenne Sie Toni, aber das Duzen lassen wir vorerst einmal“, sagte Max mit befehlsgewohnter Stimme, dessen Klang den Praktikanten zusammenfahren ließ.

      „Mein Name ist Herbst, Max Herbst, Ihr Ausbilder für die nächsten sechs Monate.

      Vorab, Toni… Ihre Kleidung gefällt mir nicht. Dieses Outfit können Sie in der Freizeit tragen oder wenn Sie später einmal als Verdeckter Ermittler im passenden Milieu tätig sein sollten, aber nicht in Ihrer jetzigen Funktion. Sie sehen wie ein Heiermannlude aus.

      Also, morgen anders! Und noch etwas, Toni... Merken Sie sich das.

      Wer viel redet, erfährt nichts. Sie sollen neugierig sein, einfach kritisch. Sehen Sie den Vernehmenden direkt in die Augen, denn Sie sind der Spiegel der Seele. Verharren Sie einen Moment dabei, dann kommen Sie der Lösung näher.

      Hören Sie erst einmal geduldig zu, werten Sie die Aussagen und gehen Sie dann zum Gegenangriff über. Das nennt man kriminalistische List.

      Unser Grundsatz ist, dass alles, was hier geschieht, topsecret behandelt wird, damit wir uns verstehen.

      Und noch eines, Toni! Wenn Sie Ihren Aal wässern wollen, überall, aber nicht hier auf dem Kiez! Haben wir uns verstanden?

      Außerdem, Herr Meyer, das mit dem Aufräumen lassen Sie erst einmal, können Sie eh nicht beurteilen, wo es wie Sinn macht. Jetzt sind Sie eingenordet. Ich hoffe, Sie enttäuschen mich nicht.“

      Nachdenklich setzte sich Toni mit eingezogenem Hals und starrer Miene auf den ihm zugewiesenen Platz vor den Schreibtisch.

      „Toni, wir haben ein ordentliches Stück Arbeit vor uns. Ich ermahne Sie! Wir arbeiten momentan an einer äußerst sensiblen Angelegenheit und alles hier unterliegt der Geheimhaltung, der totalen Verschwiegenheit. Jegliche Auskunft darüber geht ausschließlich über mich, damit wir uns verstanden haben! Ist das klar, Toni? Wenn Sie indiskret sind, feuere ich Sie und Sie können auf dem Jungfernstieg den Straßenverkehr regeln.

      Ich rede immer Tacheles!“, war der Kommentar, den Max im Befehlston an seinen neuen Praktikanten richtete.

      Mit einem kühlen Lächeln antwortete Toni Meyer:

      „Ja…, ist ja schon gut, natürlich, selbstverständlich, das ist aber harter Tobak hier“, murmelte Toni und sah dabei verlegen auf die Tischplatte.

      Max hatte den Eindruck, dass die hastige Antwort von Toni mehr der Oberflächlichkeit, als einer verinnerlichten Überzeugung in der Sache gedient war.

      „Holen Sie bitte als erstes einmal eine Tatort- und Ermittlungsakte von unten aus dem Wachraum. Der Stafettenfahrer soll sie soeben als Eilsache überbracht haben. Dann sehen wir weiter.“

      „Okay, Befehl verstanden. Ich geh dann mal“, sagte Toni und verließ mit hängenden Schultern das Büro.

      Max war froh, für einen kurzen Moment allein zu sein und in Ruhe über seinen neuesten Fall zu grübeln.

      Wenn man einen Mord hat, gibt es auch ein Motiv dafür, aber was könnte das sein?

      Könnte man den Täter typisieren? Man bräuchte ein Täterprofil. Weshalb musste gerade dieses Opfer daran glauben? Würden weitere folgen?

      Max wusste es nicht.

      Doch es war schon wieder vorbei mit Ruhe.

      „Hier ist die Akte“, rief Toni viel zu laut und stürmte freudestrahlend ins Büro.

      „Nun will er wohl auch noch ein Lob für den fehlerfreien Botengang haben“, dachte Herbst. Ein sehr spezieller Kollege.

      „Lesen, und dann möchte ich als erstes wissen, wie das Opfer tatsächlich heißt. Sabrina wird mit Sicherheit nur ihr Hausname sein“, bemerkte Herbst.

      „Nee, der Name der Leiche ist nicht bekannt. Wusste dort keiner. Am Tatort waren nur noch die Bardame Biene Schmidt und


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