Bürde der Lust. Waldemar Paulsen

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Bürde der Lust - Waldemar Paulsen


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müssen uns den Tatort noch einmal ganz genau ansehen“, sagte Herbst.

      „Bevor wir in das Bordell fahren, erteilen Sie bitte der KTU den schriftlichen Auftrag, dass ein Daktyloskop in der Rechtsmedizin während der Obduktion Fingerabdrücke an der Leiche sichert. Die werden dann in Hamburg und im Bundeskriminalamt in Wiesbaden durch die Maschine gejagt.

      Mal sehen, vielleicht liegen identische Abdrücke mit Personendaten vor.“

      Toni, zu dessen Stärke Taktgefühl nicht unbedingt gehörte, sagte:

      „Warum wird denn so ein Aufwand betrieben, nur wegen einer Nutte? Wenn ein Mann seine Hand in deren Keksdose steckt, weiß sie genau, worauf sie sich ein lässt. Dann soll sie doch auch die Konsequenzen tragen.“

      „Ich höre wohl nicht recht“, erwiderte Max, der seinen Blick starr mit bestimmender harter Stimme geradeaus auf Toni gerichtet hatte.

      Max wusste, dass dieser Praktikant eine besondere Herausforderung für ihn werden sollte.

      „Vergreifen Sie sich nicht im Ton, Herr Meyer. Und außerdem möchte ich die Bezeichnung „Nutte“ in diesem Haus nicht mehr hören. Es sind Prostituierte, Dirnen oder von mir aus Huren. Lassen Sie sowohl dieses geringschätzige Wort als auch Ihre Einstellung zu solchen Personen.“

      Max hätte es noch eine Spur derber ausdrücken können, unterließ es aber zu diesem frühen Zeitpunkt. Toni sollte sich erst einmal die Hacken ablaufen.

      „Entschuldigung, wird erledigt, Chef“, ruderte Toni nach einigen Minuten des Schweigens zurück und setzte sich mit eingeschnapptem Gesicht auf seinen Platz.

      Kapitel 4

      Es war der Vormittag eines warmen, sonnigen Tages, als Toni um 13:00 Uhr den zivilen Dienst-Pkw, einen Ford Granada in braun mit schwarzem Vinyldach, direkt vor dem Bordell in der Bernsteinstraße 14 in Hamburg- Blankenese parkte.

      Die in diesem Stadtteil befindliche Immobilie lag in einer Durchgangsstraße im Villenviertel Blankenese` s, wo ausschließlich die vermögenden und reichen Bürger der Hansestadt eines ihrer Domizile hatten.

      Trotz diverser Bürgerinitiativen war es den Bewohnern des Stadtteils bislang nicht gelungen, die Behörden von der Schließung des Bordells zu überzeugen.

      Das Bordell sah ansprechend und prachtvoll aus. Von außen zeugte nichts darauf hin, dass dort der Lust gefrönt wurde. Der vermögende Bauherr hatte es Ende des neunzehnten Jahrhunderts als Chalet in Deutschland gebaut, wo er sich gelegentlich aufgehalten hatte und Geschäftsfreunde empfing, obwohl er hauptsächlich in Übersee wohnte, bevor er starb.

      Über Beziehungen war es Karl-Heinz Bis gelungen, die Immobilie von den Erben zu erwerben. Bis hatte 30 Prozent des Kaufpreises in bar gezahlt, die restliche Summe war die Hypothek, die er bei seiner Hausbank finanzierte. Den Barbetrag konnte Kalle Bis locker aus dem Ärmel schütteln, nachdem er zum Zeitpunkt des Erwerbs zwei hohe Versicherungssummen ausgezahlt bekam. Es waren die Gelder von zwei Lebensversicherungsgesellschaften, die zu seinen Gunsten von zwei seiner damaligen Dirnen abgeschlossen worden waren.

      Die Frontdiseusen waren bei einem Verkehrsunfall und einem Fenstersturz aus der achten Etage eines Wohnhauses ums Leben gekommen. Trotz akribischer, kriminalpolizeilicher Ermittlungen gelang es nicht, Fremdverschulden bezüglich der Todesfälle nachzuweisen. Die Versicherungen hatten zu zahlen.

      Die Außenmauern der Immobilie waren aufwändig im Fachwerkstil der damaligen Zeit mit hundertjährigen Eichenbalken und hart gebrannten Rotklinkerziegeln gebaut worden. Die zur Front gerichteten Fenster waren eher klein. Zwischenzeitlich hatte man die dünnen Glasscheiben durch Butzenscheiben ersetzt. Die grünen Fensterläden aus Eichenholz mit deutlicher Patina-Anhaftung versehen, wurden jeweils bei beginnender Dämmerung geschlossen.

      Innen hatte Karl-Heinz Bis zusätzlich schwere, rote Samtvorhänge anbringen lassen, die stets zugezogen waren, sodass man nicht ins Innere des Gebäudes sehen konnte.

      Das Dach war reetgedeckt und passte zum Stil der umliegenden Immobilien. Es machte jedoch einen ungepflegten Eindruck. Seit Jahren hatte man versäumt, es zu kämmen. Durch ständigen Schatten der nahestehenden Kastanienbäume und Regenschlag hatte sich ein starker Moosbefall gebildet, der die Feuchtigkeit im Ried hielt, das dadurch verrottete.

      Dieses Etablissement hatte Priorität eins in der honorigen, hanseatischen Männerwelt.

      Sie alle liebten die Abgeschiedenheit von dem Rotlichtmilieu, die gewisse Anonymität, die für sie entscheidend war.

      Dort konnten die Hanseaten nach einem harten Arbeitsalltag oder Familienstress ihren Gelüsten freien Lauf lassen, ihre phantasievollen Vorlieben ausleben und für Stunden ein anderer Mensch sein.

      Die Damen des Hauses waren ausnahmslos aparte, gepflegte hübsche Geschöpfe mit ausgezeichneten Manieren. Es gab unter ihnen welche, mit denen eine anspruchsvolle Konversation durchaus möglich war.

      Je nach Mentalität trieben die Freier Sado-Maso-Spiele oder vergnügten sich mit griechischen, französischen, englischen, russischen, Natursekt- oder weiteren Sexpraktiken bei den Dirnen, die sie für Stunden mieteten.

      Einige wenige unter ihnen standen auf blutjunge Prostituierte, andere wiederum suchten nur das Gespräch. Es waren dann hauptsächlich Männer, deren Testosteron Spiegel bereits an dem unteren Level angelangt war. Das Milieu nannte sie deshalb Seibelfreier.

      Materielle Dinge spielten bei all diesen Freiern wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Sie alle wollten den ultimativen Kick, um damit ihre Batterien aufladen zu können, damit die täglichen Pflichten sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause in einem erträglichen Maß ausgehalten werden konnten. Sie waren nun einmal gestresste Manager mit hoher Verantwortung, die es zu kanalisieren galt…

      „So, Toni, nun kommen Sie. Mal sehen, was der Lude Bis uns zu sagen hat“, forderte Herbst seinen Praktikanten auf.

      Als Antwort kratzte sich Toni plötzlich ausgiebig am Kinn und rieb sich den Hinterkopf.

      Irgendwie ungewöhnlich, was für ein komischer Vogel, dachte Max Herbst, dem das seltsame Verhalten nicht entgangen war.

      In der mächtigen Eingangstür aus Eichenholz befand sich auf Augenhöhe eine kleine Klappe, die zur Gesichtskontrolle der Gäste diente, wenn es dem Türsteher draußen zu kalt wurde. Neben der Tür entdeckte Herbst eine auffällige Türklingel.

      Der Bereich war durch eine mannshohe Rotbuchenhecke verdeckt. Unterhalb der Klingel war ein weiterer, winziger Klingelknopf zu sehen, der kaum wahrnehmbar war. Es handelte sich um eine Art Alarmknopf für den Türsteher, wenn er vor unliebsamen Gästen warnen wollte.

      Vor Betreten des Bordells war Max aufgefallen, dass Toni nun auch noch ein nervöses Zucken im Gesicht bekam. Max konnte keine Erklärung dafür finden, aber es machte ihn trotzdem stutzig. Konnte das etwa die Aufregung sein, das erste Mal in ein Bordell zu gehen, auch wenn gar kein Betrieb herrschte?

      Max Herbst klingelte dreimal, während Toni hinter ihm stand. Nach einer Weile hörten sie schlurfende Schritte und plötzlich öffnete sich die Türklappe. Herbst sah in das Gesicht eines müden Mannes, der mürrisch fragte:

      „Was wollt ihr? Mit wem habe ich die Ehre, mit wem kann ich rechnen?“

      Max schnappte nach Luft. Diese Fratze hatte auch noch die Frechheit, ihm ins Gesicht zu lügen. Dieser Schleimer. Habe die Ehre… was sollte das? Diese blödsinnige Floskel. Am liebsten hätte er diesem Luden eins auf die Zwölf gegeben.

      Oberflächlich betrachtet hatte Karl-Heinz Bis, genannt Puff-Kalle, eine fast blütenreine Weste. Allerdings war er ein skrupelloser Typ, der über Leichen ging. Man sagte, dass man sich ihm nicht widersetzen sollte.

      Wollte er einen Puff, so sollte man ihm besser gleich den Schlüssel geben. Das war zwar nicht verboten, aber wenn man tiefer sinnierte, konnte man durchaus zu dem Ergebnis kommen: einmal ein Lump, immer ein Lump. Ist halt so.

      Mit äußerster Beherrschung und einem


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