Drei Mädchen am Spinnrad. Fedor von Zobeltitz

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Drei Mädchen am Spinnrad - Fedor von Zobeltitz


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verlegen geworden; unter dem kurz gestutzten schwarzen Schnurrbart vibrierte die Oberlippe. Dummheit, daß er von Göchhusen angefangen hatte! Wie war er nur darauf gekommen? ... Freilich, sie selbst hatte zuerst den Namen genannt – und ohne Befangenheit ... Dennoch: es war unangenehm ... Er wandte sich lächelnd an die Mädchen.

      »Die jungen Damen wohnen natürlich bei der Mama?« fragte er und fühlte sofort die Albernheit der Frage. Er hatte überhaupt nur etwas sagen wollen und wußte kaum, was er sprach.

      Doch die Frage fand Anklang. »Jetzt ja,« antwortete Maxe, »aber ein paar Jahr lang waren wir allsamt verstreut. Ich bin in Hannover erzogen worden – auf dem Mädchengymnasium –«

      »Alle Hochachtung.«

      »Habe sogar mein Abiturium gemacht ...« Sie lachte und hatte ein hübsches Lachen, nicht hell und zwitschernd, eher guttural; aber es klang melodiös. Und dabei krauste sich ein wenig ihre Oberlippe, und im Kinn zeigte sich ein Grübchen wie der Druck eines Nagels.

      »Es ist die Möglichkeit,« sagte der Major. »Da hätten wir Sie also ohne weiteres als Freiwilligen einstellen können. Gott sei Dank, daß Sie keinen gelehrten Eindruck machen.«

      »Nein, das macht sie nicht,« entgegnete Frau von Göchhusen heiter. »Sie möchte freilich gern weiterstudieren, aber das will ich nicht. Vorderhand wenigstens nicht. Mir kam es nur darauf an, den Kindern eine gewisse Selbständigkeit zu schaffen – für alle Fälle. Beate hat ihr Examen als Bibliothekarin gemacht, und Elfriede war zwei Jahre auf der Kunstschule in Weimar.«

      »Also Malerin,« sagte der Major und wandte sich an Beate.

      »Das bin ich,« rief Elfriede und tippe mit dem Zeigefinger auf ihre Brust.

      »Tausendmal Verzeihung – jetzt weiß ich Bescheid. Beate, Elfriede, Maxe – die Namen gefallen mir alle drei. Nur über das Tugendreich der gnädigsten Jüngsten bin ich mir noch nicht völlig im klaren. Ist das ein Beiname? Er würde ja sicher bezeichnend sein –« »Es ist ein greulicher Name,« fiel Maxe unwillig ein, »ich werde so viel damit geneckt.«

      »Ich glaube, er hat auch Ihren Unteroffizier erschreckt,« sagte die Mutter, »oder zum mindesten etwas nachdenklich gestimmt. Es ist ein Göchhusenscher Name. Sie wissen: rheinisches Patriziat und früher katholisch. Sie heißen alle Tugendreich und immer abwechselnd: mal die männlichen und mal die weiblichen Sprossen. Aber sie waren es wohl nicht alle.«

      Nun stand Frau von Göchhusen auf. »Es ist Zeit, Herr von Hartwig. Hübsch, daß ich Sie bei Gelegenheit dieser Irrung einmal wiedergesehen habe.«

      Der Major verneigte sich. »Die Freude ist auf meiner Seite. Darf ich der gnädigen Frau meine gehorsamste Aufwartung machen?«

      »Oh, das wäre sehr nett ...« Der Ton lag auf dem »sehr« ... »Und damit Sie nicht vergebens kommen: zwischen vier und sechs sind wir immer daheim.«

      Man verabschiedete sich. »Prachtvolles Haar,« sagte Hartwig, als er Elfriede die Hand reichte. »Verzeihen Sie den Enthusiasmus, gnädiges Fräulein, aber ich habe eine Schwärmerei grade für diese Farbe. Vielleicht bloß, weil sie so selten ist. Es ist nicht rot und nicht blond und nicht einmal rotblond. Es ist ein verlorengegangener Ton, den man sonst nur noch auf Bildern findet. Ingres liebte ihn auf seinen Kostümgruppen.«

      »Interessieren Sie sich auch für Malerei?« fragte Elfriede lebhaft.

      »Sehr. Ich ruiniere in meiner freien Zeit zuweilen selber saubere Linnenflächen.«

      »Geht voran, Kinder,« sagte Frau von Göchhusen, »ich habe noch eine Frage an den Herrn Major... Ja, noch eine Frage,« wiederholte sie, als die Mädchen hinaus waren, »die Sie nicht mißverstehen werden, Herr von Hartwig. Wie lange ist es her, daß Sie mit Herrn von Göchhusen zusammen waren?«

      »Im Winter vor zwei Jahren, gnädige Frau.«

      »Ich frage nämlich deshalb... Früher schrieb er mir zuweilen – es gab noch allerhand Geschäftliches zu ordnen, und dann wollte er auch immer über die Kinder Bescheid wissen... aber seit ungefähr Jahresfrist bin ich ganz ohne Nachricht, und was das Merkwürdigste ist: mein letzter Brief an ihn – nach Pallanza, an seine alte Adresse – kam als unbestellbar zurück. Ich verstehe das gar nicht.«

      »Möglich, daß ein Brief verlorengegangen ist, gnädige Frau. Ich weiß auch nur, daß er gleich nach dem Tode seiner Gattin –«

      Ein schwacher Ausruf unterbrach ihn. Da erschrak der Major: er hatte unwissentlich eine neue Dummheit begangen. Die Wangen der Frau von Göchhusen waren kalkig geworden; der fahle Ton ging bis in die Lippen. Die Lippen bewegten sich, aber sie sprachen nicht. Die Brauen stiegen höher, die Augen vergrößerten sich. Dann flüsterte sie etwas, etwas Unverständliches, und wiederholte es noch einmal, diesmal lauter, aber mit einer Stimme, die einen Sprung zu haben schien:

      »Tot? ... Wanda – ist – tot?...«

      Herr von Hartwig nahm ihre Hand. »Gnädigste Frau, ich bin untröstlich ... ich ahnte ja nicht, daß Sie das noch nicht wußten... Verzeihen Sie –«

      Sie hatte sich schon in der Gewalt. Die Nervenspannung löste sich. In ihrem hübschen Gesicht, dessen frische Haut allen Jugendreiz bewahrt hatte, sammelten sich wieder die Farben.

      »Ich bin kindisch,« sagte sie. »Im Grunde genommen...« Aber sie führte den Satz nicht zu Ende. Sie fragte kurz: »Wann ist sie gestorben?«

      »Im Juni vorigen Jahres. Sie war lange leidend. Göchhusen schrieb mir nur ein paar flüchtige Zeilen, daß sie erlöst sei und daß er zur Erbschaftsregulierung nach Mexiko wolle. Seitdem habe ich auch nichts mehr von ihm gehört.«

      Sie nickte. »Ich danke Ihnen. Jetzt bin ich wieder ganz verständig. Es war nur die Augenblickswirkung. Wanda hat mir auch einmal nahegestanden... Also ich darf auf Wiedersehn sagen, lieber Major?«

      Er küßte ihre Hand und öffnete die Tür.

      Frau von Göchhusen war wieder die alte. Sie liebte keine Szenen und ärgerte sich, daß sie für einen Augenblick ihr seelisches Gleichgewicht verloren hatte. Die Kinder sollten jedenfalls nichts davon merken. Sie lächelte ihnen zu.

      »Da bin ich wieder,« sagte sie. »Also, Maxe, du bist frei. Das hätten wir bequemer haben können, wenn wir den Irrtum schriftlich aufgeklärt hätten.«

      »Dann hättest du aber deinen Woldemar nicht wiedergesehen.«

      »Maxe-Erdmuthe, nun laß diese Späßchen...« Sie schritten den Flurgang und die Treppe hinab... »Der Major verdient allen Respekt.«

      »Es störte mich,« sagte Beate, »daß er von Papa anfing.«

      »Mein Gott, warum denn? Die Sache liegt ja so weit zurück und braucht doch auch wahrhaftig nicht als Geheimnis behandelt zu werden.«

      »Sicher nicht,« gab Elfriede zu. »Beate ist gern ein bißchen altjüngferlich. Mir hat Herr von Hartwig ausgezeichnet gefallen.« »Ja natürlich,« entgegnete Maxe. »Weil er dir eine Schmeichelei gesagt hat. Das Haar mit dem verlorenen Ton. Siehe Teerseife.«

      »Mama, ist Tugendreich nicht schändlich? – Teerseife bleicht außerdem das Haar, aber färbt es nicht. Im übrigen: Schmeicheleien fangen mich nicht, liebe Maxe. Mir gefällt der Major, weil er Kunstverständnis hat. Er ist kein Durchschnittsmensch.«

      »Kinder, nun hört von dem Major auf!« rief die Mutter. »Sagt mir lieber, wie wir nach Hause kommen sollen. Kein Auto, keine Droschke. Und dabei sieht es ganz so aus, als ob es gleich schneien würde.«

      »Es schneit sogar schon,« entgegnete Beate, »ich habe eben eine Flocke auf meiner Nase gespürt.«

      Sie standen auf der Straße und schauten sich um. Das Wetter hatte sich verändert. Der Himmel war stahlgrau geworden und tiefer gerückt. Die Sonne hatte keine Leuchtkraft mehr; sie hing wie eine rote Metallscheibe im Märzendunst. Über dem Einschnitt der Eisenbahn quoll eine graue Dampfwolke. Die ersten Straßenreihen jenseits der Brücke umgitterte schon streifiger Nebel. Die Atmosphäre hatte eine beingraue Färbung; weiße Kristalle tanzten wie Federn durch die


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