Drei Mädchen am Spinnrad. Fedor von Zobeltitz

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Drei Mädchen am Spinnrad - Fedor von Zobeltitz


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gleich,« erwiderte die Mutter. »Wir steigen ein und fahren mit, bis wir in belebtere Gegend kommen. Da werden wir ja eine Droschke finden.«

      Die Elektrische hielt. Der Schaffner war höflich und wollte Frau von Göchhusen beim Aufsteigen die Hand reichen. Aber ein junger Mann mit einem großen Schlapphut auf dem Kopfe und, einem Schal um den Hals kam ihm zuvor.

       »I, Krempel!« rief Frau von Göchhusen, »wo kommen Sie denn her?!«

      »Herrjeh, Krempel!« rief auch Maxe und ebenso Elfriede, während Beate etwas feierlicher sagte: »Guten Tag, Krempelius; es ist merkwürdig, daß man dich überall findet, wo man dich durchaus nicht erwartet.«

      Dann kletterten alle in den Wagen, mit Unterstützung Krempels, der jede der Damen an den Arm faßte und ihr beim Aufsteigen einen leichten Schwung, gab, wobei sein seltsam rundes pausbackiges Gesicht vor Freude glänzte, ohne daß er jedoch ein Wort sprach.

      Früher hatten die Göchhusens ein ganzes Haus in der Regentenstraße bewohnt, aber seit der Scheidung der Frau Magda von ihrem Mann beschränkte sie sich auf die erste Etage. Es war ja richtig: ihr Gatte hatte sie und die Kinder nicht auf dem Trockenen sitzen lassen. Er hatte sie mit einer runden Million Mark abgefunden, und das konnte er auch ganz gut, denn er stammte aus reicher Familie, und seine zweite Frau war eine Espinosa del Mercado, eine Tochter des berühmten Generals, der nach der Erschießung Kaiser Maximilians durch einen jener merkwürdigen Zufälle, die man Eilboten des Glücks nennen könnte, die Silber- und Bleierzminen bei Queretaro entdeckt hatte. Aber auch mit den Zinsen dieser Million konnte Frau von Göchhusen das Leben im großen Stil, wie man es ehedem gewohnt war, nicht weiterführen. Sie hatte ursprünglich daran gedacht, das Haus in der Regentenstraße ganz zu verkaufen und sich irgendwo eine Mietswohnung zu nehmen. Doch sie hing an diesen Räumen, in denen sie so viel Glück und auch so bittere Stunden verlebt hatte, und in einer ihrer sentimentalen Anwandlungen, von denen sie bei aller sonstigen Realistik in der Daseinsbewegung nicht frei war, hatte sie beschlossen, sich nicht von dem alten Hause zu trennen.

      Ein altes Haus war es freilich: zu einer Zeit erbaut, der das moderne architektonische Raffinement noch fremd war und die nicht einmal Dampfheizung und Warmwasserversorgung kannte. Aber sein altmodisches Äußere hatte doch auch einen Zug von großväterlicher Liebenswürdigkeit; der Stil erinnerte an die friderizianischen Jahre, und beim Anblick der girlandentragenden Putten über dem Gesims des ersten Stockwerks konnte man, an die bescheidenen Anakreontiker der brandenburgischen Mark denken. Zudem standen zwei alte Kastanienbäume vor dem Portal, die alle Frühjahr ihre roten Blütenkerzen entfalteten und im Herbst ihre Früchte verloren, so daß sich die Schulkinder mit den braunen Früchten ganze Schlachten liefern konnten. Auch lag hinter dem Hause, von hohen Mauern umschlossen, die mit Geißblatt und Efeu verkleidet waren, ein hübscher Garten, den die Mädchen um so mehr schätzten, als sie ihre Kindheit auf dem Lande verbracht hatten und auch ererbter Veranlagung nach Natursinn besaßen. Von diesem Gärtchen aus, dessen Hauptzier ein Tulpenbaum war, den man als Seltenheit einschätzte, weil er mit seltsamer Unregelmäßigkeit blühte, führte eine steinerne Treppe zu einem verdeckten Balkon, der den rückwärtigen Abschluß der Göchhusenschen Wohnung bildete.

      Sie war genügend geräumig für die vier Damen und die drei Domestiken, die zum Haushalt gehörten. Zwei von diesen Dienstboten waren altes Göchhusensches Inventar: nämlich Genander, der Koch (der aber bei Gelegenheit auch als Diener fungierte), und seine Frau Lina, die sich Wirtschafterin nannte, deren Tätigkeit jedoch mehr die eines Berliner »Mädchens für alles« umfaßte. Genander hatte Frau von Göchhusen nach ihrer Scheidung eigentlich entlassen wollen, weil sie sich sagte, daß zu einem Koch die Voraussetzung einer üppigeren Lebensführung gehörte, als sie sich eine solche künftighin zu leisten gedachte, während eine Köchin mehr im Ganzen bürgerlicher Schlichtheit steht. Aber Genander hatte dringend gebeten, ihn wenigstens noch ein Jahr zu behalten, und als das Jahr um war, sah Frau von Göchhusen ein, daß auch die beste Köchin diese Perle nicht zu ersetzen imstande sein würde: oder vielmehr diese Doppelperle, denn Lina war unzertrennlich mit ihrem Manne verbunden, und beide führten die Wirtschaft mit so viel Umsicht, daß die dritte im Bunde, die Zofe, eigentlich überflüssig geworden wäre. Aber dieser Zofe bedurften die jungen Damen dringend, zumal Elfriede, die etwas koketten Sinnes war und mit den Geheimnissen ihrer Toilette nie so recht fertig werden konnte. Und da sie aus Schönheitsgefühl nur hübsche Gesichter um sich haben wollte, so wurden auch immer nur niedliche Krabben engagiert. Dies hatte aber den Fehler häufigen Wechsels, denn erstens war die alte Lina eine Frau von stark eifersüchtigen Wallungen und Genander trotz seiner Jahre ein Mann, der für alles lebendig Frische und Rundliche viel Empfänglichkeit besaß, so daß es jenseits des großen Flurs häufig zu dramatischen Szenen kam, deren Rückschlag sich auch im Vorderhause ärgerlich bemerkbar machte. Und zweitens wohnte über den Göchhusens ein Generalstäbler, der zwei Burschen sein eigen nannte, und es dauerte niemals lange, so hatten sich zwischen diesen soldatischen Eroberern und der Zofe in der ersten Etage zarte Fäden angesponnen, die fast immer zum schrillen Zerreißen kamen. Nur die Letzte schien ihr Herz festhalten zu wollen und hieß dafür auch Johanna, wie das gepanzerte Mädchen aus Orleans.

      Da Frau von Göchhusen sich trotz der Einschränkung ihres Haushalts von den meisten ihrer alten Mobilien nicht hatte trennen wollen, so waren ihre Zimmer fast überfüllt. Es gab da namentlich einen Salon mit gelben Damasttapeten, in dem ein mit den gepolsterten, gepufften und verschnürten Untiefen dieses Raumes nicht hinlänglich Bekannter sich nur nach forschender Übersicht und bedeutsamer Überlegung langsam hindurchwinden konnte. An diesen Salon, den Maxe den »Irrgarten der Mutter« getauft hatte, schloß sich auf der einen Seite das Speisezimmer, auf der anderen, nur durch Portieren getrennt, ein kleineres Wohngemach, in dem ein uralter, sehr struppiger und immer heiserer Papagei als Besitzer eines riesigen Messingkäfigs den Gnadenmais verzehrte. Das sogenannte Frühstückszimmer (mit einem fast schwarz gedunkelten altholländischen Stilleben an der türfreien Querwand) bot die Verbindung mit den drei Gemächern der Mädchen, die sie sich nach eigener Laune und individuellem Empfinden ausgestattet und eingerichtet hatten.

      In jedem dieser Zimmer stand ein Himmelbett mit fröhlich geblümten Gardinen, sonst aber unterschieden sie sich wesentlich voneinander. Bei Beate herrschte ein sichtlicher Ernst; es überwogen hier die Regale mit Büchern, und eine Büste Gutenbergs zeugte für den freiwillig erwählten Beruf der Inwohnerin, der ihr freilich nichts nützte, da sie ihn nicht ausüben konnte. Elfriedes Zimmer dagegen war in ewiger Unordnung, allerdings – so behauptete sie wenigstens – immer in malerischer. Es ging nach Norden hinaus und hatte ein großes, halb verhängtes Fenster, vor dem die Staffelei stand, und auch sonst bewiesen zahlreiche Dinge, wie die Skizzen an der Wand, die dicken Mappen, eine japanische Vase, in der Pinsel steckten, und mancherlei andere Requisiten, daß hier ein künstlerischer Geist waltete, der es allerdings mit den Gesetzen kosmischer Ordnung nicht streng nahm und ohne Bedenken einen vereinzelten Strumpf, einen Brennapparat, eine Rechnung von Gerson und Lenaus lyrische Gedichte in traulicher Gemeinschaft liegen ließ.

      Durch Maxes Zimmerchen ging immer Blumenduft. Sie liebte das Blühende und verschwendete ihr Taschengeld für Rosen, Veilchen, Narzissen und Flieder und namentlich für Orchideen, von denen gewöhnlich ein ausgewählt kapriziöses Exemplar in einem schlanken venezianischen Kelche auf ihrem Schreibtische stand. Denn an diesem Schreibtische saß Maxe viel, schrieb Märchen, verfertigte Gedichte und hatte sogar eine schöne Novelle begonnen, in der sie aber stecken geblieben war, weil die Heldin so stark von den Pfaden bürgerlicher Tugend abzuweichen begann, daß die Verfasserin selbst es mit einer gewissen schämigen Angst bekommen hatte. Außerdem wußte sie auch sonst nicht, wie die Geschichte eigentlich weitergehen sollte, und ließ es deshalb lieber, was ihr übrigens keinerlei Weh verursachte, da sie von literarischem Ehrgeiz durchaus nicht angekränkelt war und den Pegasus nur zu eigenem Vergnügen bestieg. Das Zimmer Maxes war das letzte in der Reihe und lag schon nach dem Garten hinaus; auch das Fenster war immer mit Blumen besetzt und das Gesims unaufhörlich von piepsenden Spatzen umlagert, die ganz genau wußten, zu welcher Zeit im Göchhusenschen Hause gefrühstückt wurde.

      Heute war Schneidertag bei den Damen. Zwischen Küche und Zofenzimmer lag eine Stube, die offiziell den Namen Fremdenzimmer führte und sich dadurch auszeichnete, daß in sie alles das hineingelegt und gestellt wurde, was man in den anderen Räumlichkeiten


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