Drei Mädchen am Spinnrad. Fedor von Zobeltitz

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Drei Mädchen am Spinnrad - Fedor von Zobeltitz


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die Schneiderin, Gemahlin des Hausportiers Herrn Vegesack, eines robusten Mannes mit den Gliedmaßen eines Giganten, ganz im Gegensatz zu seiner Frau, die sich noch als Dreißigerin die schmale Zierlichkeit ihrer Mädchenzeit erhalten hatte. Sie stammte aus besserem Hause, was sie gelegentlich auch gern betonte; ihr Vater war Bahnhofsvorsteher in Krebsjauche bei Frankfurt an der Oder gewesen, doch als sie sich in den Bierfahrer Vegesack verliebt hatte, war sie freiwillig von ihrer Höhe gestiegen, und die Mesalliance hatte ihr auch nicht weiter geschadet. Nun hatte Vegesack das Bierfahren längst aufgegeben, das eines ehemaligen Gardekürassiers auch nicht recht würdig war, und den Ruheposten in der Portiersloge des Göchhusenschen Hauses angenommen, wo er nichts weiter zu tun hatte, als die Türe zu öffnen, den Schnee vom Trottoir zu schippen und den Garten in Ordnung zu halten. Seine Frau aber hatte das Schneidern erlernt und war, wie Elfriede erklärte, namentlich eine Größe im Wenden. Es gab nichts, was ihr des Wendens nicht wert erschien, und es war geradezu erstaunlich, wie sie beispielsweise einen blauen Grund mit grauen Tupfen in einen grauen Grund mit blauen Tupfen zu verwandeln imstande war.

      An diesem Tage handelte es sich zunächst um die geniale Umformung einiger Frühlingstoiletten vom vorigen Jahre, von denen man glaubte, daß sie noch, fähig sein würden, einige kurze Wochen des neuen Lenzes siegreich zu überdauern. Die drei Mädchen hatten vielerlei herangeschleppt, und so daß denn die Vegesack an ihrer Nähmaschine inmitten einer heiteren Farbenpracht, die ihren Glanz auf Stühlen und Tischen ausbreitete, und prüfte mit scharfem Auge und fühlendem Finger Stoff, Futter und Besatz.

      »Vegesack,« sagte Maxe, ein blaßbläuliches Gewandstück in der Hand haltend, »es wäre doch eine Lächerlichkeit, wenn ich das nicht noch ein paar Wochen tragen könnte. Für Ostende und Scheveningen ist natürlich die Möglichkeit ausgeschlossen, aber in Zoppot und auf der Halbinsel Hela nimmt man es nicht so genau.«

      Die Vegesack schüttelte den Kopf. »Gnädiges Fräulein,« entgegnete sie, »ich bin auch für Sparsamkeit, und wenn Vegesack so manchmal sagt: ›Tilde, dein Schwarzes ist unten ganz aus gefusselt, so kannst du nicht mehr gehen‹ – dann mache ich einen neuen Saum, und es geht doch noch. Aber was ich kann, können die gnädigen Fräuleins nicht. Das Blau ist verschossen, es hat keinen rechten Ton nicht mehr, es ist auch brüchig geworden, es war ein billiger Stoff.«

      »Wenden!« rief Elfriede.

      »Es lohnt sich nicht. Ich fahr mit der Hand hinein, da ist auch schon ein Loch da. Den Besatz kann man abnehmen, aber er müßte erst gereinigt werden. Und was das Reinigen kostet, dafür kriegt man's schon ebensogut auf neu.« »Also nichts,« sagte Maxe. »Ich habe heute kein Glück bei Ihnen, Vegesack. Das Blaue ist verschossen, und für das Halbseidene scheinen Sie auch keine rechte Meinung zu haben. Aber ich trage Ihnen das nicht nach. Ich ruiniere viel, ich weiß es. Das ist Charakterveranlagung. Fräulein Elfriede ist sanfter und Fräulein Beate die gediegenere. Ich bin zu stürmisch, ich zerreiße gleich alles ...«

      Nun hatte Beate noch eine ernsthafte Aussprache mit der Vegesack zweier Blusen wegen, die vermittels! neuer Garnituren auf den Stand von heute gebracht werden sollten, und dann kam Elfriede mit dem wichtigen Anliegen, die vorjährige weite Glockenform eines, prunefarbigen Cheviotrocks in mondäne Enge zu verwandeln.

      »Ich weiß bloß nicht, ob Sie sich das trauen werden, Vegesack,« sagte Elfriede besorgt; »da müssen Sie ganz ehrlich sein, denn ehe der Rock verschnitten wird, geb' ich ihn lieber zu Gerson. Er ist ja noch tadellos.«

      »Ist er,« entgegnete die Schneiderin. »Ein Stoff wie Leder; gnädiges Fräulein kaufen immer besser ein als wie Fräulein Maxe. Aber er braucht nicht erst zu Gerson. Ich schneide unten einfach ein Stück ab, krause ihn um die Knie rum ein und setze ein Halbstück wieder an. Das ist keine Kunst.«

      »Herrjeh!« rief jetzt Maxe, die nach der Uhr gesehen hatte, »Kinder, es ist Zeit – wir müssen zu Krempel. Wir sind doch zu vier geladen!«

      »Ja, zu vier,« antwortete Beate. »Aber die Mama weiß noch nichts.«

      »Hält sie noch Mittagsschlaf?«

      »I wo. Sie räumt mit Lina und Johanna den Balkon auf.« Das tat sie. Es geschah immer um diese Jahreszeit. Da wurde der Balkon durch Lina erst unter Wasser gesetzt und gründlich gesäubert und empfing dann seinen Frühlingsschmuck. Johanna hatte die Korbmöbel aufgestellt und war soeben dabei, ein paar Knoten in der Schnur der Marquise aufzulösen, während Frau von Göchhusen blauweiße Tontöpfe mit eingepflanzten Primeln und Maiglöckchen auf dem Balkonsims arrangierte. Da stürmten die Töchter heran.

      »Wir wollen nun gehen. Mutterchen,« rief Maxe, »adieu!«

      »Wo wollt ihr denn schon wieder hin?«

      »Zu Krempel.«

      »Zu Krempel? Warum denn?«

      »Er hat uns eingeladen, Mama,« sagte Beate, »zu Schokolade mit Schlagsahne und Nußtorte. Letztere nur, weil Maxe sie so gern ißt.«

      Frau von Göchhusen schüttelte den Kopf. »Ist denn sein Geburtstag?« fragte sie.

      »Nein,« entgegnete Maxe, »der fällt in die Hundstage. Es handelt sich um die feierliche Einweihung seiner neuen Wohnung. Er hat jetzt zwei Zimmer und einen Vorflur, den er Diele nennt. Dort werden die Gäste empfangen.«

      Frau von Göchhusen wiegte immer noch den Kopf hin und her. »Hört mal, das scheint mir doch nicht ganz passend,« meinte sie. »Drei Mädchen allein bei einem jungen Mann

      Elfriede lachte. »Du legst den Ton fälschlich auf das Wort ›Mann‹, Mama. Für uns ist er ein neutrales Wesen.«

      »So ist es,« bestätigte Beate. Und etwas nichtachtend setzte sie hinzu: »Gott, Krempel!« »Krempel hin, Krempel her. Ich kann mir nicht helfen: ich finde, ihr seid ein bißchen zu intim mit ihm geworden. Wenn ich nicht wüßte, was er für ein braver Junge ist ... Na also, da ihr mal zugesagt habt, geht in Gottes Namen. Aber um halb acht seid ihr wieder zurück.«

      »Pünktlich, Mama ...« Nun empfing Frau von Göchhusen drei lebhafte Küsse, dann sprangen die Mädchen davon, Maxe voran: man hörte ihren flüchtigen Schritt in dem langen Korridor.

      Ein Viertelstündchen später standen sie auf der Straße: gleichförmig gekleidet, in englischen Kostümen mit runden Blumenhüten. Bei Beate saß der Hut korrekt, Elfriede hatte ihn ein wenig in die Stirn gerückt, Maxe trug ihn seitwärts wie eine Ulanenczapka.

      »Moppel, Droschke oder Elektrische?« fragte Elfriede.

      »Ich schlage vor: einen Bummel zu Fuß,« antwortete Maxe. »Es ist erst viertel vier. Übrigens – stiften wir gar nichts?«

      Das fiel allen dreien schwer auf die Seele. Natürlich forderte es der Anstand, daß man zu Krempels neuer Wohnung eine Kleinigkeit beisteuerte.

      »Heut ist der Achtundzwanzigste,« seufzte Elfriede, »ich bin ganz blank.«

      »Ich habe noch ein Fünfmarkstück,« sagte Beate, »das will ich opfern. Was bekommt man dafür? Eine Vase, einen hübschen Aschenbecher, ein Bücherbrett – alles mögliche. Aber da müßten wir zuerst zu Wertheim.«

      »Lassen wir's,« erklärte Maxe. »Wir machen es so: wir kucken uns heute erst um, was er gebrauchen könnte. Und dann legen wir zusammen zu einem anständigen Geschenk.«

      Elfriede nickte. »Ja natürlich; das ist das Praktischste. Vielleicht ein Teeservice – oder einen Regenschirmständer. Heut bringen wir ihm jede bloß einen Veilchenstrauß.«

      »Anmutig und billig,« sagte Beate. »Aber in Anbetracht unsrer Notlage will ich nicht widersprechen. Im Übrigens bitte ich um eins: die Angelegenheit mit der Mama muß seriös behandelt werden. Vollkommen ernsthaft – sonst macht Krempel nicht mit.«

      »Ernsthaft,« wiederholte Elfriede. »Selbstverständlich. Sie ist uns ja auch vollkommener Ernst.«

      Maxe gab das zu. »Gewiß – trotz ihres etwas drolligen Beigeschmacks. Ein dreifacher Schrei nach dem Mann; aber wir schreien nicht für uns, sondern für die Mama. Leider sind ein paar Wenns dabei. Zunächst: wenn wir nur den Richtigen finden, Und dann: wenn sie bloß


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