Dafür und Dagegen. Eckhard Lange

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Dafür und Dagegen - Eckhard Lange


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auch nicht, ob es ihm jemals noch gelingen könnte.

      8. Kapitel

      Diese innere Zerrissenheit, dieses Misstrauen gegenüber sich selbst, dieses Furcht vor der ständigen Versuchung, verbunden mit dem Besitz eines gewissen Vermögens aus den Tantiemen, die der Verlag ihm überwies – das alles trieb ihn immer häufiger aus dem Schutz seiner Behausung in die schrille Welt der Berliner Boheme, die sich in jenen Jahren etabliert hatte – die wilden Zwanziger, wie man sie bald nennen sollte.

      Ulrich hatte sich nie viel aus Frauen gemacht, sieht man einmal von den wenigen Eskapaden ab, zu denen ihn einige Kameraden während der Jahre an der Westfront gelegentlich verleitet hatten, wenn sie ein paar willige französische Mädchen aufgespürt hatten, die oft mit ihrem Körper für den Unterhalt einer ganzen Familie sorgen mussten, während die eigentlichen Ernährer auf der anderen Seite der Front in den Gräben lagen. Aber er hatte wenig dabei empfunden außer einer vorübergehenden körperlichen Befriedigung, und die fiel meist auch nur gering aus. Manchmal wunderte er sich über sich selbst, warum ihn der Anblick einer Frau so gleichgültig lassen konnte im Vergleich zu anderen. Aber es beunruhigte ihn nicht sonderlich.

      Nun aber sollte sich auch hier alles wandeln. Die zahlreichen Revuen mit aufreizend gekleideten Girls, wie man inzwischen zu sagen pflegte, die frivolen Cabarets mit ihren Sängerinnen, die angeblich ehrbaren Damen aus den gehobenen Ständen, die im Verlauf einer abendlichen Gesellschaft, sobald nur genügend Alkohol in sie hineingeflossen war, plötzlich Anstand und Hüllen fallen ließen, das alles reizte ihn plötzlich ungemein, und bald war er häufiger Gast an all den Orten, wo es aufreizend anrüchig zuging und wo Lust feilgeboten wurde wie die Waren auf dem Wochenmarkt.

      Es war, als hätte der Teufel ihm eine neue Falle gestellt, um ihn zu versuchen. Noch war er ja unbekannt genug, um nicht ins Gerede zu kommen, und Namen hatte er ebenfalls genug zur Auswahl, um den anständigen Namen der Pendragons nicht zu beschmutzen.

      War es Zufall, war es Fügung? An einem nasskalten Oktobertag des Jahres 1926 begegnete Ulrich von Pendragon innerhalb weniger Stunden den beiden Menschen, die später gemeinsam eine tiefe Furche in sein Leben ziehen sollten, deren Schicksal er durch sein Handeln bestimmen würde, ein Handeln, dessen furchtbare Folgen ihn bis in die letzten Stunden seines eigenen Lebens begleiten und verstören sollten.

      Er hatte schon seit mehr als vierzehn Tagen an einem hartnäckigen Husten gelitten, als ihn ein Bekannter vor einer beginnenden Tuberkulose warnte und ihm auch gleich einen hierin bewanderten und anerkannten Arzt empfahl: einen gewissen Dr. Moses Kornwald, der in der Friedrichstraße eine gut gehende Praxis besaß. Nach einem erneuten höchst unangenehmen und heftigen Hustenanfall beschloß Ulrich, diesen Mediziner umgehend zu konsultieren und begab sich am frühen Nachmittag in die Friedrichstraße.

      Am Abend dann besuchte er in eben dieser Straße das Große Schauspielhaus, das sich inzwischen in eines der führenden Revuetheater der Stadt verwandelt hatte, und erlebte dort den Auftritt einer noch sehr jungen, aber offensichtlich besonders talentierten Künstlerin, die unter dem Namen „Elena“ auftrat und die ihn nicht nur mit ihrer Darbietung begeisterte, sondern auch auf ganz besondere Weise anzog. Dass er dort jenem Dr. Kornwald nach wenigen Stunden ebenfalls wieder begegnete, mochte er für einen Zufall halten, wusste er damals ja noch nicht, dass der Mediziner auf seine zurückhaltende Art ebenso von jener Elena angezogen wurde.

      Dr. Moses Kornwald war, wie der Name es vermuten ließ, jüdischer Herkunft, wie so viele erfolgreiche Ärzte in Berlin. Er war etwa Mitte dreißig, also nur wenig älter als Ulrich, aber ein dunkler, kurz gehaltener und sehr gepflegter Vollbart und die durch beginnenden Haarausfall schon sehr hohe Stirn verliehen ihm das Aussehen eines gereiften Mannes. Dunkle, stets sehr aufmerksam blickende Augen, feingliedrige Hände und eine schmale Statur erweckten in seinen Patienten jenes Gefühl des Vertrauens, das ein Arzt für seine Heilungserfolge ebenso benötigt wie medizinisches Fachwissen.

      Er untersuchte den neuen, unbekannten Besucher sehr eingehend, horchte lange an den unterschiedlichsten Stellen von Brust und Rücken, ließ ihn atmen, husten und die Luft anhalten, um dann endlich seine Diagnose bekanntzugeben: „Es war durchaus richtig, lieber Herr Baron, dass Sie mit diesem Befund den Arzt aufgesucht haben, aber ich kann Sie beruhigen. Der von Ihnen geäußerte Verdacht ist glücklicherweise unberechtigt. Es handelt sich um eine hartnäckige Erkältung, nichts weiter. Das heißt – auch damit sollte man nicht spaßen, sie kann sonst chronisch werden und mancherlei nach sich ziehen. Ich werde Ihnen Tropfen gegen den Hustenreiz verordnen, die Ihnen der Apotheker anmischen wird und die Sie bitte mehrmals täglich für eine Weile, sagen wir zehn bis zwölf Tage, einnehmen sollten. Wenn der Husten bis dahin nicht völlig verschwunden ist, sollten Sie besser noch einmal vorbeischauen, damit wir weitere Maßnahmen ergreifen können. Ich denke aber, Sie werden die Sache dank der Tropfen in wenigen Tagen völlig überwunden haben angesichts Ihrer vorzüglichen Konstitution. Aber vergessen Sie trotzdem nicht, das verordnete Medikament noch die angegebene Zeit regelmäßig zu nehmen, damit Sie keinen Rückfall erleiden.“

      Dr. Kornwald füllte ein Rezept aus und übergab es dem Patienten, dann reichte er ihm mit freundlichem Lächeln die Rechte und verabschiedete ihn an der Tür. Ulrich nahm sich vor, allen Anordnungen gehorsam nachzukommen, und bereits gegen Abend war der Hustenreiz so stark zurückgegangen, dass er keinen Grund sah, den geplanten Theaterbesuch zu verschieben, zumal er einer Tageszeitung einen Bericht über die Revue zugesagt hatte. So saß er, dem Anlaß entsprechend gekleidet, in der vorbestellten Loge und blickte teils amüsiert, teils kritisch auf die unterschiedlichen Darbietungen herab.

      Den Hauptteil der Revue bestritt wie üblich die Tanzgruppe. Die Mädchen zeigten ihre durchweg langen und wohlgeformten Beine, die Choreografie war abwechslungsreich, das Orchester gab mit seinen seit kurzem aus Amerika importierten Rhythmen ein manchmal atemberaubendes Tempo vor, aber die Damen waren allesamt gut trainiert und außerdem auffallend hübsch, was die fast schon anstößig knappe Bekleidung bestens erkennen ließ. Zudem war auch der dargebotene Gesang schmissig, die Texte recht anzüglich, aber gut formuliert.

      All das aber nahm Ulrich nur eher beiläufig wahr, denn sein Augenmerk galt in besonderer Weise eben jener Künstlerin namens Elena. Sie war einerseits Solotänzerin, sie sang jedoch auch eine Reihe Couplets vor dem Hintergrund des Balletts, und sie bewegte sich nicht nur höchst anmutig, ihre gestenreiche und mimische Interpretation der Lieder war, nun, er musste es schon so ausdrücken, einfach genial. Dabei schien die Künstlerin noch ausgesprochen jung zu sein, fast noch mädchenhaft, aber sie vermochte den verführerischen Vamp ebenso überzeugend darzustellen wie die kesse Berliner Göre aus dem Hinterhof.

      Ulrich verfolgte ihre Auftritte mit einer zunehmenden inneren Anspannung, und das war weit mehr als bloß das Interesse des Rezensenten an einer gelungenen Darbietung. Es war diese besondere Ausstrahlung, die einerseits das männliche Publikum sehr bewusst zu erotischen und manchmal wohl auch zu recht perversen Träumen herausforderte und es doch zugleich auf einer mentalen Distanz hielt, es war ihre ebenso gezielt eingesetzte kühle Abweisung, die jene Männerwelt nur umso stärker reizte und herausforderte – und all das nahm Ulrich bald nicht mehr aus dem Blickwinkel des kühl beurteilenden Kritikers wahr, sondern des betroffenen, herausgeforderten männlichen Zuschauers. Und er beschloß, diese außergewöhnliche Künstlerin möglichst bald auch persönlich kennenzulernen.

      Hätte er allerdings diesen Vorsatz unmittelbar im Anschluß an die Vorstellung in die Tat umgesetzt, wäre er unweigerlich zum dritten Mal Dr. Moses Kornwald begegnet, denn er Mediziner wartete geduldig am Künstlerausgang des Theaters, um die junge Elena dort abzuholen und zu begleiten, und das offensichtlich nicht zum ersten Mal.

      Ulrich aber beschloß, zunächst seine Rezension zu schreiben und deren Veröffentlichung abzuwarten. Er versprach sich davon eine positive Empfehlung für die geplante Bitte um ein Interview. Sein Artikel also lobte die Künstlerin, ohne in erkennbare Lobhudelei zu verfallen. Er wandte viel Formulierungskunst auf, um jenen Bericht sachlich und objektiv erscheinen zu lassen, und das nahm auch Elena zur Kenntnis, denn solche Berichterstattung war eher selten.

      Sodann suchte Ulrich zunächst einmal Näheres über die Künstlerin zu erfahren. Weder kannte er ihren wirklichen Namen noch ihr wirkliches


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