Dafür und Dagegen. Eckhard Lange

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Dafür und Dagegen - Eckhard Lange


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dort Korrekturen anbringen, mögliche Widersprüche beseitigen, die eine oder andere Stelle sprachlich glätten oder um einige Ergänzungen verdeutlichen, aber das war handwerkliche Feinarbeit, und er würde zugleich das Ganze in sich aufnehmen.

      Es waren noch etwa vierzehn Tage bis zum Weihnachtsfest, das die Familie stets gemeinsam in Platikow feierte. Ulrich beschloß, diese Zeit noch im väterlichen Schloß zu bleiben, und da sein Bruder für den Schriftverkehr der Gutbetriebe im Besitz einer Schreibmaschine war, könnte er auf dieser sein Manuskript in Druckschrift übertragen. So brauchte er die teils schlecht lesbaren Seiten keinem Schreibbüro anzuvertrauen in der ständigen Sorge, der Text könnte verfälscht werden. Daß dies für ihn als ungeübten Schreiber eine langwierige Prozedur sein würde, bei der er sich möglichst keine Fehler leisten durfte, wurde ihm erst im Laufe der kommenden Tage bewusst. Aber er arbeitete mit fast der gleichen Besessenheit wie beim Verfassen des Werks.

      Die schwierigste Entscheidung war übrigens jene, die doch die einfachste sein müsste: Wer war der Verfasser dieses Werkes? Und plötzlich kehrten die Berliner Dämonen zurück. Rasch verwarf er alle Gedanken an seine bisherigen Pseudonyme – mit jedem hätte er seinem Buch bereits eine bestimmte Absicht unterstellt, eine politische Heimat gegeben und damit jene innere Wahrheit verraten. Er hätte ein neues, ein weiteres Pseudonym wählen können, aber auch das erschien ihm ungemessen. Warum sollte er sich diesmal verstecken hinter einem unbekannten Namen? So beschloß er nach mancher Stunde voll innerer Zerrissenheit, seinen wirklichen Namen auf das Titelblatt zu setzen. Und er tat es ganz zum Schluß mit einem feierlichen Gefühl.

      7. Kapitel

      Bereits zu den Weihnachtstagen setzte anhaltender Schneefall ein, der Park vor den Fenstern überzog sich mit einer dichten weißen Decke, die Kronen der Bäume trugen widerwillig ihre Last. Der Vater hatte längst sein Automobil in einem Schuppen abgestellt, und der Kutscher brachte ihn mit dem Schlitten auf die Güter, bis die Pferde im tiefen Schnee versanken und der Baron seine Fahrten auf das Notwendigste beschränkte, um die Tiere zu schonen.

      Ulrich blieb noch über den Neujahrstag hinaus, obwohl es ihn nun drängte, nach Berlin zurückzukehren. Als der Himmel wieder die winterliche Bläue zeigte und auch der Wind einschlief, so dass alle Schneewehen von den Bahnstrecken geräumt worden waren, schlug er den Karton mit seinem Manuskript sorgfältig in Ölpapier, befestigte einen Holzknebel an der Verschnürung und umhüllte sich mit seiner Winterkleidung, um sich dann zum Bahnhof bringen zu lassen.

      Der Schnee auf Berlins Straßen sah eher grau und braun als weiß aus, ein trister Anblick nach den Wochen im pommerschen Winter, aber Ulrich war dennoch froh, wieder in der Hauptstadt zu sein. Nun galt es, einen geeigneten Verlag zu finden. Seine Kontakte zu den verschiedenen Zeitungsredaktionen halfen ihm nicht, als Buchautor und unter dem Namen von Pendragon war er unbekannt. Außerdem sollte seine bisherige journalistische Tätigkeit ja auf jeden Fall dem Lektorat verborgen bleiben.

      Ulrich war froh, dass von ihm keinerlei Fotos in den Archiven der Presse ruhten, er hatte jede Begegnung mit Fotografen tunlichst vermieden, um seine unterschiedlichen Identitäten zu wahren. So entschloß er sich, bei Samuel Fischer vorzusprechen, und es freute ihn, dass man in diesem renommierten Hause sein Manuskript zur weiteren Prüfung annahm. Das Warten auf einen Bescheid fiel ihm schwer, obwohl er seine juristischen Studien wieder aufnahm, schon um sich abzulenken.

      Und dann hielt er eines Tages ein Schreiben des Verlages in der Hand, das ihn zu einem Besuch bei einem Lektor aufforderte. Trotz allem Selbstbewusstsein - er hatte ein unangenehmes Gefühl an jener Stelle des Körpers, wo sein Magen in die verschlungenen Därme überging, als er das Verlagshaus betrat. Doch er wurde überaus freundlich empfangen, und der Lektor fand allerlei lobende Bemerkungen zu seinem Werk, brachte zwar eine Reihe von Änderungsvorschlägen vor, eröffnete ihm jedoch, der Verlag würde das Buch zur Veröffentlichung annehmen, zunächst allerdings in kleiner Auflage. Als noch unbekannter Autor müsse er das verstehen.

      Man würde die Leipziger Buchmesse und überhaupt die ersten Verkaufsergebnisse abwarten. Aber Ulrich wusste: Wenn Fischer überhaupt ein Werk herausbrachte, läge es rasch auf den Schreibtischen der wichtigsten Feuilletonisten, und deren Urteil würde über ihn und sein Buch entscheiden. Also galt es wieder zu warten.

      Es war März, als er die ersten gebundenen Exemplare auch in den Auslagen der Buchhandlungen entdeckte. Und was er sich zwar ständig erhofft, aber nie wirklich erwartet hatte, trat ein: Die literarische Welt in Berlin sprach über sein Buch, und – es wurde gekauft. Die Saga aus der Provinz, diese Erzählungen von all den Menschen auf den Gütern und in den Herrenhäusern, dieses große Gemälde pommerscher Landschaft und pommerscher Geschichte fand zunehmend das Interesse des Publikums und vor allem die Anerkennung vieler Kritiker.

      Ulrich von Pendragon – das war ein Name, der plötzlich überall auftauchte, auch wenn sich sein Träger möglichst selten in der Öffentlichkeit zeigte. Und das Erstaunliche: Der Autor fand Zustimmung bei den verschiedensten Rezensenten, die doch für einander sich heftig befehdende Gazetten schrieben. Was ihm nichts als jene innere Wahrheit war, die er sich von der Seele schrieb, es wurde unter der Hand zum Werkzeug höchst gegensätzlicher Wahrheiten: Die Nationalisten lobten sein Buch als völkisches Epos, als Beispiel germanischer Art und deutscher Gesittung, die Sozialisten entdeckten darin eine verborgene Kritik an den bestehenden Verhältnissen, die verändert werden müssten, die Liberalen hoben den Naturalismus hervor, mit dem der Autor Landschaft und Leben beschrieb.

      So sehr es Ulrich von Pendragon schmeichelte, dass dieses Werk auf so breite Zustimmung stieß – er spürte mit einem inneren Erschauern, dass sein Pakt mit dem Teufel ihn immer noch fest im Griff hatte. Und als ihn sowohl der „Vorwärts“ als auch der „Stürmer“ um eine Rezension baten – er verkehrte mit den Redaktionen seit jeher nur über Postfächer, die er für jedes seiner Pseudonyme eingerichtet hatte und die ja auch weiterhin bestanden, um seine eigentliche Anschrift nicht zu verraten – da wusste er, dass er seine Vergangenheit nicht einfach ablegen konnte.

      Er musste es sich eingestehen: Einen Augenblick lang reizte es ihn, das eigene Buch zu besprechen und dabei höchst gegensätzliche Aussagen darin herauszustreichen, doch dann verbot er sich die Zusage, erschrak er über die Versuchung, das alte Spiel weiterzuspielen, zu dieser gespaltenen Persönlichkeit zurückzukehren und sein eigenes Werk dafür zu missbrauchen, zu beschmutzen, zu entweihen.

      Was ihn dagegen erfreute, war ein Besuch Merlins, des alten Freundes, der ihm lange ernst in die Augen sah bei seinem Glückwunsch, als ahnte er, dass dieses Buch zugleich eine Flucht war vor unbekannten Dämonen, die Ulrich bedrohten. Merlin hatte sein Studium in Berlin beendet, hatte an der Breslauer Universität eine Anstellung als Assistent gefunden und war dabei, sich dort zu habilitieren.

      Diese schlesische Hochschule, seit der Abtrennung Oberschlesiens vom Reich im Brennpunkt deutsch-polnischer Auseinandersetzungen gelegen, schien dem Slawisten der Ort, wo wachsendes Wissen beider Nationen voneinander vielleicht doch noch Ausgleich und Versöhnung bewirken könnte. Die Erfahrung, die er mit seinen beiden Muttersprachen an sich selbst gemacht hatte – genauer gesagt: mit dem Idiom der Mutter und jener Sprache, die sein Vater zeitlebens bevorzugte - diese Erfahrung wollte er auch den Studenten vermitteln: dass nämlich jede zur Bereicherung der anderen werden könnte.

      Die beiden Freunde sprachen lange über diese Sicht der Dinge, und Ulrich beneidete den Älteren um seine unverwüstliche Hoffnung auf ein fruchtbares Miteinander zweier Kulturen, aber er wusste, dass er mit manchen seiner Artikel eben dieses Miteinander nicht nur infragegestellt, sondern bekämpft und lächerlich gemacht hatte. Und es schmerzte ihn, dies verheimlichen zu müssen. Noch nie hatte er die Dämonen so deutlich gespürt, denen er sich ausgeliefert hatte.

      Und er wusste, dass sie weiterhin lauerten, ihn zu verstricken, dass er sich selbst daraus auch nicht würde lösen können, dass auch dieses Buch ihn nicht befreien konnte – wenn auch die daraus erzielten Einkünfte es ihm ermöglichten, auf journalistische Honorare weitgehend zu verzichten. Aber es war ja nicht das Geld, das ihn zu dieser Art des Schreibens gezwungen hatte, es war die schiere Versuchung, diese verfluchte Lust, mit dem Mittel der Sprache Ja und zugleich Nein sagen zu können, Gut und Böse gleichermaßen zu vertreten – wobei er


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