Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel. Iris Weitkamp

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Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel - Iris Weitkamp


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immer wieder neu einzulassen, auf Menschen und andere Abenteuer.

      Allmählich begann sie, sich für Ingas Pläne zu erwärmen. Tatsächlich konnte eine berufliche Veränderung von Vorteil sein, solange Detlef am selbem Arbeitsplatz ein und aus ging. Gewohnt, einen komplexen Sachverhalt Stück für Stück zu klären, nahm sie sich vor, Ingas unglückselige Verliebtheit zunächst außen vor zu lassen, das Problem des Mietvertrags am Nachmittag zu lösen und erst einmal alle Energie auf das Naheliegendste zu richten. Sie nahm ihr zweites Brötchen mit hinüber zum Schreibtisch und fuhr den Rechner hoch.

      „Dann wollen wir mal sehen, dass wir deine Kündigung hieb- und stichfest formulieren. Du räumst den Tisch ab, ich schreibe.“

      Etwas mulmig war es Inga denn doch, als sie die Werbeagentur betrat. In der Tür zu ihrem Büro prallte sie mit Detlef zusammen, der einen Stapel Entwürfe unter dem Arm trug. Ihre Entwürfe. Arbeiten, die sie für eine große Körperpflegeserie angefertigt hatte.

      „Lässt die gnädige Frau sich auch mal wieder sehen?“ Seine kalten Augen musterten sie hochmütig. Angriff war schon immer seine beste Verteidigung gewesen.

      „Ich sehe ja, du vertrittst mich nur zu gern“, entgegnete Inga mit einem vielsagenden Blick auf die Unterlagen.

      Mein Gott, wie hatte sie jemals etwas an ihm finden können. Nichts war geblieben von ihren Gefühlen, nicht einmal Hass. Ein gewisses Mitleid vielleicht. Detlef, der eitle Pfau, der immer um sich selbst kreiste, der nach oben buckelte und nach unten trat. Der anderen die Ideen klaute, weil ihm selbst nichts mehr einfiel, der nicht damit klar kam, dass er älter wurde und sein Haar schütter. Jetzt bepinkelte er sich fast vor Schadenfreude, weil Inga Ärger erwartete. Er würde ihr nie verzeihen, dass sie ihn verlassen hatte.

      Auf dem Weg zum Chef kam Inga die grell Lackierte entgegen.

      „Hallöchen meine Liebe, bist du wieder gesund?“ flötete sie und schmackte rechts und links neben Ingas Wangen Küsschen in die Luft.

      Inga lächelte mit gefletschten Zähnen zurück. Was waren wir hier alle modern und aufgeschlossen. Vom Laufburschen bis zur Firmenleitung duzte jeder jeden, Bussibussi, eine große glückliche Familie. Bah. Nicht mehr lange, und sie würde dieses Affentheater für immer hinter sich lassen.

      Ihr Chef winkte sie auf ihr Klopfen sofort in sein Allerheiligstes und schloss die Tür. An seiner verlegenen Art, sich die Nase zu reiben, erkannte sie, dass auch er eine Entscheidung getroffen hatte. Sie setzten sich an den Konferenztisch. Die Tür ging wieder auf, und zu Ingas Überraschung traten die beiden anderen Seniorpartner ein, gefolgt von den Grafikern und Textern. Detlef und die Orangerote nahmen dicht nebeneinander Platz. Es würde mich wirklich wundern, dachte Inga, wenn sie noch nicht miteinander schliefen. Sie holte tief Luft. Statt abzuwarten, bis man das Wort an sie richtete, nahm sie entschlossen die Gesprächsführung in die Hand.

      „Schön, dass wir alle zusammen sind, so muss ich nichts zweimal sagen. In den letzten Wochen war es nicht einfach. Weder für mich, mit gebrochenem Arm meinen Job weiter auszufüllen - und ich habe ihn ausgefüllt, wir konnten den Auftrag an Land ziehen - noch für die Firma. Ich habe nun aus der Situation die Konsequenzen gezogen und kündige fristgerecht zum Ende des Quartals.“ Inga nahm das Schriftstück, welches Sabije am Morgen entworfen hatte, aus ihrer Tasche und legte es auf den Tisch. „Alles Wesentliche geht hieraus hervor. Mein Geld für die Beteiligung, das ich bereits an unseren Notar überwiesen hatte, wäre auf mein Konto zurück zu zahlen. Nach Abzug meines Resturlaubs, Überstunden und so weiter ist am neunundzwanzigsten mein letzter Arbeitstag.“

      Einen Moment war es still. Dann entgegnete der erste Seniorchef säuerlich: „Du enttäuscht uns, Inga. Du enttäuscht uns tief. Wir haben dir hier eine tolle Chance gegeben, als du mit nichts ankamst. Viele würden sich die Finger nach deinem Platz lecken. Und du wirfst uns den Kram vor die Füße.“

      „O nein, da irrst du dich“, erwiderte Inga. „Ich bin nicht mit nichts angefangen, und ich hab hier auch nichts geschenkt bekommen. Im Gegenteil. Ich habe einen Haufen verdammt guter Ideen und harte Arbeit in diesen Laden gesteckt und mir über die Jahre allerhand bieten lassen ...“ Sie dachte an die in letzter Minute abgesagten Verabredungen, an Länder, die sie nicht bereist, und Kinder, die sie nicht geboren hatte. All das interessierte hier niemanden. Keiner in der Agentur gab einen Deut darauf, welche Träume sie hatte, wer sie wirklich war ... Inga presste die Fingerspitzen an ihre Schläfen, um sich wieder auf die Besprechung zu konzentrieren. „Ihr habt gut verdient an mir“, fuhr sie fort. „Aber als ich ein bisschen Unterstützung gebraucht hätte, da ist mir hier ein eisiger Wind entgegen geweht.“ Sie sah in die Runde und begegnete fassungslosen Gesichtern. Derart klare Worte, einen solch scharfen Ton kannte man bei ihr nicht. Nun, dann wurde es ja höchste Zeit. Sie wendete sich an ihren Chef, den Förderer und, wie sie einmal geglaubt hatte, väterlichen Freund. „Bei dir hab ich eine Menge gelernt, das werde ich dir nie vergessen und will es nicht schlecht reden. Aber meine Zeit hier ist nun einmal vorbei.“ Inga schluckte, dann entschied sie sich, weiterzusprechen. Wenigstens einmal würde in diesem Lügengebäude die Wahrheit auf den Tisch kommen. „Gib es doch zu, Ihr wart eh drauf und dran, mich abzusägen.“

      Er sagte kein Wort, doch er nickte leicht.

      „Du bist bis auf Weiteres freigestellt“, ließ sich nun der andere Senior vernehmen, „Jemand wird dich in dein Büro begleiten, wo du deine persönlichen Dinge zusammenpacken kannst.“

      Inga traute ihren Ohren nicht. Sie warfen sie hinaus wie eine Diebin.

      Man gestattete Inga nicht, das Telefon zu benutzen, und sie versuchte über ihr Handy, Sabije anzurufen. Diese befand sich in einer Gerichtsverhandlung, hatte jedoch in weiser Voraussicht einen ihrer Leute instruiert. Auf seinen dringenden Rat hin ließ Inga sich das Mehrstück ihrer Kündigung unterschreiben, gab die Firmenschlüssel gegen Quittung zurück und bestand darauf, dass ihre Bürotür geöffnet blieb, während sie packte.

      Detlef lümmelte sich grinsend an ihrem Schreibtisch, in ihrem Drehsessel, und ließ Gemeinheiten los. Wahrscheinlich holte er sich dabei unter dem Tisch einen runter. Von diesem Triumph würde er lange zehren. Eine Bestätigung mehr, dass ihre Entscheidung richtig gewesen war. Inga achtete darauf, nicht in seine Reichweite zu gelangen. Sie hasste es, ihm diese Genugtuung zu verschaffen, doch sie behielt ihn argwöhnisch im Auge. Eine gestandene Karrierefrau, die sich jede Gefühlsregung verbot und im weiten Bogen um ihn herum huschte, um ihn nicht zu reizen: Wie erbärmlich ihre Angst doch war.

      Im Türrahmen erschien der Anwalt, mit dem sie eben telefoniert hatte. Er war der mit Abstand bestaussehende von Sabijes Angestellten, fünf Jahre jünger als Inga (und fast zehn Jahre jünger als Detlef), einen Meter neunzig groß und muskulös, was er mit maßgeschneiderten Anzügen noch betonte. Sabije hatte den Mann, der ihren Rückzug decken und den Karton mit ihren Habseligkeiten schleppen sollte, mit Bedacht ausgewählt. Inga mochte ihn schon immer, aber nie hatte sie sich so gefreut, ihn zu sehen. Vor Erleichterung hätte sie fast die kleine rote Vase fallen lassen, die sie in ein Stück Zeitung wickeln wollte.

      „He Sie, das ist privat! Raus hier, aber plötzlich“, pflaumte Detlef den Fremden in einem Anflug von Größenwahn an. Offensichtlich riss ihn die Aussicht auf Ingas Position und ihr Eckbüro zu Dummheiten hin.

      Der Anwalt gewährte ihm sein berüchtigtes Raubtierlächeln, welches vor Gericht die Vertreter der Gegenseite regelmäßig tiefer in ihre Sitze sinken ließ. Verschreckt erhöhte Detlef Lautstärke und Intensität seiner Schimpfkanonade, was den Tiger unbeeindruckt ließ, jedoch mehrere Mitarbeiter und zwei Seniorpartner auf den Plan rief. Mit offenem Mund verfolgten sie die Szene.

      „Für einen polizeibekannten Frauenschläger riskieren Sie ´ne verdammt dicke Lippe“, sagte der Anwalt freundlich und lächelte in die Runde.

      „Das ist eine maßlose Übertreibung!“ schrie Detlef. „Die Ärztin hat ja kaum was festgestellt, und wenn dieses Luder mich nicht so gereizt hätte ...“

      „Ah ja, die Masche ‚Täter wider Willen’. Nun enttäuschen Sie mich aber. Von einem Mitarbeiter dieser renommierten Werbeagentur hätte ich etwas Originelleres erwartet.“ Der Anwalt klemmte sich den schweren Karton


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