Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel. Iris Weitkamp

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Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel - Iris Weitkamp


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ich glaube ganz gut. Ich hab gleich einen Termin bei Ihnen.“ Inga konnte sich nicht erklären, was sie an ihm fand. Besonders charmant war er ja nicht. Wenn er überhaupt mal eine Miene verzog, dann durch ein ironisches Zucken des Mundwinkels. Zugegeben, eines sehr sinnlichen Mundwinkels. Sie hegte den dringenden Verdacht, dass sich dieser Oliveira dessen allzu bewusst war, und das ärgerte sie. Vergiss es, Freundchen, ich werde dich nicht anschmachten.

      „Also dann bis gleich.“ Anmutig entzog sie ihm ihre Hand, die er immer noch festhielt, und setzte ihren Weg fort.

      Robson blieb verwirrt zurück. Wie konnte eine einzige Person gleichzeitig so bezaubernd und so abweisend sein? Sie ließ ihn tatsächlich einfach stehen. Er konnte sich nicht erinnern, wann ihm dies das letzte Mal passiert war. Hatte er das nötig? Am Wochenende würde er in Hamburg auftreten, wie immer mit einer ganzen Schar Groupies am Bühnenausgang. Doch diese belanglosen Flirts (na gut, mehr als nur Flirts) verloren zunehmend an Reiz. Nur wenige Frauen besaßen eine so sprühende Art, dieses gewisse Etwas ... Amüsiert über sich selbst stellte Robson fest, dass er immer noch mitten in der Eingangshalle stand und ihr nachschaute.

      Als Inga wenig später Dr. Oliveira im Behandlungsraum gegenüber saß, schien dieser sich ganz auf die Untersuchung zu konzentrieren. Zwei routinierte Handgriffe, und er hatte den Knackpunkt gefunden.

      „Die Beweglichkeit der Finger ist in Ordnung. Die Kraft, die Sie in der Hand haben, auch. Aber für ihr Handgelenk müssen Sie was tun, dringend! Bekommen Sie Krankengymnastik?“

      „Ja, natürlich ...“

      „Was machen die denn mit Ihnen? Wenn Sie nicht sofort richtig Gas geben, bleibt das Gelenk für immer steif! Es lässt sich kaum hierhin biegen ... und die Beweglichkeit in diese Richtung ... das geht ja gar nicht! Belasten Sie, dehnen Sie! Kennen Sie Liegestütze?“

      „Nur vom Hörensagen ...“

      Dr. Oliveira geriet jetzt richtig in Fahrt. Er sprang von seinem Stuhl, warf sich vor Inga auf den Boden und gab eine praktische Demonstration. Es sah mühelos aus.

      „So. Alles klar?“ Er staubte seine Hände ab und setzte sich wieder. „Haben Sie noch Fragen?“

      Ja: Würden Sie mir eine private Trainingsstunde in meinem Schlafzimmer geben, dachte Inga. Oder: Erklären Sie mir das doch nochmal in Ruhe bei einem Bier. Nein, besser: Sie gefallen mir in dieser Position, so zu meinen Füßen. Was hatte sie nicht später für originelle, schlagfertige Antworten parat. Doch in diesem Moment brachte sie nichts anderes heraus als: „Ehm ... Sie haben gesagt, dass ich die Platte nicht für immer im Arm behalten muss. Wann ... wann kann das Metall wieder raus?“

      „In sechs Monaten, wenn der Bruch weiterhin gut zusammenwächst. Wir würden dann kurz vorher nochmal eine Kontrolle machen. Möchten Sie einen Termin?“

      Für einen gemeinsamen Kaffee, oder was meint der jetzt, stutzte Inga. Natürlich für die Untersuchung. Himmel! Dieser Kerl brachte sie aus dem Konzept, und sie konnte nicht einmal sagen, womit. Als er eine Bemerkung darüber machte, dass er in der vorhandenen Narbe schneiden und diese beim nächsten Mal vielleicht etwas schöner hinbekommen würde, platzte Inga heraus:

      „Sieht wirklich ein bisschen nach Handarbeitsunterricht der fünften Klasse aus.“

      „Es war ja auch verdammt spät an dem Abend, und wir waren alle müde“, schoss Oliveira zurück.

      Du meine Güte, was rede ich da, dachte Inga erschrocken.

      Bin ich denn verrückt geworden, dachte Robson, so einen Spruch loszulassen.

      Sie funkelten einander an wie zwei Kampfhähne. Zwischen ihnen vibrierte die Luft. Fast mit Händen greifbar hatte sich eine knisternde Energie, eine Gewitterstimmung aufgebaut, die sich nur in einem leidenschaftlichen Kuss oder einer schallenden Ohrfeige entladen konnte. Wer würde den ersten Schritt wagen? Herausfordernde Blicke flogen hin und her: Du zuerst. Sag ‚feige’. Raum und Zeit schienen den Atem anzuhalten.

      Ein kurzes, hartes Klopfen an der Tür und drei Personen, die sich hinein drängten, rissen Rob und Inga in die Wirklichkeit zurück.

      „Entschuldigen Sie bitte, Herr Kollege, wir müssten leider mal ganz kurz ...“. Der Chefarzt wandte sich einem Computerbildschirm zu, um Daten für eine Fallbesprechung aufzurufen. Neben ihm stand Dr. Prudens, schräg dahinter Frau Lohmann mit gezücktem Notizblock.

      Diese sah erst Inga, dann Dr. Oliveira aufmerksam an. Irgend etwas war hier im Busch. Hoffentlich hatte die Patientin sich nicht in den größten Frauenschwarm der Klinik verliebt.

      Dr. Prudens, der ihren Blick zu Dr. Oliveira hinüber falsch deutete, biss die Zähne zusammen. Von Bärbel, für die er eine besondere Schwäche besaß, hätte er irgendwie mehr erwartet. Frustriert wandte er sich von ihren entzückenden Sommersprossen ab und dem Monitor zu.

      „Schon in Ordnung. Wir sind gerade fertig geworden“, antwortete Robson geistesgegenwärtig und erhob sich.

      Inga wünschte inständig, wenigstens halb so souverän reagieren zu können. Stattdessen fühlte sie, wie ihr Gesicht rot anlief und ihr Mund trocken wurde. Sie musste sich zwingen, nicht hastig aufzuspringen. Blindlings angelte sie nach ihrer Tasche und drückte sich zur Tür hinaus.

      Mit immer noch bis zum Halse pochendem Herzen durchquerte Inga eilig den Clamart-Park. Sie lief durch die Rote Straße, Kleine und Große Bäckerstraße, über den Marktplatz und die Burmeisterstraße entlang bis in Sabijes Kanzlei, wo sie sich nach Atem und Fassung ringend an den Empfangstresen lehnte. Gottlob, die Sekretärin erfasste die Lage mit einem Blick.

      „Hallo, Frau Döring. Frau Rahmani müsste jeden Moment zurück sein. Sie hat bestimmt nichts dagegen, wenn Sie in ihrem Büro warten. Gehen Sie nur durch ...“

      Dankbar flüchtete Inga in den behaglichen Raum im hinteren Bereich der Kanzlei, in dem Orient und Okzident sich trafen. Zu aufgewühlt, um sich zu setzen, wanderte sie langsam hin und her. Bei jedem Besuch freute sie sich an den üppigen Pflanzen und farbenprächtigen albanischen Teppichen, an einer fein verzierten Lampe, einer osmanischen Schale. Sitzbezüge und Gardinen nahmen einzelne Farben der Teppiche wieder auf. Um den Eindruck von Exotik nicht zu übertreiben, waren die Möbel dagegen schlicht und modern gehalten. Der Schreibtisch und das große Regal mit Fachliteratur strahlten Sachlichkeit und Kompetenz aus. Inga schien es, als vereine dieses Büro genau wie seine Besitzerin in sich alle Vorzüge der verschiedenen Länder und Kulturen, die sie geprägt hatten.

      Sie bemerkte, wie die Anspannung von ihr abfiel, während sie die Hand nach der Misbaha, die Gebetskette, ausstreckte, die stets in einem hölzernen Kästchen auf dem Schreibtisch bereit lag. Langsam ließ sie Perle für Perle durch ihre Finger gleiten. Es gibt keinen Gott außer Allah ... Merkwürdig, dachte Inga, dass jede Religion sich für die einzig wahre hält und sie sich doch so ähneln. Ob Imam, Priester oder Rabbi - stets bleibt es männlichen Stimmen vorbehalten, Gott anzurufen.

      „Ahlan wa-sahlan. Willkommen.“ Sabije betrat das Büro, legte ihre Aktentasche auf einen Stuhl und umarmte Inga herzlich.

      „Schön, dass du mich besuchst. Ich habe eine Stunde Zeit. Wollen wir zum Italiener rüber oder uns etwas liefern lassen? Ich muss dir unbedingt von Magnus erzählen.“

      „Lieber was liefern lassen. Wer ist Magnus?“

      „Ein sehr sympathischer Spezialist für Einschusslöcher. Moment ...“, Sabije drückte eine Taste an ihrem Telefon.

      „Gemma, bitte bestellen Sie uns eine kleine Pizza Piccante und ...“, sie sah fragend zu Inga herüber.

      „Eine Pizza Spinaci, bitte. Auch eine kleine.“

      „Haben Sie das? Danke.“ Sabe wandte sich wieder an ihre Freundin. „Nun sprich dich aus. Was ist passiert?“

      „Woher weißt du nur immer so schnell Bescheid?“

      „Dein Gesicht hat es mir sofort verraten. Und die Perlen. Jedes Mal, wenn du die Misbaha zur Hand nimmst, bist du wegen irgend etwas sehr erregt. Bevor du mir nicht gesagt hast,


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