Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel. Iris Weitkamp

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Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel - Iris Weitkamp


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ein Pärchen. Außer dem leichten Rauschen der Baumwipfel hörte man keinen Laut.

      Schrilles Kläffen gellte durch den Hamburger Hauptbahnhof und sorgte für Aufsehen. Die schmutziggelbe, krummbeinige Töle, die den Lärm verursachte, trug ein edles Halsband mit funkelnden Swarovskisteinen und passender Leine. Am Ende der Leine hing Jörg, in dunklen Hosen und einem Hemd von Boss, und ließ sich über den Bahnsteig schleifen. Es war die sicherste Methode, seinen Besuch im dichten Gewühl zu finden.

      „Zwiebel!“ rief Inga lachend, und die Hündin legte an Tempo und Phonstärke noch zu. Nachdem die drei sich ausgiebig begrüßt hatten, beruhigte sich der Aufruhr. Durch die Menge der Reisenden an Gleis elf ging ein kollektiver Seufzer der Erleichterung.

      An der Alster ließ Jörg seinen Hund frei laufen. Während Zwiebel hierhin und dorthin schnüffelte, bummelten die Zweibeiner hinterher.

      „Du hast sie scheren lassen, oder?“

      „Genaugenommen hab ich es selbst gemacht. Sag`s bloß nicht weiter. Wenn meine Kundinnen das mitbekommen, schleppen sie mir sofort ihre eigenen Köter in den Laden.“

      Vor der pompösen Einfahrt zum Maritim leinte Jörg die Hündin wieder an. Nicht, dass Zwiebel sich nicht zu benehmen wusste. Vielmehr wollte Jörg dem strengen Portier unmissverständlich signalisieren, dass sie zusammen gehörten. Einen Herrn Neverland würde niemand in Hamburg abweisen, selbst wenn er in Begleitung eines verlausten Affen erschiene. Jörg und Inga machten es sich an einem schönen Platz am Fenster mit Blick auf die Alster gemütlich, während ein livrierter Kellner ohne mit der Wimper zu zucken einen Wassernapf aus feinstem Porzellan vor Zwiebel auf das Parkett stellte.

      „So, mein Goldstück, dann bring mich mal auf den neuesten Stand. Bei dir hat sich ja wohl einiges getan, seitdem wir uns das letzte Mal gesehen haben.“

      Die beste Methode, Jörg zum Reden zu bringen bestand darin, ihm erst einmal ihre eigenen Sorgen zu erzählen. Umso leichter würde es ihr danach fallen, herauszufinden, was ihn bedrückte. Als Inga versuchte, in Kurzfassung von den Ereignissen der letzten Wochen zu berichten, wurde ihr zum ersten Mal bewusst, dass in ihrem Leben kaum ein Stein auf dem anderen geblieben war. Kein Wunder, dass es Jörg vollkommen überforderte, alle Neuigkeiten zu verdauen. In dieser Verfassung, das wusste Inga aus langer Erfahrung, war es ein Kinderspiel, ihm seine intimsten Geheimnisse zu entlocken. Sie musste auch gar nicht lange bohren, um zum Kern des Problems zu gelangen: Claudia. Aus Ingas Sicht ein kaltherziges, egoistisches Biest, das den gutmütigen Jörg nur ausnutzte und sich einen Dreck um seine Gefühle scherte. Zum ersten Mal schien Jörg sich nun gewehrt zu haben, was Inga kaum fassen konnte. Das war ja wirklich höchste Zeit gewesen. Aber wie hatte er den Durchbruch geschafft? Millimeterweise holte sie es aus ihm heraus.

      „Hm … naja - sie nannte mich immer ‚Bärchen’ ...“

      „Wie furchtbar. Warum hast du ihr nicht gesagt, dass dir das auf den Keks geht?“

      „Oh, ich hab`s ihr gesagt. Sie meinte, im Bett wäre ‚Jörg’ viel zu sperrig. Das würde so abgehackt klingen, nach koitus interruptus.“

      Insgeheim musste Inga der verrückten Claudia da leider recht geben. „Aber ob ‚Bärchen’ so viel besser ist? Ich finde das, äh, nicht sehr erotisch ...“

      Jörg seufzte. „Mich hat es jedenfalls echt abgetörnt. Erinnerst du dich noch an meinen Kumpel Toby? Seine Frau hat mal mitten in einer heißen Nummer ‚Dieter’ gestöhnt.“

      „Au weia.“

      „Ganz genau. Er hat die Scheidung eingereicht. Aber ich hätte mich ehrlich gesagt lieber ‚Dieter’ nennen lassen als ‚Bärchen’.“

      „Vielleicht wäre Toby dann nicht zum Anwalt, sondern nach St. Pauli gefahren, eine Pistole kaufen.“

      Jörg lachte laut auf.

      „Obwohl ... ‚Jörg’ hat möglicherweise wirklich nicht den allersinnlichsten Klang. Bei der nächsten Frau könntest du dich doch etwas anders nennen. Ich meine - man kann von seinen Eltern schließlich nicht erwarten, dass sie bei der Namenswahl an alles denken. Wie wäre es zum Beispiel mit ‚Jörn’? Du müsstest nur einen einzigen Buchstaben ändern, und die Wirkung wäre eine ganz andere. Jörn ... das ist ein toller Name.“

      „Also ob Jörg oder Jörn, das ist doch fast dasselbe.“

      „Darf ich dich Jörn nennen?“

      „Nur im Bett.“

      Sie sahen sich an und lachten. Dieses Kapitel galt als lange abgeschlossen, und ihre Freundschaft war viel zu wertvoll, um daran zu rühren.

      Inga griff über den Tisch und drückte seine Hand. „Sei froh, wenn du sie endlich los wirst. Sie hat dich nicht verdient.“

      Jörg spielte gedankenverloren mit Ingas Fingern. „Los bin ich sie nicht. Noch nicht. Fürs Erste hab ich auf getrennte Schlafzimmer bestanden und ihr meine Kreditkarten weggenommen. Wenn sie ein tolles Kleid oder eine Sonnenbrille für zweitausend Euro gesehen hat, die sie unbedingt haben muss, kommt sie mich nachts besuchen. Ich hab ihr gesagt dass sie sofort rausfliegt, wenn sie ein einziges Mal etwas anderes zu mir sagt als ‚Jörg’.“

      Sprachlos starrte Inga ihren lieben, etwas zu dicken, etwas zu weichherzigen besten Freund an. Er zahlte, zog ihren Arm unter seinen und geleitete sie hinaus in die Sonne.

      „Weißt du, ich bin nicht blöd, sondern ein ganz normaler Mann. Mir ist vollkommen klar, dass Claudia nicht mich sondern meine Visacard meint, wenn sie sagt: ‚Ich liebe dich’. Sobald sie einen Typen findet, der so spendabel ist wie ich und zusätzlich einen Waschbrettbauch vorweisen kann statt eines Waschbärbauchs, ist sie weg. Aber ich bin immer noch verrückt nach ihr, vielleicht nur nach ihrem Körper, ich weiß es nicht ... und darum machen wir beide weiter, bis sie etwas Besseres gefunden hat. Angebot und Nachfrage.“

      Nachdenklich schlenderte Inga neben ihrem Freund und seinem ulkigen Hund her. Sie konnte ihm kaum vorwerfen, sich an ein berechnendes Miststück zu verschwenden. Hatte Jörg sich nicht vor kurzem noch Fransen an den Mund geredet, dass sie diesen nichtsnutzigen Detlef zum Teufel jagen sollte? Aber nein, Inga war starrköpfig immer weiter in ihr Elend gerannt, blind und taub für alle Warnungen. Jörg war nichts weiter übrig geblieben, als ohnmächtig vor Zorn mit anzusehen, wie sie litt.

      Jetzt ermunterte er sie: „Erzähl mir von diesem Krankengymnastikmenschen, in den du dich verliebt hast.“

      „Meine Güte, merkt man mir das so deutlich an?“ Sie hätte sich denken können, dass Jörg sie zu gut kannte, als dass es ihm entgehen würde. Ausführlich und mit glänzenden Augen begann sie von Michael zu schwärmen. Im Grunde war sie froh, mit Jörg die Situation aus männlicher Sicht bereden zu können. „Manchmal sieht er mich so an, ich weiß nicht ... Und er hat nichts davon gesagt, dass er gebunden ist oder dass ich nicht sein Typ bin, nichts in der Art. Ich meine hey - sind das nicht die Sachen, die man einer Frau sagt, wenn man sie abwimmeln will?“

      „Wahrscheinlich wollte er dich nicht verletzen. Mit einem Minimum an Kränkung ein Maximum an Abweisung erreichen.“

      Der rücksichtsvolle, einfühlsame Michael Levin. Ja, das würde zu ihm passen. Inga liebte ihn dafür umso mehr. „Er sagt, dass eine Frau, die er als Patientin kennengelernt hat, für ihn nicht in Frage kommt. Wie verrückt ist das denn? Ich meine - wir sind doch nicht beim Gebrauchtwagenkauf. Man kann sich schließlich nicht vorher aussuchen, bei welchem Händler man kauft, beziehungsweise wo oder in wen man sich verlieben will. Es ist nichts was man tut, sondern es passiert einfach - oder nicht. Bin ich etwa an dem Morgen losgezogen mit dem Vorsatz, mir einen schicken Physiotherapeuten zu angeln?“

      „Er ist ein Mann mit Prinzipien, und du bist als Patientin für ihn tabu. Finde ich gut, diese Einstellung.“

      „Na super.“

      „Inga, egal was er für dich empfindet oder nicht empfindet, er muss sich immer noch jeden Morgen beim Rasieren ins Gesicht sehen können ...“

      „Dabei hab ich mich gar nicht als Patientin in ihn verliebt“,


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