Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel. Iris Weitkamp

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Weil Inga aus dem Kirschbaum fiel - Iris Weitkamp


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nicht fair. Na komm, mein Goldstück, wir gehen shoppen und kaufen uns glücklich. Und danach suchen wir uns bei Wächter`s einen Tisch in der Sonne und futtern Torte, bis wir platzen.“

      Arm in Arm schlenderten sie in Richtung Jungfernstieg, um diesen vernünftigen Plan in die Tat umzusetzen.

      drei

      „Die zahlen nicht.“

      „Was?! Das können die nicht machen! Verflucht nochmal, Sabe, warum zum Teufel ...“

      „Mama hat gesagt, man soll nicht fluchen.“ Anneke nahm es mit dem, was ihre Mutter Marianne sagte, noch sehr genau.

      Inga, rechts und links je ein Shetlandpony am Strick, von denen jedes in eine andere Richtung dem saftigen Gras zustrebte, hielt ihr Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt und schrie nach dem Collie. In Gedanken überschlug sie hektisch, wie lange sie sich und die Meerschweinchen noch würde ernähren können, wenn ihr Geld aus der Agenturbeteiligung futsch wäre. Die beiden kleinen Mädchen auf den Shetties kreischten und lachten, der Hund bellte, und jetzt hupte auch noch ein Autofahrer hinter ihnen. Wenn man dabei nicht fluchen sollte, wann dann, fragte Inga sich. Nachdem sie ihre kleine Karawane zur Seite dirigiert, das Auto, dessen Fahrer freundlich winkte, vorbeigelassen und die Ponies am Straßenrand geparkt hatte (sollten sie doch einen Moment fressen, in Gottes Namen), versuchte sie es noch einmal.

      „Sabije, bist du noch dran? Was hast du eben gesagt - die Agentur will mir meine Kohle nicht zurückzahlen?“

      „Oh, die Geschäftsanteile schon. Aber sie versuchen, sich um deine Lohnzahlung zu drücken. Schließlich hast du eine reguläre Kündigungsfrist, und wenn sie dich bis zum Ende deines Arbeitsverhältnisses freistellen, ist das deren Sache. Du hast bis zum Schluss Anspruch auf deinen Lohn.“

      Darüber hatte Inga noch gar nicht nachgedacht. Zwei volle Monatslöhne mehr auf dem Konto, das wäre nicht schlecht. „Und was nun?“

      „Kannst du heute noch vorbeikommen und deine Unterlagen mitbringen?“

      Inga verrenkte sich den Arm, um auf ihre Uhr sehen zu können, und überlegte. Bis mittags hatte sie die Kinder, um vier Krankengymnastik, abends sollte sie zu Mariannes Mann Geert kommen. „Passt es dir gegen halb drei?“

      „Wunderbar. Sag mal, was ist das für ein Geschrei im Hintergrund? Jobbst du jetzt auch noch als Babysitter?“

      „So was ähnliches. Mehr eine Art Raubtierdressur, und ich übe noch. Bis nachher.“

      Mit den widerstrebenden Shetties im Schlepptau und einem umso eifrigeren Hund kehrte Inga ins Dorf zurück. Anneke und ihre Spielkameradin Melli rutschten von den blanken Pferderücken und halfen Inga, die Tiere zu versorgen. Anschließend kochten sie gemeinsam Nudeln mit Tomatensauce und zum Nachtisch Vanillepudding. Während sie in de Vries’ Küche wirtschaftete, die Mädchen in den Garten schickte, um Salat zu pflücken und Kräuter für die Sauce, stellte sie sich vor, es wären ihre Küche und ihre Kinder. Ihre eigenen Kinder, die mit frisch geerntetem Gemüse in den erdigen Händen zur Tür hereingetobt kamen, eifrig und stolz. Was für eine verrückte Idee, dachte Inga. Komplett abwegig ... und extrem verlockend.

      Ihre frisch ausgelebten Hausfrauentriebe ließen Inga nicht nur Unterlagen in die Kanzlei mitnehmen, sondern auch einen selbstgebackenen Kuchen. Sabije hatte bereits alles Wesentliche vorbereitet, arbeitete rasch letzte Details aus Ingas Arbeitsvertrag ein und bat gleichzeitig per Telefon um frischen Kaffee. Als Gemma ihn brachte, reichte Inga ihr im Gegenzug einen Teller mit großen Stücken Nusskuchen.

      „Hier, für Sie und die Kollegen.“

      „Oh, vielen Dank, Frau Döring. Haben Sie den selber gebacken?“

      „Ja - mein neuestes Hobby.“

      Sabije unterschrieb schwungvoll das soeben ausgedruckte Dokument und gab es ihrer Kanzleiperle in die freie Hand.

      „Das geht bitte heute noch an die Werbeagentur.“

      „Einschreiben mit Rückschein?“

      „Ja, warum nicht. Sie sollen ruhig bemerken, dass wir es ernst meinen.“

      Anders als die meisten Anwaltskanzleien führte Sabije einen nicht zu straffen Terminplan, der ihr und ihren Mitarbeitern kleine Auszeiten und Puffer für Unerwartetes gewährte. Spontane Kaffeepausen mit selbstgebackenem Kuchen waren genau, was ihr dabei vorgeschwebt hatte.

      „Hmm, köstlich. Du solltest Konditorin werden.“

      „Im Moment ist bei mir alles möglich. Ich genieße es, mit den Händen zu arbeiten und ganz bodenständige Dinge zu tun: Ausmisten. Kochen. Stricken. Ja, lach nicht. Auf die Dauer werde ich bestimmt wieder auf die hohe Bildung zurückgreifen - spätestens, wenn mein Geld alle ist. Aber da meine hervorragende Rechtsanwältin sich für meine Finanzen einsetzt“, Inga grinste die Freundin verschmitzt an, „kann ich mich ohne Stress umschauen.“

      „Hast du schon einen Plan? Ich meine - möchtest du in der Werbebranche bleiben? Oder etwas ganz anderes machen?“

      „Zur Konkurrenz gehen und meine alten Kunden mitnehmen? Ich gebe zu, manchmal schien mir das verlockend. Allein schon die blöden Gesichter zu sehen und Detlef eine Lektion zu erteilen wäre es wert. Mittlerweile bin ich mir aber sicher, dass das nichts mehr für mich ist. Nee, was Kreatives wäre schon schön, aber in eine andere Richtung.“ Ingas Blick fiel auf die Uhr.

      „Meine Güte, schon halb vier! Ich komme zu spät zur Krankengymnastik.“ Sie sprang auf und sammelte hastig ihre Kuchenplatte und die Aktenordner ein.

      „Das wäre in der Tat eine mittlere Katastrophe“, neckte Sabije und half der Freundin, alle Sachen in ihrer geräumigen Stofftasche zu verstauen. „Lass uns bald wieder in Ruhe miteinander reden. Wir waren lange nicht mehr essen.“

      „Ich liefere morgen Abend in Dannenberg Honig aus. Komm doch mit, und wir gehen danach zu Tante Lina.“

      Während sie sich verabschiedeten fiel Inga ein, dass sie vergessen hatte nach Magnus zu fragen. Sie hätte Sabije zu gerne mit Jörg verkuppelt, aber trotz einiger vorsichtiger Anstupser hatte sich in dieser Richtung leider nie etwas getan.

      Auf dem Weg in die Altstadt klopfte Ingas Herz, als wolle es ihr voraus eilen. Mittlerweile würde sie den Weg zu Michael Levins Praxis mit verbundenen Augen finden. Seit ihrem unordentlichen Liebesgeständnis hatten zwei weitere Termine stattgefunden. Sein Verhalten ihr gegenüber wirkte unverändert freundlich und entspannt. Gelegentlich meinte Inga, eine leicht flirtende Regung bei ihm festzustellen. Ein besonderes Lächeln, einen zärtlichen Ton ... Beim letzten Mal hatte sie zum Abschied ,Bis Freitag’ gesagt, und er hatte mit warmer Stimme geantwortet ‚Ich freue mich’. So etwas sagte man doch normalerweise nicht zu seinen Patienten, oder? Machte sie sich etwas vor? Ohne Zweifel war ihr Umgang miteinander vertrauter geworden, die Gespräche angeregter. Nach wie vor blieben seine Berührungen sachlich, so dass Inga während der Krankengymnastik nicht in Versuchung geriet, ihm die Klamotten vom Leibe zu reißen. Doch sobald sie ihm gegenüber saß und ihn beim Erzählen beobachtete, ihn ansah, wie er gestikulierte und sich durch das Haar strich, war es um sie geschehen. Manchmal glaubte sie, sich auf ihre Hände setzen zu müssen, um ihre Sehnsucht im Zaum zu halten. Nur ein einziges Mal diese Stelle an seinem Haaransatz berühren, mit den Fingern durch sein graumeliertes Haar fahren und es zerstrubbeln ...

      Als sie durch das große Holztor trat, sah sie ihn auf der Bank sitzen. Er blickte lächelnd auf. Für einen kurzen Moment fühlte es sich an, als sei sie eine Ehefrau, die nach Hause kommt.

      „Gehen Sie schon mal durch in den Behandlungsraum, ich bin sofort bei Ihnen.“ Er legte seine Zeitung zusammen.

      Inga tat wie geheißen und setzte sich auf den Besucherstuhl neben seinem Schreibtisch. Die offenbar unsortierten Papierstapel und rund um das Telefon verteilten Zettel erinnerten sie an ihren eigenen unordentlichen Büroplatz. Ein bunter Briefkopf mit einem weich gezeichneten Babygesicht fiel Inga ins Auge. Neugierig reckte sie den Hals. ‚Traumkind’ stand im Halbkreis über dem Bild


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