Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole (Roman). H. G. Wells

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Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole (Roman) - H. G. Wells


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diese Lage gebracht«, sagte sie. »Du und dein Partner. Meinst du, ich bin mir nicht klar darüber? Du und unsere Verlobung! Ihr ekelhaften Kriecher!«

      Ich stand und beachtete nicht, was sie sagte, obgleich ich mich später ganz genau daran erinnerte. Ich überlegte, mit welcher unerhörten Schreckenstat ich sie niederschmettern könnte. Ich kann die Fülle der Impulse, die auf mich einstürmten, nicht mehr entwirren. Eines aber weiß ich noch klar: daß ich sie plötzlich packte und ihr die Kleider vom Leibe zu reißen begann. Sie wehrte sich erst wild, dann erlahmte ihr Widerstand fast völlig. Sie hielt den Blick auf mein Gesicht gerichtet. Ich riß an den Hüllen ihres Körpers, bis sie fast nackt war, und warf sie auf das Bett. Dann traf mein Blick den ihren. Entsetzen erfaßte mich: Ihre Feindseligkeit war verschwunden! Gott weiß, über welchen Abgründen ich in jenen Augenblicken schwebte. Dann schlug der Wirbelwind meiner Gefühle mit einem Male um. »Hinaus mit dir!« schrie ich, packte sie und stieß sie hinter Graves her.

      Einen Augenblick lang beherrschte mich sinnloser Schrecken vor der Tat, die ich beinahe begangen hätte. Ich verachtete mich sowohl wegen meiner Begierde als auch wegen des Rückzuges vor der Begierde.

      Ich wußte nicht, was ich weiter tun sollte. Unentschlossen ging ich im Zimmer auf und ab und rief: »Mein Gott! Mein Gott!«

      Dann zeigte sich das furchterfüllte, aber immer noch gefaßte Antlitz von Graves in der Tür. Er blutete jetzt ziemlich heftig. Und er sagte: »Gib ihre Kleider her, du Idiot. Die Leute werden sagen, daß wir das miteinander abgekartet hätten.«

      Das war vernünftig. Das war sehr vernünftig. Trotz heftigen Widerstandes kehrte mir die Vernunft zurück. Aber ich glaubte immer noch, erstaunlich handeln zu müssen. Einen Augenblick lang überlegte ich, dann raffte ich ihre zerrissenen und zerdrückten Kleidungsstücke zusammen und warf sie Graves plötzlich ins Gesicht. »Verschwindet alle beide!« schrie ich.

      Sein Kopf tauchte zwischen den Kleidungsstücken auf. Er hielt das Zeug fest und drehte sich um.

      Ich hörte ihn die Treppe hinunterstolpern. »Du kannst so nicht auf die Straße gehen«, hörte ich ihn sagen.

      Weder das Schlaf- noch das Wohnzimmer schienen mir mehr der richtige Aufenthaltsort zu sein. Es fiel mir ein, daß mein Rad im Laden stand. Ich versuchte, eine würdevolle Haltung anzunehmen, ging zu der Tür hinunter, die zum Laden führte, und schloß sie hinter mir. Ich war nunmehr sehr ruhig und handelte planmäßig. Ich tastete mich nach dem Rad hin, strich ein Streichholz an und entzündete die Lampe. Ich dachte an den Brief, den ich gelesen hatte. Er war verschwunden, und ich fühlte, daß ich nun nicht noch einmal hinaufgehen konnte, um ihn zu suchen. Mein Blumenstrauß lag auf dem Ladentisch dicht neben der Lenkstange meines Rades. Ich hatte die Blumen vergessen. Ich hob sie auf, roch an ihnen und legte sie wieder hin. Dann verließ ich den Laden durch die Vordertür, bestieg mein Rad und fuhr davon, durch die beleuchteten Straßen, über die Brücke und dann hinaus auf die stille Landstraße, die nach Carew Fossetts führt.

      Ich ging sofort zu Bett und schlief während des größten Teiles der Nacht. Um die Morgendämmerung erwachte ich plötzlich und fragte mich, was denn geschehen sei.

      Es störte mich, als bald darauf die Vögel zu singen begannen. Sie hinderten mich am klaren Denken.

      5

      Zwischenspiel mit Mrs. Slaughter

      Die Phasen, die ich in den Tagen nach meiner Entdeckung durchlebte, sind für meine Geschichte gewiß von Wichtigkeit – ich fühle das und will sie so eingehend wie möglich schildern. Es fällt mir aber durchaus nicht leicht. Meine Erinnerungen sind außerordentlich ungleichmäßig: bald klar, detailliert und so scharf, als beträfen sie Dinge von gestern und nicht solche, die mehr als zwanzig Jahre zurückliegen; bald verschwommen, verzerrt, unbestimmt und von Gedächtnislücken unterbrochen. Ich kann in der Auswahl, die mein Gehirn da getroffen hat, weder einen Sinn noch ein System entdecken. Ich kann nicht erklären, warum ich mich meines Erwachens an dem erwähnten Morgen in allen Einzelheiten entsinne. Ich möchte, wenn das nicht zu spitzfindig ist, geradezu sagen, daß in die Erinnerung an jenen Morgen auch das Bild der Ereignisse vom Vorabend eingebettet ist. Ich erinnere mich also nicht unmittelbar daran, daß ich Graves eine Glasflasche an den Kopf geworfen habe, sondern ich entsinne mich der Erinnerung an diese Tat und der Verwunderung darüber, die mich am folgenden Morgen befiel.

      Vielleicht haben sich mir jene Stunden des Wachseins deshalb so stark eingeprägt, weil sie der erste in einer langen Reihe ähnlicher Gemütszustände waren. Es war, als ob das ganze Weltall, mich inbegriffen, sich verändert hätte, als ob das Selbst, das ich bis dahin gekannt hatte, ein Traum in einer Traumwelt gewesen wäre und nun die Wirklichkeit begonnen hätte. Die Morgendämmerung kam, aber sie brachte einen neuartigen, einen freudelosen Tag. Die emporsteigende Sonne ergoß ihr warmes Licht in mein Zimmer, doch dieses Licht hatte keine Seele. Die Vögel sangen, bald darauf ratterte ein Karren durch die Straße, und ein Junge pfiff, ich aber wußte, daß die Vögel nichts weiter waren als zwitschernde Maschinen, daß der Karren eine nutzlose Fahrt unternahm und der Junge trotz aller ahnungslosen Unbekümmertheit dem Tode und der Verdammnis verfallen mußte.

      Ich brütete über der unlöslichen Frage, warum ich den Sinn meines erwachenden Lebens an eine geistlose und gewöhnliche Halbjungfrau gekettet hatte und an einen Gefährten, der sich als Schurke erwiesen haben würde, wenn er nicht, ehe seine Schurkerei sich hatte voll betätigen können, ein eitler und genußsüchtiger Narr gewesen wäre. Noch größeres Kopfzerbrechen bereitete mir die Frage, wie ich mein kopfloses Selbst von diesen beiden schlecht gewählten Gefährten loslösen sollte.

      Völlig unvereinbar jedoch mit dem Hauptstrom meiner Gedanken war etwas enger Begrenztes und dabei Machtvolleres. Ohne Beziehung zu den anderen Erinnerungen schwebte mir der Körper Olive Slaughters vor, wie ich ihn halb entblößt auf das Bett geworfen hatte, und ich sah den seltsamen Ausdruck ihres Gesichtes wieder, das mich anstarrte, während ihr Widerstand erlahmte. Ich verachtete sie, haßte sie auf eine gewisse Art, doch rief dieses Bild zugleich ein so heftiges Verlangen in mir wach, wie ich es noch nie empfunden hatte. Welch ein Idiot war ich doch gewesen, von ihr abzusehen und wegzugehen! Wie soll ich den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Gedankenströmen schildern, die gleichzeitig und äußerst lebhaft mein Gehirn durchfluteten? Es war, als ob ich, ein junger Wilder, stillschweigend vor mich hinbrütete, indes ein alter Herr von Zeit und Raum, Vorherbestimmung und freiem Willen sprach.

      Ein Teil meines Gehirnes schmiedete Pläne, wie ich nach Oxford zurückkehren und mich der munteren Olive Slaughter bemächtigen könnte, und dachte nicht im geringsten an die möglichen Folgen eines solchen Beginnens; mein ganzes übriges Wesen fragte immer wieder, ich weiß nicht mehr in welcher Form, was mit meiner Seele geschehen sei und warum meine Welt zusammengestürzt war. An Graves dachte ich nur wenig und voll verächtlichen Hasses. Ich dachte nicht so sehr daran, daß er mich mit Olive Slaughter, sondern daß Olive Slaughter mich mit ihm betrogen hatte. Daneben regte sich unklar, aber lebhaft ein heftiger Vorwurf in mir: daß irgendwie ich selbst der Betrüger war, daß ich mit den beiden – ob vor oder nach meiner Entdeckung, wußte ich nicht recht – mich selbst betrogen hatte.

      Welches Selbst aber?

      Mein Gemüt unterlag seltsamen Schwankungen. Ich erhob mich und schleuderte ihr Bild, das auf meiner Kommode stand, gegen das Kamingitter. Das Glas krachte, zerbrach aber nicht. Dann hob ich das Bild wieder auf und stellte es auf seinen Platz zurück. »Wart nur, du«, sagte ich und teilte ihr in den gemeinsten Ausdrücken mit, was ich ihr antun wollte.

      Dann erinnere ich mich daran, daß ich auf meinem Rad in der warmen Morgenluft nach Oxford fuhr. Offenbar hatte ich gefrühstückt, mit meiner Hauswirtin gesprochen und die Zeit bis halb elf oder elf irgendwie hingebracht, doch sind all diese Einzelheiten aus meinem Gedächtnis gelöscht. Wahrscheinlich hatte ich auch eine bestimmte Absicht im Sinn, als ich nach Oxford fuhr, doch erinnere ich mich nur an eines klar: Es fiel mir beim Fahren auf, daß das Laub der Bäume sich ein wenig rot und gelb zu färben begann, und ich fragte mich, ob das einen frühzeitigen Herbst bedeute oder die Folge einer langen Reihe heißer, trockener Tage sei.

      Graves hatte gepackt und war verschwunden. Unsere Raumpflegerin hatte ihn, als sie am Morgen gekommen war, nicht


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