Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole (Roman). H. G. Wells

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Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole (Roman) - H. G. Wells


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Unternehmen entwickelt, welches nicht nur großen erzieherischen Wert für unser Land haben, sondern auch für uns selbst eine Quelle des Wohlstands und des Einflusses werden sollte. Man sprach damals in England allenthalben über die Mängel und Auswüchse des Buchhandels, und wir wollten diesen Klagen durch die Firma Blettsworthy & Graves abhelfen. Wir gedachten, in mehreren und schließlich in einer großen Anzahl von Städten Läden aufzumachen, die durch einen einheitlichen Farbanstrich von künstlerischem Blau in die Augen fallen und alle miteinander in Verbindung stehen sollten. Wir wollten sie höchst behaglich einrichten, sie mit Lehnstühlen und Leselampen versehen, und unsere Kunden sollten nicht so sehr zu Einkäufen genötigt, als vielmehr belehrt und zum Lesen eingeladen werden. Sooft es zu regnen begann, wollten wir ein Schild aushängen: »Tritt ein und lies, bis der Regen vorüber ist.« Wir planten eine ganze Reihe solcher erfreulicher Verbesserungen der damaligen Buchhandlung.

      Auf unseren Spaziergängen unterhielten wir uns darüber – jeder wartete voll Ungeduld darauf, daß der andere mit seiner Rede zu Ende komme –, welch große Vorteile unser Unternehmen uns sowie der ganzen Menschheit bringen sollte. Wir gedachten, unser Lager stetig zu vergrößern, bis wir die Verleger in der Hand haben würden; wir wollten die Achtung und die Zuneigung der gesamten intellektuellen Welt gewinnen. »Wir wollen die öffentliche Meinung organisieren«, sagte Lyulph Graves. Gute, junge Verlagsfirmen gedachten wir aufzumuntern und zu fördern, schlechte sollten entmutigt oder gebessert werden. Ich hegte den Gedanken an einen wachsenden kritischen Einfluß durch eine literarische Zeitschrift, deren Umschlag dasselbe gefällige Blau wie die Fassaden unserer Läden aufweisen sollte. Beiträge zu dieser Zeitschrift liefern zu dürfen, sollte, so beschloß ich, eine begehrte Ehre werden. Wir verbrachten glücklich einen ganzen Nachmittag damit, einander die Leute aufzuzählen, die keine Beiträge würden liefern dürfen.

      Schließlich gründeten wir in aller Form eine Gesellschaft. Zu dem Kapital von viertausend Pfund stellte jeder von uns die Hälfte. Da Graves kein Geld besaß, lieh ich ihm die notwendigen zweitausend zu einem mäßigen Zinssatz. Ich wollte mir eigentlich gar keine Zinsen zahlen lassen; Graves aber, der in Gelddingen höchst ehrenhaft war, zwang mich, es doch zu tun. Wir ernannten uns zu Geschäftsführern mit einem Gehalt von je fünfhundert Pfund jährlich, so daß meine Einkünfte durch die erfolgte Überweisung nicht verringert, sondern vergrößert wurden. Wir beschlossen, unseren ersten Laden in Oxford aufzumachen. Wir mieteten ein zwar ziemlich verfallenes, aber bequemes Haus mit Geschäftsräumen zwischen einem Metzgerladen und einer Leichenbestattungsfirma; die Miete war nicht hoch, doch mußten wir das ganze Haus neu instandsetzen lassen; hinter dem Laden richteten wir ein Büro ein, das sehr bequeme und teure Schreibtische und Schränke aufwies, im ersten Stock eine hübsche Wohnung für Graves, der sich im Hause selbst einquartieren wollte, um das Geschäft aufs beste überwachen zu können. Er bestand darauf, daß er im Hause wohnen müsse. Tag und Nacht wollte er sich unserem Unternehmen widmen.

      Wir ließen die Ladenfront dreimal streichen, bis wir endlich überzeugt waren, daß die nunmehr gewählte Blauschattierung Erfolg verspreche, und ich habe wohl kaum jemals einen prächtiger angestrichenen Laden gesehen. Unglücklicherweise schätzte der Maler unseren Geschmack so hoch, daß er sich mehr Farbe verschaffte, als für uns nötig war, und um sie aufzubrauchen, überredete er den Besitzer eines Teegeschäfts und einer Bäckerei in derselben Straße, sich einen Anstrich zuzulegen, von dem wir gehofft hatten, daß er das einzigartige Kennzeichen unserer Firma sein würde. Diesem Umstand verdankten wir etliche Anfragen nach chinesischem Tee und Hafermehlkuchen, und ohne Zweifel wurde dadurch auch das Geld einiger lesewilliger Leute auf den Pfad rein körperlicher Erfrischung gelenkt. Wir zogen betreffs der Frage des Urheberrechtes in bezug auf die Farbe einen Anwalt zu Rate, mußten aber erfahren, daß die Rechtslage für einen Prozeß zu unbestimmt war.

      Von diesem geringfügigen Ärgernis abgesehen, begann unser Unternehmen ganz ordentlich. Ich erinnere mich an jene Phase meines Lebens als an eine besonders glückliche. Die Blettsworthys haben sich seit jeher keineswegs über Handelsgeschäfte erhaben gedünkt, sondern sind stets bemüht gewesen, einen veredelnden Einfluß auf diesem Gebiete auszuüben, und ich sah bereits, wie sich die Blettsworthy-Buchhandlungen (Blettsworthy & Graves) über das Land ausbreiten und in der geistigen Welt eine ebenso nützliche und ehrenhafte Aufgabe des Austausches und der Anregung leisten würden, wie die Blettsworthy-Bank im Westen Englands. Ich sah mich das Unternehmen in ideeller Hinsicht leiten und fördern, ohne dabei in allzu starkem Maße in die praktisch geschäftlichen Unternehmungen eines emsigen, zielbewußten und vielleicht energischeren Partners verwickelt zu werden. Mein Leben sollte durch die strahlende Anwesenheit meiner Olive Glanz gewinnen, und die zahlreichen Mußestunden, die mir zuteil werden mußten, sobald das Geschäft erst in Gang gekommen sein und von selber laufen würde, sollten der Pflege meiner ästhetischen und geistigen Gaben gewidmet werden, an deren Vorhandensein ich nicht zweifelte, wiewohl ich ihre besondere Art erst noch ausfindig zu machen hatte.

      Ich berichte hier von den geheimen Gedanken eines jungen Mannes, von den hochfliegenden und umfassenden Plänen, mit denen die Jugend dem Leben begegnet. Nach außen hin betrug ich mich mit geziemender Bescheidenheit, ließ anderen ihren Vorrang und ihre Vorteile, machte höflich Platz und bestritt die Ansprüche derer, die mit mir zu wetteifern schienen, niemals. Mein Herz aber war von Selbstsicherheit erfüllt. Ich hielt mich für einzigartig und außerordentlich und meinte, daß meine Umgebung, eben weil es meine Umgebung war, ebenfalls außerordentlich sei. Ich sah einen Lebensweg voll hoher Verantwortlichkeit vor mir liegen. Graves galt mir als vortrefflicher Partner und erstaunlich fähiger Kopf, wenn auch die besten Teile unseres Planes meinem Hirn entsprungen waren. Und meine Olive Slaughter mit den blassen Lippen und den amethystfarbenen Augen war ein glühender Topas, ein feuriger Opal; keusch und leidenschaftlich zugleich, ehrlich und doch geheimnisvoll, war sie ein Geschöpf von außergewöhnlicher Lieblichkeit, dessen man dereinst im Zusammenhang mit mir gedenken sollte; sie sollte, auf ähnliche wenn auch legitimere Art mit mir verknüpft, gleich der Gioconda neben Leonardo späteren Geschlechtern ein leuchtender Stern sein.

      Ich besitze kein Porträt, das mich in jener letzten vollkommen glücklichen Phase meines Lebens darstellte. Ich glaube nicht, daß sich meine Selbstzufriedenheit und mein ungeheurer Ehrgeiz in meiner äußeren Erscheinung verrieten. Höchstwahrscheinlich sah ich nicht anders aus als irgendeiner von den erfreulich jungen Jünglingen, die es damals in England gab. Jedenfalls dachte ich nicht nur von mir und den Meinen gut, sondern von der ganzen Welt. Und die Blase meiner Selbstgefälligkeit sollte so bald und so grausam angestochen werden, daß es niemand nötig hat, an meinem damaligen Glück Anstoß zu nehmen.

      Ich mußte für einige Tage nach London fahren, um verschiedene geschäftliche Angelegenheiten zu regeln. Meine Rechtsanwälte, eine altmodische Firma, die schon meinen Onkel beraten hatte, waren in der Kritik meines neuen Unternehmens über ihre beruflichen Rechte ein wenig hinausgegangen, und ich gedachte sie in bezug auf Graves zu beruhigen. Überdies hatte ich es mir in den Kopf gesetzt, Olive eine Halskette aus grünen, in Gold gefaßten Jadesteinen zu schenken, die ich nach genauen Angaben arbeiten lassen wollte. Auch war einer der Blettsworthys aus Sussex im Begriff zu heiraten, und ich wollte bei seiner Hochzeit nicht fehlen. Ich hatte mir vorgenommen, im ganzen vier Tage auszubleiben, als ich jedoch am dritten Tage der Hochzeit meines Vetters beigewohnt hatte, erfaßte mich plötzlich die Lust, einen Tag früher nach Oxford zurückzukehren und Olive durch mein unerwartetes Erscheinen am nächsten Morgen zu erfreuen. Wir waren nunmehr offiziell verlobt; ihre Mutter hatte mich mit großer Freude und einem Kusse als künftigen Schwiegersohn aufgenommen; ich konnte Olive nun unverhohlen Geschenke machen, und so nahm ich einen wunderschönen Blumenstrauß mit, der meine kleine Überraschung festlicher gestalten sollte.

      Ich fuhr am späten Nachmittag von London ab, aß im Zug mein Abendbrot und begab mich, in Oxford angekommen, zu unserem neuen Laden, zu dessen Straßentür ich einen Schlüssel hatte, um dort mein Rad zu holen. Oben in Graves Wohnzimmer war kein Licht, woraus ich schloß, daß er ausgegangen sei. Ich betrat den Laden, vermutlich geräuschlos, und anstatt einfach nur mein Rad zu nehmen, verweilte ich einige Minuten und betrachtete die unübertrefflich schöne Ausstattung des Geschäftes. Nur wenige Läden hatten damals Armstühle und einen großen mit Büchern belegten Tisch aufzuweisen, wie eine Klub-Bibliothek. Schließlich bemerkte ich, daß hinten im Bureau eine der grün beschirmten Lampen brannte; ich dachte, daß Graves


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