Die Faehlings - eine Lübecker Familie. Eckhard Lange

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Die Faehlings - eine Lübecker Familie - Eckhard Lange


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hatte ein schwaches Reich, hatte der Tod eines Königs den oft nur mühsam unterdrückten Haß vieler Slawen erneut aufbrechen lassen, hatte dazu geführt, die widerwillig anerkannte Oberhoheit der deutschen Fürsten über das Slawenland gänzlich abzuschütteln. Politische Unsicherheit aber ist Gift für den Handel über die Grenzen hinweg – ist eine Gefahr für jeden Kaufmann, der durch das Slawenland ziehen musste, um das Meer zu befahren.

      Hinrich von Soest stand schweigend im Bug seines Schiffes, an eben jener Stelle, wo er noch vor Stunden zufrieden und dankbar vorausgeschaut hatte. Er zog den Mantel mit dem Fuchspelz enger. Ihn fröstelte, und das nicht nur, weil von seinen nassen Beinlinge die Kälte an ihm emporkroch. Nein, diese Welt war nicht friedlich, sie war es ganz und gar nicht.

      Zweites Kapitel: Januar 1139

      Sie leuchteten wie silberne Scheibchen im Licht der tiefstehenden Wintersonne. Um jeden Schilfhalm hatte sich in der Nacht eine kleine Eisschicht gebildet, die mit den Wellen der Wochenitze einen zarten Tanz aufführten. Duscha saß am Ufer und beobachtete das Spiel. Sie hatte ein dickes Wolltuch um ihr Kleid gewickelt, auch ihr lockiges braunes Haar war unter einem wärmenden Tuch verborgen. Sie war vor wenigen Wochen sechs Jahre alt geworden und und konnte der Mutter schon in vielem zur Hand gehen. Aber heute hatte sie sich in aller Frühe aus dem Haus geschlichen, denn über Nacht war es empfindlich kalt geworden, und sie hatte gehofft, dass der Fluß bereits zugefroren wäre. Doch der sanfte Wellenschlag hatte die Eisbildung bisher verhindert, nur dort, wo die Wassertropfen an den dünnen Röhrchen des Schilfs hängengeblieben waren, waren sie Eis geworden. Aber für Duscha waren es kleine Silberstückchen, die dort glänzten.

      Die kleine Slawin war ein aufgewecktes Kind, aber sie war auch voller Fantasie und voller Träume, und manchmal schalt ihre Mutter, dass sie mitten in einer Arbeit innehielt und vor sich hin blickte: „Schlaf nicht ein, Kind,“ sagte sie dann, aber Duscha blickte sie nur an und antwortete erstaunt: „Ich schlafe doch nicht! Ich denke nach.“ „Wir hätten dich nicht Duscha nennen sollen,“ seufzte die Mutter manchmal, denn „Duscha“ bedeutete soviel wie Seele, und das Kind hatte eine große Seele – wissbegierig, nachdenklich, ja, und eben oft auch verträumt.

      „Hier bist du also, du Ausreißer!“ Es war die Stimme ihres Vaters, der sie aus diesen Träumen riß. „Deine Mutter sucht schon nach dir. Du hättest etwas sagen sollen, wenn du zum Fluß hinunter gehst. Und außerdem wartet der Hirsebrei auf dich. Also – marsch nach Hause!“ Aber das Mädchen blieb und blickte den Vater bittend an: „Du fährst heute wieder zu den Kaufleuten? Warum nimmst du mich nicht endlich einmal mit?“ „Ach Kind, das ist wirklich nichts für kleine Mädchen. Jetzt liegen all die Knorre und Langschiffe am Ufer, und die Schiffsknechte haben wenig zu tun im Winter. Da kommen diese Kerle oft genug auf dumme Gedanken, und eine kleine Slawin käme ihnen gerade recht.“

      „Kann man denn dumme Gedanken haben? Es ist doch klug, wenn man denkt, oder?“ Der Fischer Rastislav, ihr Vater, war ein eher schweigsamer und verschlossener Mann, doch jetzt musste er lachen. „Eigentlich hast du ja recht, Duscha. Aber leider gebrauchen viele Menschen ihren Kopf nicht dazu, etwas zu lernen oder etwas Neues zu erfinden, sondern eben, um sich etwas Dummes auszudenken. Und was hat dein Kopf heute morgen gemacht, als du einfach so aus dem Haus geschlichen bist? Das war auch nicht besonders klug, findest du nicht?“ Duscha senkte den Blick: „Ja, Vater,“ sagte sie gehorsam. Dann stand sie auf und ging langsam den Hang hinauf zur Hütte ihrer Eltern, die zwischen den anderen in einem zum Fluß hin offenen Halbkreis stand.

      Der Kietz, in dem sie mit den anderen Fischerfamilien wohnten, lag etwas oberhalb des Ufers, denn es geschah nicht selten, dass bei östlichem Sturm das Wasser der Trave anschwoll und auch in die Mündung der Wochenitze drängte. Dann mussten die Fischer ihre Boote höher aufs Land ziehen, während die hölzernen Stangen, an denen die Netze trockneten, manchmal schon knietief im Wasser standen. Für die Kinder war es eher ein Vernügen, in dem flachen Wasser herumzuspringen, aber an Fischfang war dann oft für mehrere Tage nicht zu denken, und die Männer gingen dann mit den Frauen zu den kleinen Äckern oben am Waldrand, um ihnen beim Unkrautjäten zu helfen.

      Sonst fuhren sie mehrmals in der Woche die Trave hinunter bis zu dem Landeplatz der deutschen Kaufleute, um ihren frischen Fang gegen allerlei Dinge einzutauschen, die sie nicht selbst herstellen konnten und dennoch für das tägliche Leben brauchten. Seitdem viele Händler aus dem fernen Liubice sich hier am Hügel Bucu niedergelassen hatten, lohnte sich die Fahrt. Früher machten die Kauffahrer dort meist nur für eine kurze Rast fest und hatten wenig Lust, für ein paar Fische ihre Waren vom Schiff zu holen. Außerdem lebten damals noch mehrere slawische Fischer in Hafennähe, und die hatten stets einen Vorteil, wenn es galt, Barsche, Forellen und Aale oder gar einen Wels zu verkaufen. Doch jetzt hatten die Deutschen die wendischen Fischer dort bis auf wenige vom Ufer verdrängt, an dem nun ihre seetüchtigen Schiffe festmachten.

      Auch heute wollte Rastislav seinen Fang dort anbieten, wer weiß, wie lange es noch dauerte, bis der Fluß zugefroren war, und die wenigen Fische, die sie dann noch aus Eislöchern mit der Angel herausholten, brauchten sie für die eigene Familie. Und wer wollte sich schon zu Fuß dorthin aufmachen, um den geringen Fang im Korb über den Hügel hinweg in die Siedlung zu tragen! Rastislav war gerade dabei, den schmalen Kahn ins Wasser zu schieben, als er vom Dorf her Lärm und erregte Stimmen hörte. Da kam auch schon Duscha angelaufen und rief schon von weitem: „Nicht fahren, Vater! Die Holsten kommen!“

      Der Fischer hielt inne und fluchte leise vor sich hin. War also doch wahr, was die Leute im Hafen sich seit Monden erzählten? Die Holsten, diese sächsischen Mordbrenner, die immer wieder über die Grenze ins Land der Wagrier einfielen, hatten den Winter genutzt, um über hartgefrorene Sümpfe einen neuen Angriff zu führen. Und jetzt näherten sie sich also auch der Trave und Bucu. Mit einem harten Schub stieß Ratslaw seinen Kahn ins Wasser, verband ihn mit einem langen Seil und ließ ihn dann ins Röhricht treiben. Wenn die Sachsen sein Haus niederbrannten, so würde er es eben wieder aufbauen, doch wenn er sein Boot verlor, könnte es Monde dauern, ehe er eine Eiche gefällt und aus ihrem Stamm einen neuen Einbaum gehauen hätte. Viele Wochen mit schwerer Arbeit und ohne Zeit und Möglichkeit, Netze auszuwerfen. Nein, sein Boot sollten sie nicht entdecken! Er sprang in das eiskalte Wasser, um den Kahn tief hinein in das Schilf zu schieben, bis nur noch das Seil zu sehen war. Und auch das tauchte ein, wurde unsichtbar für den ungeübten Blick.

      Währenddessen waren mehrere Frauen aus dem Dorf zum Ufer gekommen, um Wasser in hölzerne Eimer zu füllen. Alles hatten sie gemeinsam geplant, als ihr Dorfältester sie zur Versammlung der Männer gerufen hatte, um alle auf mögliche Überfälle vorzubereiten. In jeder Hütte wurde das Herdfeuer sorgsam gelöscht, die noch schwelende Glut mit feuchter Erde bedeckt. Das würde heute schwerfallen, war doch der Boden gefroren, aber es musste gelingen. Keine einzige Flamme durften die Feinde vorfinden, um damit Brände auf die Reetdächer zu werfen und alles niederzubrennen. Und erst mühsam Funken aus dem Stein zu schlagen, dazu nahmen sie sich meist nicht die Zeit, wo andere Dörfer zum Plündern einluden.

      Warum lassen uns diese Holsten nicht in Ruhe, wo sie doch unsere Nachbarn sind, dachte der Fischer, aber er musste sich zugleich eingestehen, dass auch seine Leute immer wieder dort, jenseits der Grenze, eingefallen waren, um zu brennen und zu rauben. Erst im vergangenen Jahr war Fürst Pribislaw, statt sich an den Ranen zu rächen, ins Holstenland eingefallen, hatte Dörfer niedergebrannt und die Siegesburg zerstört, die ihm wie eine Zwingburg der Deutschen erschien. Es schien Schicksal zu sein, ein geheimer Plan der Götter, dass seit Menschengedenken Feindschaft bestand zwischen den Wagriern und den Sachsen.

      Dabei kam man doch gut aus mit all den deutschen Kaufleuten, die zumeist ebenfalls aus dem Land der Sachsen kamen, allerdings von Süden her, wo ein breiter Strom fließen sollte in ein anderes Meer. Doch zum Nachdenken darüber blieb ihm jetzt keine Zeit. Sicher hatte der Dorfälteste bereits zwei junge Männer fortgeschickt als Kundschafter. Sie sollten von jenem Hang aus, wo der Höhenrücken steil abfiel in die sumpfigen Travewiesen, Ausschau nach den Angreifern halten und das Dorf rechtzeitig warnen. Dann würden alle Bewohner das Versteck aufsuchen, das sie hierfür vorbereitet hatten.

      Während die Menschen der anderen Dörfer meist ziellos in die Wälder flüchteten, sich dort zerstreuten und oft genug


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