Die Faehlings - eine Lübecker Familie. Eckhard Lange

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Die Faehlings - eine Lübecker Familie - Eckhard Lange


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Fluß sich in die Trave ergoß, hatte er viele kleine Sandbänke geschaffen, die inmitten des Schilfs nur dem Kundigen bekannt waren. Und eine besonders große Insel hatte man vor Jahren schon mit vielen Körben Erdreich gefestigt und so einen Lagerplatz geschaffen, auf dem die in den Boden gesteckten Weidenruten inzwischen zu einem dichten Gebüsch hochgewachsen waren, hinter dem sich die ganze Schar der Dorfbewohner gut verbergen konnte. Und der Zugang bestand nur aus flachen Steinen, die man möglichst unregelmäßig ins flache Wasser gelegt hatte, damit niemand sie als künstlichen Weg erkennen konnte. Auch wenn es bitter kalt war, dorthin würden alle fliehen und warten, bis die Gefahr vorüber war.

      Rastislav ging eilig zu den Hütten hinauf, wo die Frauen Brot und Ziegenmilch und getrockneten Fisch in Körbe verpackten, um sie auf die Insel mitzunehmen. Nein, Feuer konnten sie dort nicht entfachen, um warmen Brei zu kochen, der Rauch würde sie sonst verraten. Alles hatten sie genau geplant und besprochen und dennoch gehofft, sie würden nie dazu gezwungen sein. Aber heute sollte es wohl anders kommen. Der Fischer trat in sein Haus. In dem einzigen Raum war es rasch kalt geworden, seitdem das Herdfeuer erloschen war. Vesna, seine Frau, und Duscha hatten sich schon in die Wolldecken gewickelt, die nun ihr einziger Schutz gegen die Kälte waren, und auch für Rastislav lag eine Decke bereit. Der Korb mit den Esswaren stand griffbereit neben der schmalen Tür. Nun galt es abzuwarten, bis die Kundschafter weitere Nachricht brachten.

      Die beiden jungen Männer, die der Älteste ausgeschickt hatte, standen im Schutz der letzten Buchen, die noch unmittelbar vor dem Steilhang wuchsen, und blickten aufmerksam hinunter in das Tal der Trave. Dort erreichte ein Weg aus dem Westen das Ufer an einer festen Stelle, und wenn es auch keine Furt war, so ließ sich hier doch ein Kahn gut anlanden, um Waren oder Vieh ans andere Ufer zu bringen. Es war anzunehmen, dass die Holsten von dort her kommen würden. Und tatsächlich erkannten sie nur wenig später einige Reiter und viel Fußvolk, das sie begleitete. Ungeordnet und lärmend zog der Haufen heran. Einer der Berittenen lenkte sein Pferd ins Wasser, um die vermutete flache Stelle zu suchen, doch bald wurde der Fluß so tief, dass er umkehren musste. Nein, es war unmöglich, mit dem Fußvolk hier die Trave zu überqueren, und alle Schiffe lagen am anderen Ufer, wie sie rasch erkundeten.

      Und noch etwas nahmen sie wahr: Die Männer dort, die bei ihren Schiffen standen und mißtrauisch herüberblickten, sprachen ihre eigene Sprache. Man rief zu ihnen hinüber; es waren deutsche Händler aus Bardowieck und Lüneburg und auch sonst aus dem Sachsenland, ihre Stammesgenossen. Sie weigerten sich, den ganzen Trupp überzusetzen, schließlich seien sie keine Fährleute, sondern Seefahrer, und außerdem gäbe es hier auf dem Werder seit langem keine Wenden mehr, und die würden die Holsten doch suchen. Das war zwar keineswegs die Wahrheit, doch die Kaufleute hatten nicht die Absicht, sich die umwohnenden Slawen zu Feinden zu machen, und obendrein war jeder Kriegszug nur ein Schaden für ihre Geschäfte, wenn er nicht eben diesen Geschäften dienlich war, so wie der Kampf gegen Strauchdiebe und Seeräuber.

      Die Holsten berieten eine Weile. Vielleicht hatten die Worte der Kaufleute sie überzeugt, vielleicht war es auch nur das Hindernis, das der Fluß ihnen bereitete, jedenfalls wandten sie sich um und zogen nach Süden ab, folgten dem Weg, der ins Land der Stormarn führte, wohl in der Hoffnung, weiter flussaufwärts eine Furt zu finden, um ins Land der Polaben einzufallen, obwohl diese sich am Feldzug des Fürsten Pribislaw gegen die Siegesburg gar nicht beteiligt hatten. Doch für diese Horden brandschatzender Bauern waren das alles nur Slawen, heidnische Barbaren, die hölzerne Götzen verehrten und christliche Priester verjagten. Ihnen hatten sie Rache geschworen für die vielen Überfälle und vor allem für den Angriff der Wagrier im vergangenen Jahr.

      Die beiden Kundschafter schauten den abziehenden Feinden nach. Während einer von ihnen vorsorglich noch auf seinem Beobachtungsposten blieb, kehrte der zweite mit der Nachricht in den Kietz zurück. Als dann auch der letzte Späher dort erschien, begann man, zunächst die Herdfeuer neu zu entzünden, und langsam kehrte der gewohnte Alltag in das Leben im Dorf zurück.

      Für Duscha waren das aufregende Stunden gewesen. Zwar hatte sie von der wirklichen Gefahr keinerlei Vorstellung, die Aufregung der Mutter, die Sorge des Vaters hatten dennoch einen tiefen Eindruck in der Sechsjährigen hinterlassen. Doch auch das hatte sie gelernt: Es ist gut, voraus zu denken, Zukünftiges in Gedanken vorwegzunehmen und sich darauf einzustellen. Und – es ist gut, sich selber etwas zuzutrauen, nicht auf fremdes Urteil zu bauen, sondern der eigenen Erkenntnis zu folgen. Das würde sie ihr Leben lang nicht wieder vergessen.

      Drittes Kapitel: April 1143

      Adolf II., Edler Herr von Schauenburg, war vom jungen Sachsenherzog Heinrich, den man später den Löwen nannte, im Jahre des Heils 1142 erneut mit der Grafschaft über Holsten und Stormarner belehnt worden. Zugleich aber verlieh der Herzog ihm gräfliche Gewalt auch über das Gebiet der Wagrier, um endlich den Widerstand der Wenden dort zu brechen und Wagrien dem Herzogtum und damit dem Reich endgültig einzugliedern.

      Es waren unruhige Zeiten, und zwischen Wagriern und Holsten herrschte abgrundtiefer Haß. Fürst Pribislaw von Liubice hatte den Tod Kaiser Lothars genutzt, um ins Holstenland einzufallen. Vor allem die kaiserliche Burg auf dem Siegesberg, dessen Kalkfelsen schier uneinnehmbar über der Trave thronte, war den Slawen ein Ärgernis, ein sichtbares Symbol des deutschen Herrschaftsanspruches über ihr Land. Doch es gelang Pribislaw, die Burg zu erstürmen, und nichts war ihm dringlicher, als sie gründlich zu zerstören. Daß er zugleich auch die Kirche zu ihren Füßen nicht verschonte, von der aus jener Missionar Vicelin seine Reisen ins Land der Wagrier unternahm, war nur konsequent, denn Mission bedeutete für die Slawen nicht nur Unterwerfung unter den Christengott, sondern auch unter die Macht des Kaisers. Und beide forderten Abgaben von den wendischen Untertanen. So verheerten Pribislaws Krieger das umliegende Land, raubten und brandschatzten die Dörfer der Holsten.

      Die aber antworteten nicht weniger gewalttätig. Ohne die Zustimmung ihres Grafen zu erbitten, fielen sie im Winter 1138 in Wagrien ein und raubten, töteten und brannten nieder, was auch immer in die Nähe ihrer Äxte und Spieße kam. Weder Graf noch Herzog waren erfreut über diese Entwicklung, denn von ausgeplünderten Untertanen ließen sich nur schwer Steuern eintreiben, und Tote konnten keine Frondienste leisten, gleich, ob es nun deutsche oder wendische Tote waren.

      Es war keine leichte Aufgabe, vor der Graf Adolf nun stand. Als erstes ließ er die Burg auf dem Siegesberg erneut instand setzen, und als die Sonne wieder höher am Himmel stand und die Wege nach der Schneeschmelze einigermaßen passierbar waren, sammelte er eine Gruppe Bewaffneter um sich und brach auf, um dieses neue Lehen Wagrien in Augenschein zu nehmen.

      Drei Tage waren sie nun schon im Sattel, und die Siedlungen, die sie antrafen, boten ein erbärmliches Bild: Überall niedergebrannte und verlassene Hütten, daneben Häuser, die ihre Bewohner notdürftig wieder bewohnbar gemacht hatten. Überall verängstigte Bauern, die dem Trupp Gewappneter scheu entgegensahen. Und überall von Unkraut überwucherte Äcker neben wenigen, die noch bestellt waren. Dabei war das Land fruchtbar, ausgedehnte Wälder boten Holz im Überfluß, immer wieder trafen sie auf Seen, die reich waren an Fischen.

      Am Morgen des vierten Tages erreichte die Truppe ein Dorf namens Porin. Graf Adolf sprang aus dem Sattel, seine Gefährten folgten. Vorsichtig führten sie die Pferde auf den Dorfanger, um den herum sich kreisförmig die niedrigen Häuser reihten. Auf einigen Grundstücken standen nur ärmliche Grubenhäuser, auf anderen stattlichere Gebäude aus Flechtwerk, das sauber mit Lehm verputzt war.

      „Hier scheinen unsere Leute nicht gewütet zu haben,“ bemerkte Reginald, ein hochgewachsener junger Mann mit Lederwams und einem Lederhelm. Es war einer der gräflichen Ministerialen, Verwalter und Vogt der Burg in Faldera. Adolf hatte ihn in seine Nähe geholt, denn er beherrschte die Sprache der Slawen und diente dem Grafen nun als Dolmetscher. „Du hast recht,“ antwortete der Schauenburger, „dieses Dorf liegt aber auch abseits aller Straßen. Ruf die Leute zusammen!“ Reginald schlug mit seinem Kurzschwert dreimal an eine eiserne Stange, die in der Mitte des Dorfangers aufgerichtet war und deren Bedeutung die Deutschen nicht erraten konnten. Dann rief er etwas in der merkwürdig konsonantenreichen Sprache, die den meisten fremd und barbarisch klang, und langsam, zögernd und misstrauisch erschienen einige Männer, viele in häufig geflickten kurzen grauen Wollkitteln und den schräggestreiften


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