Anarchistische Analysen zur Gegenwart. Jörg Djuren

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Anarchistische Analysen zur Gegenwart - Jörg Djuren


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in diesem Zusammenhang immer das Risiko durch repressive Beschränkungen, direkte Gewalt und öffentliche Diskurspraxen zur nicht souveränen sondern fremdbestimmten Ware gemacht zu werden, im Extrem zeigt sich dies in der Gewalt gegen Prostituierte.

      Wie bei der Familiensimulation führt die Disfunktionalität der Sexualitätskonzepte aber auch hier meist nicht zu ihrer Infragestellung, sondern eher zu einer zeitweisen Simulation einer glücklichen Sexualität entlang der vorgegebenen Linien. Diese Simulation ist aber nie lange aufrecht zu erhalten, was dann aber meist auf individuelles Versagen zurückgeführt wird - es war halt nicht die/der Richtige -.

      Welche/Wer kennt diese Aussage nicht?

      Das fremdbestimmte Warensexualität (Prostitution in ihrer üblichen Form) und bürgerliche Ehe ein Kontinuum eines Gewaltverhältnisses darstellen, wie dies z.B. Ti Grace Atkinson schon in den 60er Jahren formuliert hat, und das politische Gegenwehr, die das gesamte Kontinuum von Ehe, fremdbestimmter und heute moderner souveräner Warensexualität angreift, notwendig ist, scheint vergessen.

      AnarchistInnen stehen auch hier wieder vor dem Problem sich sowohl gegen das bürgerliche Liebesideal, wie gegen die postmoderne Warensexualität zu stellen, ohne sich für den jeweils als gegenteilig aufgefaßten Standpunkt vereinnahmen zu lassen.

      Was tun?

      Das weiß ich auch nicht!

      Trotzdem einige Ideen aber nicht mehr.

      Eine Lösung könnte sein, Sexualität als flüssige wandelbare Praxis zu leben, in der keine Wahrheit gesucht wird, und in der auch keine Wahrheit zu finden ist. Dies würde auch einen Tausch ausschließen, da eine Sexualität, die nicht sie selbst bleibt, die sich unberechenbar in anderes umwandelt, sich einer Tauschwertzuweisung entzieht. Eine andere Lösung wäre ein willkürliches sich Verausgaben oder auch bei sich zu bleiben, ohne einen Tausch zu erwarten.

      Was habe ich dann?

      Alles und Nichts.

      Die Selbstinwertsetzung des Subjektes als Ware erfordert die Möglichkeit der Zuweisung eines Tauschwertes. Dies weist auf eine Ansatzmöglichkeit für Widerstand hin.

      Nehmen wir an ein Ding würde sich willkürlich und unberechenbar von einem Edelstein in ein Kaninchen und dann vielleicht in eine Leberwurst umwandeln. Einem solchen Objekt wäre ein Tauschwert nicht zuweisbar.

      Für alltägliche materielle Objekte ist dies eine absurde Vorstellung. Für das Warensubjekt gilt hier aber anderes. Das Warensubjekt muß seinen Wert gerade um ihn stabil zu halten alltäglich in der Interaktion reproduzieren.26 Dies gilt z.B. für die sexuelle Attraktivität aber auch für das vergeschlechtlichte Subjekt selbst.

      Nach der Theorie der feministischen Theoretikerin Judith Butler (re)produzieren wir die (hetero)sexuellen Verhältnisse täglich neu.27 Nur diese alltägliche Reproduktion stellt den sexuellen Tauschwert des modernen Warensubjektes sicher. Wird die Reproduktion unterbrochen, bzw. zur Subversion genutzt, wird mit der Infragestellung des Gebrauchswertes, bzw. seiner Fluktuation, auch der Tauschwert in Frage gestellt.

      Das heißt, die Verweigerung der Reproduktion der (sexuellen) Wertzuweisungen in der Interaktion oder ihre Störung durch z.B. inadäquates Agieren kann, zumindest sobald dies massenhaft auftritt, das System zum Zusammenbruch führen. EinE die/der heute schön und morgen häßlich und übermorgen wieder schön auftritt oder die Spiegelung des Gegenüber entsprechend verweigert, Männer wie Frauen behandelt und Frauen wie Männer usw., Mann wie Frau, bzw. beides nicht, ist, verflüssigt die Wertzuweisungen und verunsichert den Tauschwert. Dies ist mit der Sexualität als flüssiger Praxis gemeint.

      Dies ist aber erstens nicht einfach umsetzbar und löst zweitens massiv Aggressionen aus. Auch hier ist das Agieren aus sozialen und politischen Zusammenhängen notwendig, die die Handlungsmöglichkeiten erst schaffen.

      Ich behaupte nicht, daß ich dies hier und heute umsetze.

      Dies ist ein Versuch eine Alternative erst einmal zu formulieren.

      Zu schauen ist auch, ob sich Strategien dieser Art auch außerhalb der sexuellen Inwertsetzung des Subjektes anwenden lassen. Wie und wo?

      Was würde dies z.B. für eine antirassistische Praxis bedeuten, oder für ein Agieren in Wissenschaft und universitären Verhältnissen?

      Ist nicht gerade im Wissenschaftsbereich die Reputation hochgradig eine Frage der Interaktion?

      Wie ist festgelegt wessen Aussage und welche Interaktion zählt?

      Wie läßt sich hier eingreifen?

      Und wie ist dies mit der materiellen Realität durchmischt, mit dem Körper, mit den Produktionsverhältnissen?

      Wie kann die Tauschwertzuweisung unterlaufen werden?

      Jörg Djuren - Hannover, 2005

      (Erstveröffentlichung - vers beaux temps - Hannover, 2005)

      FIN

      Philanthrokapitalismus und kulturelle Hegemonie

      Zur Rolle von Stiftungen & anderen 'gemeinnützigen' AkteurInnen bei der Modernisierung kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse

      Stiftungen & .. in Deutschland

      In den Analysen kapitalistischer Herrschaft wird sowohl im sozialen und medizinischen Sektor als auch in der kulturellen Produktion die Rolle nichtstaatlicher 'gemeinnütziger' AkteurInnen meist vernachlässigt. Dabei kommt diesen Institutionen eine wichtige Rolle bei der Modernisierung und Bewahrung kapitalistischer Herrschaft zu.

      Ein Beispiel dafür ist der Bereich der Biopolitik, also die Formierung der Körper, ihre Disziplinierung und Optimierung für die Verwertbarkeit, und ihre Verwaltung und die Regulation des Bevölkerungskörpers. Biopolitik wird nicht nur von staatlicher Seite und im Arbeitsprozeß betrieben, sondern hier sind eine Vielzahl an 'sozialen' und 'medizinischen' AkteurInnen beteiligt. In Deutschland sind dies vor allem die Kirchen (Kindergärten, Krankenhäuser, 'Integrations'maßnahmen in den Arbeitsmarkt, Altenverwaltung, ..) oder die großen traditionellen Sozialverbände (DRK, ASB, DPWV, ..), die wesentliche Teile der biopolitischen Verwaltung der Menschen übernommen haben. Kritisch analysiert wird dies kaum, z.B. welche biopolitischen Muster der Praxis in kirchlichen Kindergärten zu Grunde liegen, und wo und wie diese in Machtprozessen ausgehandelt werden?

      Dabei handelt es sich allein vom finanziellen Volumen schon um Bereiche von beträchtlicher Bedeutung.

      Die Kirchen sind auch im kulturellen Bereich und in der internationalen Politik nicht unwichtige (biopolitische) Akteure (Brot für die Welt, Misereor, ..).

      Dazu kommen die großen Parteistiftungen, die zwar über kein Einlagevermögen verfügen, von der Größe ihres Ausschüttungsvolumens, daß sie vom Staat erhalten (Rosa Luxemburg Stiftung - Jahresetat 2006: 14 Millionen Euro28 , Heinrich Böll Stiftung - Jahresetat 2006: 40 Millionen Euro29 , Adenauer Stiftung - Jahresetat 2006: 101 Millionen Euro30 , Friedrich Ebert Stiftung - Jahresetat 2006: 112 Millionen Euro31 , Hans Seidel Stiftung - Jahresetat 2006: 42 Millionen32 , Friedrich Naumann Stiftung - Jahresetat 2006: 41 Millionen Euro33 ), aber mit den Top 100 der Stiftungen in den USA mithalten können. Die Parteistiftungen fördern dabei von Todesschwadronen (implizit durch finanzielle Förderung der Polizei autoritärer Staaten) bis hin zu Basisgewerkschaften und Menschenrechtsgruppen ein breites Spektrum an Gruppen weltweit. Sie agieren dabei entsprechend ihres politischen Programms, versuchen aber im Regelfall das westliche parlamentarische kapitalistische und marktwirtschaftliche System durchzusetzen, sei es in seiner repressiven Variante (Kohäsion durch Repression und Überwachungsstaat) oder in seiner sozialliberalen Variante (Kohäsion durch sozialstaatliche Institutionen und gesteuerte Aushandlungsprozesse), der grundsätzlichen Infragestellung dieser Struktur wirken die Stiftungen in ihrer Gesamtheit aber entgegen.

      Eine genaue kritische Analyse fehlt auch hier.

      Und


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