Anarchistische Analysen zur Gegenwart. Jörg Djuren
Читать онлайн книгу.2006: 100 Millionen Euro34 ).
Kapitalstiftungen gibt es zwar auch in der Bundesrepublik, aber sie sind nur einige unter vielen AkteurInnen. Die einzige Stiftung, die ausführlicher und kritischer analysiert worden ist, ist die Bertelsmann-Stiftung (siehe Wiki; Bildung schadet nicht - http://wiki.bildung-schadet-nicht.de/index.php/Bertelsmann-kritische_Informationen_und_Materialien -). Diese Analysen sind interessant, die Fokussierung auf die Bertelsmannstiftung unter Ausblendung der anderen Akteure birgt aber die Gefahr einer obskuren Dämonisierung, bei der diese Stiftung omnipotent erscheint und andere Akteure verniedlicht werden35 . Die Bertelsmannstiftung ist von der Größe des jährlichen Ausschüttungsvolumens (Jahresetat 2006: 61 Millionen Euro36 ) z.B. erheblich kleiner als die Friedrich Ebert Stiftung (Jahresetat: 112 Millionen Euro) oder die Konrad Adenauer Stiftung (Jahresetat: 100 Millionen Euro). Und es gibt auch in der Bundesrepublik noch andere Kapitalstiftungen vergleichbarer Größenordnung.
Eine kritische Analyse dieser Gesamtstrukturen für die Bundesrepublik Deutschland aus linksradikaler Sicht steht aus.
In den USA gibt es hingegen eine kritische und radikale Kritik zumindest an Teilen dieser zivilgesellschaftlichen AkteurInnen. Diese Kritik und die, in ihr in aktuellen Texten deutlich werdenden, neoliberalen Modernisierungstendenzen in diesem Bereich werden im folgenden, an Hand der von Gramsci inspirierten Kritik an den liberalen US-Stiftungen37 und an Hand der spezifischen Kritik an der Bill und Melinda Gates Stiftung (größte Stiftung der USA38 ), dargestellt und konkretisiert. Ein zusätzlicher Ansatzpunkt ist dabei die Kritik am Philanthrokapitalismus, der exemplarisch, an Hand der programmatischen Rede "A New Approach to Capitalism in the 21st Century", die Bill Gates in Davos im Januar 2008 auf dem World Economic Forum (WEF) gehalten hat39 und die als eine Art Manifest des Philanthrokapitalismus40 begriffen werden kann, hier kritisiert wird.
Stiftungen & .. aus den USA
Auch in den USA gibt es breites Spektrum zivilgesellschaftlicher Institutionen. Sie reichen von fundamentalistischen christlichen Strukturen, über neokonservative Stiftungen (z.B. Heritage-Foundation) mit ihren Think-Tanks, bis hin zu den großen alten liberalen Stiftungen, den "Big Three" (Ford-Foundation, Rockefeller-Foundation, Carnegie-Foundation).
Das Spektrum der Aktivitäten reicht auch hier von der Unterstützung fundamentalistischer Missionsarbeit, der Unterstützung von Contras und Diktaturen, bis hin zur Unterstützung von Menschenrechtsaktivitäten und sozialer Selbstorganisation.
Die Big Three, die aber nur einige Prozent der Gesamtaktivitäten bestimmen, stehen dabei klar in sozialliberaler Tradition. Ihnen kommt aber eine erhebliche Bedeutung für die Modernisierung kapitalistischer Verhältnisse und die Reintegration kapitalismus- und systemkritischer Gruppen zu. Übertragen auf deutsche Verhältnisse haben sie eine eine ähnliche Funktion, wie die linke Sozialdemokratie und die Grünen.
So waren es die Big Three, die weite Teile der 68er Bewegung in den USA finanzierten, und sie soweit als möglich reintegrierten ins US-System. Die Big Three stehen damit aber auch für die Unterstützung vielfältiger Reformen, vor allem der Affirmativ Action Programme für Farbige und Frauen, für die Unterstützung lesbisch-schwuler Bürgerrechte und für das Aufgreifen sozialer Probleme41 . Das erklärte Ziel dieser Stiftungen ist allen Menschen die Teilhabe am kapitalistisch parlamentarischem System zu ermöglichen. Dies äußert sich erstens, in hohen Aufwendungen für Bildung und Wissenschaft (Stipendien, Universitäten, Bibliotheken) und der gezielten Förderung diskriminierter Gruppen, und zweitens, in der systematische Zusammenarbeit mit Basisinitiativen und ihrer Rückbindung an eine reformistische sozialliberale Programmatik. Unterstützt werden Aushandlungsprozesse und die Schaffung von Partizipationsmöglichkeiten als Befriedungsstrategie. Zu Grunde liegt der Weltsicht dieser Stiftungen der Glaube an die technokratische (sozialwissenschaftliche42 ) Steuerbarkeit von gesellschaftlichen Prozessen. Sie stehen damit auch für die Stärkung von Experten und Fachgremien.
Das Zusammenwirken der liberalen Stiftungen und ihrer reaktionären Gegenstücke ähnelt dabei, sowohl in den USA als auch in anderen Ländern, dem Schema von Good Cop und Bad Cop, Herrschaftssicherung, die Reproduktion der bestehenden Verhältnisse, ist ihr gemeinsames Anliegen, aber dort, wo die einen mit Partizipation (Brotkrumen) locken bieten die anderen Militär auf.
Die Big Three waren dabei außerdem von vornherein nicht nur auf die USA fokussiert, sie haben erheblich Einfluß auf die Außenpolitik der USA genommen und weltweit Politik betrieben. Sie waren eine entscheidende treibende Kraft hinter der 'grünen Revolution'43 , der Chemisierung der Landwirtschaft im Trikont in den 60er und 70er Jahren mit ihren katastrophalen ökologischen Folgen und der Ausweitung der Macht der Agro- & Chemieindustrie. Und sie waren in den 80er Jahren an der Entwicklung des Begriffs und Konzeptes 'Nachhaltigkeit' wesentlich mit beteiligt44 .
Ihr Einfluß reicht auf Grund fast eines Jahrhunderts Tätigkeit und vielfältiger Verbindungen weit über ihre finanziellen Möglichkeiten hinaus. Viele UN-Initiativen und UN-Gremien und Institutionen der US-Außenpolitik sind unter dem Einfluß dieser Stiftungen entstanden45 . Auch die Ideologie der 'Humanitären Intervention' stammt nicht zuletzt aus dem Umfeld dieser Stiftungen.
Zusammen mit der Sorros-Foundation, die sich in ihrer Praxis eng an den Big Three orientiert hat, haben sie, im Laufe der 70er, 80er und 90er Jahre durch die gezielte Unterstützung pro kapitalistischer zivilgesellschaftlicher Gruppen wesentlich dazu beigetragen den us-amerikanischen kulturellen Einfluß in Osteuropa zu sichern und den Systemwechsel voranzutreiben46 .
Zu all diesen Tätigkeiten gibt es differenzierte Kritiken von Seiten der radikalen Linken in den USA47 . Die Kritik ist dabei durchgehend von der Ambivalenz geprägt, daß viele auch radikale linke Projekte (z.B. World Sozial Forum) unter anderem durch diese Stiftungen finanziert werden.
Diese sozialliberalen alten Stiftungen, mit ihrem Wissensreservoir von nun fast 100 Jahren Stiftungstätigkeit (Gegründet Anfang des 20ten Jahrhunderts), werden seit einigen Jahrzehnten durch eine Reihe Neugründungen mit ähnlicher Zielsetzung aber modernisierten Methoden ergänzt. Die Sorros-Foundation wurde schon genannt.
Unter diesen Neugründungen ist auch die nun mit Abstand größte US-Stiftung, die Bill-und-Melinda-Gates-Foundation (die zukünftig über ein Einlagevermögen von über 60 Milliarden Dollar verfügen wird und ein Ausschüttungsvolumen von jährlich ca. 3 Milliarden Dollar48 ), eine Stiftung, die sich von ihren Zielsetzungen an den alten liberalen Stiftungen orientiert und z.B. 30.000 Stipendien für schwarze Studierende in den USA zur Verfügung gestellt hat, aber gleichzeitig für eine radikale Modernisierung der Stiftungspraxis steht.
Diese Modernisierung läßt sich am besten mit den in den USA geprägten Begriff des Philanthrocapitalism beschreiben.
Philanthrokapitalismus
Der Begriff des Philanthrokapitalismus wurde um die Jahrtausendwende zuerst unkritisch geprägt als Werbung für einen Kapitalismus bei dem Superreiche aus ethischen Erwägungen und auf Grund der sozialen Anerkennung, die sie dafür erhalten, der Gesellschaft einen wesentlichen Teil ihres Vermögens zur Verfügung stellen. Dies wurde als bessere Alternative zu erzwungenen Umverteilungen beworben. Real stellen sie den Reichtum aber nicht der Gesellschaft zur Verfügung sondern Stiftungen, die weiter unter ihrer Kontrolle bleiben.
Die philanthrokapitalistische Ideologie setzt dabei, daß der erfolgreiche Großkapitalist auch die ideale Person ist, um die Verwendung seines Vermögens im Sinne des gesellschaftlichen Ganzen zu organisieren. Dies basiert vor allem auf der Annahme, daß der erfolgreiche Großkapitalist auch im philanthropischen Bereich derjenige ist, der Geldmittel mit maximaler Effizienz einzusetzen weiß.
Dies ist ziemlich genau das Selbstbild von Bill Gates, der, nachdem er sich aus der aktiven Arbeit bei Microsoft zurückgezogen hat, nun sich ganz der Stiftungsarbeit widmen will und nun mit dem selben Denken, mit dem er Microsoft erfolgreich gemanagt hat, Hunger und Krankheit im Trikont bekämpfen will.
Der Philanthrokapitalismus unterscheidet sich von der alten Politik der liberalen Stiftungen vor allem dadurch,