Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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sie zu ver­höh­nen.

      Cho­pins Bar­ca­ro­le. – Fast alle Zu­stän­de und Le­bens­wei­sen ha­ben einen se­li­gen Mo­ment. Den wis­sen die gu­ten Künst­ler her­aus­zu­fi­schen. So hat einen sol­chen selbst das Le­ben am Stran­de, das so lang­wei­li­ge, schmut­zi­ge, un­ge­sun­de, in der Nähe des lär­mends­ten und hab­gie­rigs­ten Ge­sin­dels sich ab­spin­nen­de; – die­sen se­li­gen Mo­ment hat Cho­pin in der Bar­ca­ro­le so zum Er­tö­nen ge­bracht, daß selbst Göt­ter da­bei ge­lüs­ten könn­te, lan­ge Som­mer­aben­de in ei­nem Kah­ne zu lie­gen.

      Ro­bert Schu­mann. – Der "Jüng­ling", wie ihn die ro­man­ti­schen Lie­der­dich­ter Deutsch­lands und Frank­reichs um das ers­te Drit­tel die­ses Jahr­hun­derts träum­ten, – die­ser Jüng­ling ist voll­stän­dig in Sang und Ton über­setzt wor­den – durch Ro­bert Schu­mann, den ewi­gen Jüng­ling, so lan­ge er sich in vol­ler eig­ner Kraft fühl­te: es gibt frei­lich Mo­men­te, in de­nen sei­ne Mu­sik an die ewi­ge "alte Jung­fer" er­in­nert.

      Die dra­ma­ti­schen Sän­ger. – "Wa­rum singt die­ser Bett­ler?" – Er ver­steht wahr­schein­lich nicht zu jam­mern. – "Dann tut er Recht: aber un­se­re dra­ma­ti­schen Sän­ger, wel­che jam­mern, weil sie nicht zu sin­gen ver­ste­hen – tun sie auch das Rech­te?"

      Dra­ma­ti­sche Mu­sik. – Für den, wel­cher nicht sieht, was auf der Büh­ne vor­geht, ist die dra­ma­ti­sche Mu­sik ein Un­ding; so gut der fort­lau­fen­de Kom­men­tar zu ei­nem ver­lo­ren ge­gan­ge­nen Tex­te ein Un­ding ist. Sie ver­langt ganz ei­gent­lich, daß man auch die Ohren dort habe, wo die Au­gen ste­hen; da­mit ist aber an Eu­ter­pe Ge­walt ge­übt: die­se arme Muse will, daß man ihre Au­gen und Ohren dort ste­hen las­se, wo alle an­de­ren Mu­sen sie auch ha­ben.

      Sieg und Ver­nünf­tig­keit. – Lei­der ent­schei­det auch bei den äs­the­ti­schen Krie­gen, wel­che Künst­ler mit ih­ren Wer­ken und de­ren Schutz­re­den er­re­gen, zu­letzt die Kraft und nicht die Ver­nunft. Jetzt nimmt alle Welt als his­to­ri­sche Tat­sa­che an, daß Gluck im Kamp­fe mit Pic­ci­ni Recht ge­habt habe: je­den­falls hat er ge­siegt; die Kraft stand auf sei­ner Sei­te.

      Vom Prin­zi­pe des Vor­trags in der Mu­sik. – Glau­ben denn wirk­lich die jet­zi­gen Künst­ler des mu­si­ka­li­schen Vor­trags, das höchs­te Ge­bot ih­rer Kunst sei, je­dem Stück so viel Hochre­li­e­f zu ge­ben, als nur mög­lich ist, und es um je­den Preis eine dra­ma­ti­sche Spra­che re­den zu las­sen? Ist dies, zum Bei­spiel auf Mo­zart an­ge­wen­det, nicht ganz ei­gent­lich eine Sün­de wi­der den Geist, den hei­te­ren, son­ni­gen, zärt­li­chen, leicht­sin­ni­gen Geist Mo­zarts, des­sen Ernst ein gü­ti­ger und nicht ein furcht­ba­rer Ernst ist, des­sen Bil­der nicht aus der Wand her­aus­sprin­gen wol­len, um die An­schau­en­den in Ent­set­zen und Flucht zu ja­gen. Oder meint ihr, Mo­zar­ti­sche Mu­sik sei gleich­be­deu­tend mit "Mu­sik des stei­ner­nen Gas­tes"? Und nicht nur Mo­zar­ti­sche, son­dern alle Mu­sik? – Aber ihr ent­geg­net, die grö­ße­re Wir­kung spre­che zu­guns­ten eu­res Prin­zips – und ihr hät­tet recht, wo­fern nicht die Ge­gen­fra­ge üb­rig blie­be, auf wen da ge­wirkt wor­den sei, und auf wen ein vor­neh­mer Künst­ler über­haupt nur wir­ken wol­len dür­fe! Nie­mals auf das Volk! Nie­mals auf die Un­rei­fen! Nie­mals auf die Emp­find­sa­men! Nie­mals auf die Krank­haf­ten! Vor al­lem aber: nie­mals auf die Ab­ge­stumpf­ten!

      Mu­sik von heu­te. – Die­se mo­d­erns­te Mu­sik, mit ih­ren star­ken Lun­gen und schwa­chen Ner­ven, erschrickt im­mer zu­erst vor sich sel­ber.

      Wo die Mu­sik hei­misch ist. – Die Mu­sik er­langt ihre große Macht nur un­ter Men­schen, wel­che nicht dis­ku­tie­ren kön­nen oder dür­fen. Ihre För­de­rer ers­ten Ran­ges sind des­halb Fürs­ten, wel­che wol­len, daß in ih­rer Nähe nicht viel kri­ti­siert, ja nicht ein­mal viel ge­dacht wer­de; so­dann Ge­sell­schaf­ten, wel­che un­ter ir­gend ei­nem Dru­cke (ei­nem fürst­li­chen oder re­li­gi­ösen) sich an das Schwei­gen ge­wöh­nen müs­sen, aber um so stär­ke­re Zau­ber­mit­tel ge­gen die Lan­ge­wei­le des Ge­fühls su­chen (ge­wöhn­lich die ewi­ge Ver­liebt­heit und die ewi­ge Mu­sik); drit­tens gan­ze Völ­ker, in de­nen es kei­ne "Ge­sell­schaft" gibt, aber um so mehr ein­zel­ne mit ei­nem Hang zur Ein­sam­keit, zu halb­dunklen Ge­dan­ken und zur Ver­eh­rung al­les Unaus­sprech­li­chen: es sind die ei­gent­li­chen Mu­sik­see­len. – Die Grie­chen, als ein red- und streit­lus­ti­ges Volk, ha­ben des­halb die Mu­sik nur als Zu­kost zu Küns­ten ver­tra­gen, über wel­che sich wirk­lich strei­ten und re­den läßt: wäh­rend über die Mu­sik sich kaum rein­lich den­ken läßt. Die Py­tha­go­re­er, jene Aus­nah­me-Grie­chen in vie­len Stücken, wa­ren, wie ver­lau­tet, auch große Mu­si­ker: die­sel­ben, wel­che das fünf­jäh­ri­ge Schwei­gen, aber nicht die Dia­lek­tik er­fun­den ha­ben.

      Sen­ti­men­ta­li­tät in der Mu­sik. – Man sei der erns­ten und rei­chen Mu­sik noch so ge­wo­gen, um so mehr viel­leicht wird man in ein­zel­nen Stun­den von dem Ge­gen­stück der­sel­ben über­wun­den, be­zau­bert und fast hin­weg­ge­schmol­zen; ich mei­ne: von je­nen al­le­rein­fachs­ten ita­lie­ni­schen Opern-Me­lis­men, wel­che, trotz al­ler rhyth­mi­schen Ein­för­mig­keit und har­mo­ni­schen Kin­de­rei, uns mit­un­ter wie die See­le der Mu­sik sel­ber an­zu­sin­gen schei­nen. Gebt es zu oder nicht, ihr Pha­ri­sä­er des gu­ten Ge­schmacks: es ist so, und mir liegt jetzt dar­an, die­ses Rät­sel, daß es so ist, zum Ra­ten auf­zu­ge­ben und sel­ber ein we­nig dar­an her­um­zu­ra­ten. – Als wir noch Kin­der wa­ren, ha­ben wir den Ho­nig­seim vie­ler Din­ge zum ers­ten­mal ge­kos­tet, nie­mals wie­der war der Ho­nig so gut wie da­mals, er ver­führ­te zum Le­ben, zum längs­ten Le­ben, in der Ge­stalt des ers­ten Früh­lings, der ers­ten Blu­men, der ers­ten Schmet­ter­lin­ge, der ers­ten Freund­schaft. Da­mals – es war viel­leicht um das neun­te Jahr un­se­res Le­bens – hör­ten wir die ers­te Mu­sik, und das war die, wel­che wir zu­erst ver­stan­den, die ein­fachs­te und kind­lichs­te also, wel­che nicht viel mehr als ein Wei­ter­spin­nen des Am­men­lie­des und der Spiel­manns­wei­se war. (Man muß näm­lich auch für die ge­rings­ten "Of­fen­ba­run­gen" der Kunst erst vor­be­rei­tet und ein­ge­lernt wer­den: es gibt durch­aus kei­ne "un­mit­tel­ba­re" Wir­kung der Kunst, so schön auch die Phi­lo­so­phen da­von ge­fa­belt ha­ben.) An jene ers­ten mu­si­ka­li­schen Ent­zückun­gen – die stärks­ten un­se­res Le­bens – knüpft un­se­re Emp­fin­dung an, wenn wir jene ita­lie­ni­schen Me­lis­men hö­ren: die Kin­des-Se­lig­keit und der Ver­lust der Kind­heit, das Ge­fühl des Un­wie­der­bring­lichs­ten als des köst­lichs­ten Be­sit­zes – das rührt da­bei die Sai­ten uns­rer See­le an, so stark wie


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