Gesammelte Werke. Henrik Ibsen

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Gesammelte Werke - Henrik Ibsen


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unruhigen Lauf nahm, wandeltet Ihr in diesem einsamen Oestrot, still, allein mit Eurem Dichten und Euren Träumen. Und darum werdet Ihr auch verstehen, was ich Euch zu sagen habe. – Wisset denn, daß auch ich einstmals ein Leben gelebt habe wie Ihr. Ich dachte, wenn ich hinausträte in die große, weite Welt, dann käme mir ein edles und herrliches Weib entgegen, die mir zuwinkte, die mir den Weg zu einem ruhmreichen Ziele zeigte. Aber nein, Eline Gyldenlöve, – Frauen begegneten mir; doch sie war nicht unter ihnen. Noch eh' ich ganz Mann geworden war, hatte ich sie insgesamt verachten gelernt. – Ist das meine Schuld? Warum waren die andern nicht wie Ihr? – Mir ist bekannt, das Schicksal Eures Vaterlandes bedrückt schwer Euer Herz. Ihr wißt, welchen Anteil ich an diesen Verhältnissen habe – –. Man sagt, ich sei falsch wie der Schaum der Wellen. Wohl möglich. Aber bin ich es, so haben die Weiber mich es zu sein gelehrt. Hätte ich früher gefunden, was ich suchte, – wäre ich einem Weibe begegnet, stolz, edel und hochgesinnt wie Ihr, – mein Weg wäre gewißlich ein ganz andrer geworden. Vielleicht stünde ich dann in diesem Augenblick an Eurer Seite als Verteidiger aller Unterdrückten im norwegischen Reiche. Denn das glaub' ich fest: ein Weib ist das Mächtigste auf Erden, und in seiner Hand liegt es, einen Mann dahin zu leiten, wo Gott der Herr ihn haben will.

      Eline für sich. Sollt' er die Wahrheit sprechen? – Nein, nein! Lug ist in seinem Auge und Trug auf seinen Lippen. Und doch – kein Sang ist so lieblich wie sein Wort.

      Nils Lykke näher, leiser und vertraulicher. Wie oft habt Ihr wohl hier gesessen, einsam mit Euren wechselnden Gedanken! Da ward es Euch so schwer ums Herz; Decke und Wände schienen enger und enger zu werden und Eure Seele zu erdrücken. Ihr sehntet Euch hinaus, – es lüstete Euch weit, weit wegzufliegen, – Ihr wußtet selbst nicht wohin. – Wie oft seid Ihr wohl einsam am Fjord gewandelt, während ein geschmücktes Schiff, mit Rittern und Damen an Bord, unter Gesang und Saitenspiel weit draußen vorübersegelte. Eine dunkle Kunde von großen Begebenheiten ist zu Euch gedrungen, da habt Ihr ein Sehnen in Eurer Brust gefühlt, ein unbezwingliches Verlangen nach dem, was Ihr jenseits des Meeres vermutet. Aber Ihr habt nicht begriffen, was Euch fehlte. Ihr glaubtet zuweilen, es wäre das Geschick Eures Vaterlandes, was Euch mit so unruhigen Gedanken erfüllte. Ihr betrogt Euch selbst – eine Jungfrau in Euren Jahren hat über andre Dinge nachzusinnen. – – Eline Gyldenlöve! Habt Ihr nie an geheime Kräfte geglaubt, – an eine starke und rätselhafte Macht, die der Menschen Schicksale aneinander knüpft? Wenn Ihr von dem bunten Leben draußen in der weiten Welt träumtet, – wenn Ihr träumtet von Waffenspiel und frohen Festen, – saht Ihr dann nie in Euren Träumen einen Ritter, der mit Lächeln auf den Lippen und mit Gram im Herzen mitten im lärmenden Treiben stand, – einen Ritter, der einst so süß wie Ihr geträumt von einem hohen, herrlichen Weibe, so er vergebens suchte unter all denen, die ihn umgaben?

      Eline. Wer seid Ihr, der meine geheimsten Gedanken in Worte zu kleiden vermag? Wie seid Ihr imstande zu nennen, was ich im tiefsten Innern barg, mir selber unbewußt? Woher wißt Ihr –?

      Nils Lykke. Was ich Euch gesagt habe, das habe ich in Euren Augen gelesen.

      Eline. Niemals noch hat ein Mann so zu mir gesprochen. Nur dunkel hab' ich Euch verstanden; und doch – – wie scheint mir alles, alles seitdem verwandelt – – Für sich. Nun begreif ich, warum es heißt, Nils Lykke sei anders als alle andern.

      Nils Lykke. Es gibt etwas in der Welt, das eines Menschen Gedanken verwirren könnte, wenn man darüber grübeln wollte, und das ist der Gedanke, wie es gekommen wäre, wenn alles sich so oder so gefügt hätte. Wäret Ihr auf meinem Wege mir entgegengetreten, solange mein Lebensbaum noch grünte und blühte, so säßet Ihr vielleicht in dieser Stunde als – – Doch verzeiht mir, edle Jungfrau. Unser kurzes Zwiegespräch ließ mich unsre gegenseitige Stellung vergessen. Mir war, als hätte eine geheime Stimme mir gesagt, ich könnte mit Euch offen reden, ohne Schmeichelei und ohne Verstellung.

      Eline. Das könnt Ihr.

      Nils Lykke. Nun wohl, – und diese Offenherzigkeit hat uns vielleicht halb und halb miteinander ausgesöhnt. Ja, ich bin noch kühner in meiner Hoffnung – vielleicht kommt noch die Zeit, da Ihr des fremden Ritters ohne Haß und Harm in der Seele gedenkt. Nun, mißversteht mich nicht! Ich meine nicht jetzt gleich, – aber einmal, späterhin. Und um Euch den Gedanken minder schwer zu machen, und weil ich einmal begann, freimütig und offen mit Euch zu reden, so laßt mich Euch sagen –

      Eline. Herr Ritter –!

      Nils Lykke lächelnd. Ah, ich merke, daß mein Brief Euch noch immer schreckt. Doch Ihr könnt ganz ruhig sein. Ich gäbe Tausende hin, wenn er ungeschrieben wäre; denn – nun ich weiß, daß Ihr es ohne sonderlichen Schmerz vernehmen werdet, kann ich es ja gleich frei heraussagen: – ich liebe Euch nicht und werde Euch niemals lieben lernen. Seid also deswegen ganz unbesorgt. Ich werde nie den Versuch machen – – Aber was ist Euch?

      Eline. Mir? Nichts, nichts! – – Sagt mir nur eins: warum tragt Ihr noch diese Blumen? Was wollt Ihr damit?

      Nils Lykke. Diese Blumen? Ist das nicht der Fehdehandschuh, den Ihr im Namen aller Frauen dem bösen Nils Lykke hingeworfen habt? Mußte ich sie darum nicht aufheben? – Ihr fragt, was ich damit will? Mit gedämpfter Stimme: Wenn ich wieder im Kreise schöner Dänenfrauen sitze, wenn das Saitenspiel schweigt und im Saale Stille herrscht – dann will ich diese Blumen hervornehmen und ein Märchen von einer Jungfrau erzählen, die fern in Norwegen einsam in dunkler Balkenhalle sitzt – Abbrechend, indem er sich ehrerbietig verneigt. Aber ich fürchte, schon allzulange hielt ich des Hauses edle Tochter auf. Wir sehen uns nicht wieder. Denn noch vor Tagesanbruch bin ich fort. Ich biete Euch also mein Lebewohl!

      Eline. Und ich Euch das meinige, Herr Ritter!

      Kurze Pause.

      Nils Lykke. Ihr seid wieder so gedankenvoll, Eline Gyldenlöve! Ist's wieder das Geschick Eures Vaterlandes, was Euch bedrückt?

      Eline schüttelt den Kopf, indem sie zerstreut vor sich hin blickt. Mein Vaterland ? – Ich denke nicht an mein Vaterland.

      Nils Lykke. So ängstigt Euch die Zeit mit ihrem Kampf und ihrer Not ?

      Eline. Die Zeit? Die vergess' ich jetzt. – – Ihr geht nach Dänemark? Sagtet Ihr nicht so?

      Nils Lykke. Ich gehe nach Dänemark.

      Eline. Kann ich gen Dänemark von diesem Saale sehen?

      Nils Lykke auf das Fenster links deutend. Ja, von diesem Fenster. Dort, gen Süden, liegt Dänemark.

      Eline. Und ist es weit von hier? Mehr als hundert Meilen?

      Nils Lykke. Viel weiter. Das Meer liegt zwischen Dänemark und Euch.

      Eline vor sich hin. Das Meer? – Der Gedanke hat Mövenschwingen. Das Meer hemmt ihn nicht. Sie geht links ab.

      Nils Lykke blickt ihr eine Weile nach; dann spricht er: Könnte ich zwei Tage daran wenden – oder nur einen –, sie wäre in meiner Gewalt so gut wie alle andern. – Und doch – aus seltnem Stoff ist dieses Mädchen geschaffen. Sie ist stolz. Sollte ich mich wirklich entschließen –? Nein, lieber sie demütigen. – – Er geht im Saal auf und ab. Wahrhaftig, – ist mir nicht, als hätte sie mein Blut in Brand gesetzt?! Wer würde das noch gestern für möglich gehalten haben ? – – Weg damit! Ich muß heraus aus diesem Wirrsal, in das ich mich verstrickt habe! – Er setzt sich auf einen Stuhl rechts. Wie soll ich mir das erklären? Olaf Skaktavl und Inger Gyldenlöve scheinen beide blind zu sein gegen das Mißtrauen, dem sie sich aussetzen, sobald es ruchbar wird, daß ich mit ihnen im Bunde stehe. – Oder sollte Frau Inger wirklich meinen Plan durchschauen? Sollte sie erraten, daß alle Zusagen nur darauf berechnet sind, Nils Sture aus seinem Versteck zu locken? Er springt auf. Verdammt! Wäre ich wirklich selbst der Gefoppte? Es ist höchst wahrscheinlich, daß Graf Sture gar nicht auf Oestrot ist. Vielleicht ist auch das Gerücht von seiner Flucht nur eine Kriegslist gewesen. Er sitzt möglicherweise zu dieser Stunde wohlbehalten bei seinen Freunden in Schweden, während ich – Er geht unruhig auf und ab. Daß ich auch meiner Sache so sicher sein mußte! Wenn ich nun nichts ausrichte? Wenn Frau Inger hinter meine Absichten kommt – und mein Unternehmen aufdeckt? – Daß Du Dich zum Kinderspott machst hier und in Dänemark! Frau


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