Der Dichter in Dollarica. Ernst von Wolzogen

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Der Dichter in Dollarica - Ernst von  Wolzogen


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für drüben möglich wären und welche nicht. Und da mußte von vornherein vieles von dem als unmöglich ausgeschlossen werden, womit ich mir hier meine wertvollsten Erfolge geholt und meiner literarischen Persönlichkeit überhaupt erst feste Umrisse gegeben habe. Die Natürlichkeiten der [pg 4]Erotik sind bei den Angloamerikanern ebenso von der öffentlichen Besprechung und künstlerischen Gestaltung ausgeschlossen wie die heiligen Stoffe, und die Deutsch-Amerikaner, die lange genug drüben gelebt haben, sind immerhin von diesem Puritanertum soweit angesteckt, daß die Grenzen des künstlerisch Erlaubten bei ihnen nicht weiter gehen als etwa beim deutschen Familienblatt älteren Stils. Du lieber Himmel – und ich bin der Verfasser des „Dritten Geschlechts“, der „Geschichten von lieben süßen Mädeln“ und gar „des Erzketzers“ und habe niemals einen Beitrag zur „Gartenlaube“ oder zum „Daheim“ geliefert! Selbstverständlich hatte ich wohl ausnahmslos an jedem meiner Vortragsabende ein paar literarisch gebildete, vorurteilslose Leute unter meinem Publikum, die sich gerne hätten stärker beschwören lassen; aber ich sollte mich doch der Mehrheit erfreulich und nützlich machen, den des Deutschen beflissenen Studenten englischer Zunge und besonders den aus allen Bildungsschichten zusammengewürfelten Deutsch-Amerikanern.

      Humoristische Lichter. Was sie alles komisch finden.

      Mit den Versen gab’s wenig Schwierigkeit. Meine Balladen und Hymnen auf die moderne Technik mußten ja in dem Lande der technischen Hochkultur zünden, und auch von den satirischen Scherzgedichten wurde das meiste verstanden; aber mit der Auswahl von Prosastücken hatte ich meine liebe Not, und bei meinen Streifzügen durch die deutsche Literatur der letzten dreißig Jahre bemerkte ich auch gar bald, wie wenig davon selbst dem gebildeten Publikum bekannt war. Sobald ich bei einer meiner Lieblingsfiguren etwas länger verweilte oder den Versuch machte, ein bißchen in die Tiefe zu bohren, bemerkte ich, wie sich alsbald ein suggestives Gähnen durch die Reihen fortpflanzte und die teilnahmsvoll ge[pg 5]spannten Züge zu erschlaffen begannen. Da mußte ich mich denn beeilen, mit einer scherzhaften Anekdote oder einer satirisch zugespitzten Bemerkung die entflatternde Aufmerksamkeit wieder einzufangen. Wie in so vieler anderer Beziehung, so sind die Amerikaner auch darin noch auf einem kindlichen Standpunkt, daß sie, und zwar nicht nur die Jungen, sondern auch die Alten, durchaus lachen wollen, wenn sie sich zu irgendwelchem Zwecke in Massen versammeln. Der Politiker muß so gut wie der Universitätsprofessor und sogar der Kanzelredner Witze machen, wenn er sein Publikum fesseln will. Kein Redner wird jemals in diesem Lande Erfolg haben, der nicht zum mindesten die Kunst versteht, selbst ernstesten Gegenständen humoristische Lichter aufzusetzen. Ich habe eine feierliche Universitätssitzung mitgemacht, bei welcher der Präsident der Universität eine ausgezeichnete Gedenkrede auf eine verstorbene Leuchte derselben hielt. Es war ein kalter, nebliger Morgen und man saß in Überziehern und Galoschen da, aber sobald der Vortragende eine drollige Wendung gebrauchte, einen freundlich heiteren Zug aus dem Leben des Gefeierten erzählte, oder gar eine witzige Nutzanwendung machte, erwärmte sich die frierende Gesellschaft an lautem Gelächter. In dem amerikanischen nationalen Drama, der Blood and Thunder-Show, muß die erbauliche Abwechslung zwischen Leichenaufhäufung unter Revolvergeknatter und sentimentaler Rührung über unmenschliche Edelmutsausbrüche (vom obligaten Tremolo der Geigen begleitet) in regelmäßigen Abständen von derben Clownspäßen unterbrochen werden, um dem guten Volke schmackhaft zu bleiben, und der bekannte kleine polnische Jude, der auf die Frage, wie ihm der „Tristan“ gefallen habe, achselzuckend erwiderte: „Nu, mer lacht“, könnte hier leicht manches Gegen[pg 6]stück finden. Das ist nun etwa nicht als besonderes Schandmal der amerikanischen Unkultur aufzufassen, denn der Banause hat in der ganzen Welt der Kunst gegenüber genau denselben Standpunkt: er schätzt sie bestenfalls als erheiternden Zeitvertreib. Die geistige Erhebung durch tragische Erschütterung vermag er ebensowenig zu genießen, wie die rein ästhetische Freude an der schönen Form; sein Interesse hängt rein am Stofflichen, am gröblich Sinnfälligen, an der handgreiflichen Moral oder Tendenz. Da in Amerika noch nicht viele Leute und auch diese erst seit kurzem Zeit gefunden haben, ihre etwaigen ästhetischen Veranlagungen zu pflegen, so ist es selbstverständlich, daß es dort im Verhältnis zur Einwohnerzahl sehr viel weniger ästhetisch interessierte Menschen gibt als bei uns, und unsere guten Landsleute können von dieser Regel um so weniger eine Ausnahme machen, als sie ja zum weitaus überwiegenden Teil von gänzlich amusischer Herkunft sind. Die deutschen Amerikaner, die heute vornehmlich sich eine Ehrenpflicht daraus machen, den Zusammenhang mit der deutschen Geisteskultur aufrecht zu erhalten, setzen sich zusammen aus den Überresten der achtundvierziger Emigranten und ihrer Nachkommen, aus den neuerdings Eingewanderten mit akademischer Bildung, die hier als Lehrer und Lehrerinnen, als Ärzte, Künstler usw. eine Lebensstellung gefunden haben, und endlich aus einigen nicht allzu zahlreichen Nachkommen von Leuten, die in Handel und Gewerbe hier ihr Glück gemacht haben und daher imstande waren, ihren Kindern eine höhere Schulbildung zuteil werden zu lassen. Die vielen deutschen Vereine sind folglich auch noch nicht imstande, sich rein künstlerischen und literarischen Bestrebungen zu widmen. Sie scheiden sich mehr nach Landsmannschaften oder [pg 7]Gesellschaftsschichten als nach geistigen Ansprüchen. Man darf also nicht erwarten, für irgend welche wissenschaftlichen oder künstlerischen Darbietungen in den Vereinigten Staaten ein so homogenes, wohlgezogenes und anspruchsvolles Publikum zu finden, wie etwa in unseren deutschen literarischen Gesellschaften, kaufmännischen oder auch selbst sozialdemokratischen Bildungsvereinen. Man kann aber sicher sein, überall unter seinen Zuhörern eine Anzahl fein gebildeter und verständnisvoller Menschen zu finden, wenn es auch nur eine kleine Minderheit sein mag. Für diese Minderheit wird man dann aber, wenn man seine Mission ernst nimmt, sein Bestes geben und die Kleinen und Armen im Geiste nach Möglichkeit durch Konzessionen an ihr Unterhaltungsbedürfnis mit zu ziehen suchen. Manchmal kann es einen freilich bei solchen überraschenden Ausbrüchen kindlicher Heiterkeit kalt überlaufen. Im Hörsaal der Universität zu Rochester wollten sich Studenten deutscher Abkunft halb tot lachen über die von mir berichtete traurige Tatsache, daß Liliencron im Feldzuge von 1870/71 diverse Kugeln in den Leib bekommen habe, von denen ihm alle paar Jahre eine im Operationssaal der Universitätsklinik zu Kiel herausgeholt wurde! Und in der High School von Youngstown (Ohio) kreischten die Boys und Girls vor Vergnügen, als ich ihnen die tief ergreifende Ballade von der Großmutter Schlangenköchin übersetzte. Über die Fischlein, die die böse Hexe mit einem Stock im Krautgärtlein fängt, und gar über „The black and tan Doggie, that burst into a thousand pieces“ (das schwarzbraune Hündlein, das in tausend Stücke zersprang), bogen sie sich krumm vor Lachen, und meine Frau, die sie gerade durch diese Ballade zu Tränen zu rühren gedachte, war blaß vor Schrecken, – hat sie aber dann doch zu packen [pg 8]gekriegt, diese robusten Neuweltler, denen die lieb herzige Einfalt des deutschen Märchenstiles so siebenfach versiegelt ist.

      Sehenswürdigkeiten und Gastfreundschaft. Nervös sind sie nicht.

      Wenn man in den Vereinigten Staaten unter den Auspizien einer hochangesehenen Gesellschaft reist, so bekommt man eine deutliche Vorstellung davon, wie angenehm und erhebend es sein muß, als Fürstlichkeit durchs Dasein zu wallen. Genau so wie bei uns eine die Provinzen bereisende bessere Fürstlichkeit wird man nämlich in den Vereinigten Staaten behandelt, sobald man offiziell als großes Tier, als illustrer Gast gemanagt wird. Am Bahnhof Empfang durch ein Komitee, das einen in das erste Hotel der Stadt geleitet, wo man sich kaum des Reiseschmutzes entledigt hat, als einem auch schon die Reporter auf den Leib rücken. In der kurzen Zeit, die einem das Komitee zum Säubern und Ausruhen gönnt, (meistens ist man ja die Nacht durch gefahren, denn die einzelnen Vortragsstädte liegen nicht selten so weit auseinander wie etwa Berlin und Neapel!) muß man mehrere Interviews über sich ergehen lassen, bei denen einen der stete Zweifel nervös macht, wer von beiden der größere Esel sei, der Interviewer oder der Interviewte. Dann tritt das Komitee wieder an, um einem die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen, wobei zu bemerken ist, daß im ganzen Osten bis zum Mittelwesten der Union, bis hinauf an die kanadische und hinunter an die virginische Grenze eine Stadt genau so reizlos und uninteressant ist wie die andere (mit vielleicht einziger Ausnahme von Boston und Washington), daß die Kriegerdenkmäler noch erheblich fürchterlicher sind als bei uns, und man die berühmtesten Bauten meistens schon im Original in Europa gesehen hat. Erfreulich werden diese Besichtigungsfahrten nur, wenn sie aus den wüsten Steinhaufen der [pg 9]Citys hinaus ins Land führen und man einen schönen Tag erwischt. Architektonisch interessante Villenviertel mit reizenden Schmuckgärten wie bei uns gibt es freilich kaum irgendwo.


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