Der Dichter in Dollarica. Ernst von Wolzogen

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Der Dichter in Dollarica - Ernst von  Wolzogen


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vor mir zu sehen, welche die ganze Geschichte dieser berühmten Stadt nicht nur mit erlebt, sondern sozusagen selber gemacht hätten.

      „Move on, please!“ sagt der Usher und schiebt das imposante Ehepaar sanft weiter, worauf er mich mit Mister und Missis Isaak O. Waddlepaddledaddle (oder so was ähnliches) bekannt macht. Mister Waddlepaddledaddle (oder so was ähnliches) ist mit sieben Cents in der Tasche vor fünfundzwanzig Jahren hier eingewandert und hat etwa ein Dutzend Mal seinen Beruf gewechselt, bis er sich auf Rattengift geworfen hat. Seit einigen Jahren steht er an der Spitze des Patent-Ungeziefervertilgungsmitteltrusts und ist elf Millionen Dollar wert. [pg 15]Seine Frau ist tief ausgeschnitten und bedeckt ihre wogende Blöße mit Brillanten für etliche Hunderttausende. Sie ist so schrecklich betrübt (so awfully sorry!), daß ihre Tochter mich nicht kennen lernen kann, denn die ist vergangenes Jahr in Deutschland gewesen und so eingenommen von der deutschen Literatur. Sie habe viele von meinen Büchern gelesen, darunter natürlich auch meinen entzückenden „Herrgottsschnitzer von Oberammergau“ und meinen reizenden „Hüttenbesitzer“ und überhaupt beinahe alles. Leider habe das Mädchen die Mumps.

      Beschämt und tief gerührt bekenne ich, daß diese genaue Kenntnis meines dichterischen Schaffens mich zum ersten Mal das Hochgefühl einer wahren Popularität auf zwei Hemisphären voll empfinden lasse.

      Mister Waddlepaddledaddle (oder so was ähnliches) quetscht mir bewegt die Hand, und Missis Waddlepaddledaddle (oder so was ähnliches) hat noch eine Frage auf den üppigen Lippen, als mein Usher mir bereits einen ehrwürdigen Greis in weißem Lockenschmucke, das glattrasierte Antlitz scharf und geistvoll geschnitten, als den berühmten Professor der Ethik, Dr. James Cadwalleder B. Mapletree vorstellt. Der berühmte Gelehrte ist so steinalt, daß ich ihm aufs Wort geglaubt hätte, wenn er mir versichert hätte, daß bereits George Washington, Benjamin Franklin und Henry Clay (welch letzterer übrigens keineswegs Zigarrenfabrikant in Havanna, sondern ein 1852 verstorbener bedeutender Staatsmann ist) bei ihm Colleg gehört hätten. „Froh, Sie zu treffen, Baron“, beginnt der große Gelehrte, mir kräftig die Hand drückend, und wissend, daß ihm nicht viel Zeit gegeben ist, knüpft er gleich eine Frage über den Stand der Ethik in Deutschland als wissenschaftliche Disziplin sowie als bewußte Ausdrucksform der Volks[pg 16]seele an. Ich erinnere mich zum Glück, daß ich jahrelang eifriges Mitglied des Ethischen Klubs im Kellerlokal des Hofbräu-Ausschankes in der Französischen Straße in Berlin gewesen bin und erkläre ihm, daß wir in der Ethik durchaus obenauf, up to date wären und überhaupt...

      „Move on, please!“ ruft der unerbittliche Usher, und der große Gelehrte bezähmt lächelnd seinen Wissensdurst und läßt sich ohne Murren weiter schieben.

      Es kommen deutsche Mitglieder der Fakultät an die Reihe, mit denen ich im Fluge gemeinsame Beziehungen in der Heimat entdecke, es kommen Yankees, die wirklich im deutschen Geistesleben zu Hause sind und auch tatsächlich den „Kraft-Mayr“ gelesen haben, es kommt die Vorsteherin einer Mädchenschule, die just meine „Gloriahose“ in ihrer Klasse übersetzen läßt – lauter Menschen, mit denen man sich gern zum Warmwerden in ein Eckchen zurückziehen möchte – es hilft nichts: „Move on, please!“ kommandiert die sanfte Stimme meines Ushers. Folgsam und wohlanständig schieben sich die Hunderte von Menschen, alte und junge, Zierden der Alma mater und feste Säulen der Bürgerschaft, prominente und unerhebliche Leute, Männlein und Weiblein langsam weiter, und alle, die mir mit größerer oder geringerer Ausgiebigkeit die Hand geschüttelt und versichert hatten, daß sie so glücklich seien, mich zu treffen, fragen zwei Minuten später an der nächsten Säule meine Frau, wie es ihr gehe, und sind alle ausnahmslos so glücklich, sie zu treffen. Zuletzt kommt das junge Volk an die Reihe: lustige Studentinnen, die mit einem vergnügten Knall in die Hand einschlagen und die Affäre mit dem stereotypen „How d’ye do?“ möglichst rasch erledigen, oder aber kichernd ihre deutschen Brocken anzubringen versuchen. Unter den letzten ist ein lang aufgeschossener Student [pg 17]mit sehr großen roten und kalten Händen, der mir sein deutsches Literaturgeschichtsbuch mit der Bitte überreicht, ihm da etwas hineinzuschreiben.

      „Stehe ich drin in diesem Leitfaden?“ frage ich den glatten Jüngling.

      „Ich bin betrübt, nein zu sagen,“ lächelte er verlegen, und ich attestiere es ihm schriftlich in sein Buch hinein, daß das eine ganz miserable Literaturgeschichte sei.

      Ausgestanden!

      Gott sei Dank, endlich ausgestanden! 170 Menschen sollen es gewesen sein. Man darf sich endlich setzen und bekommt ein Sandwich oder so etwas ähnliches und selbstverständlich das entsetzliche Eiswasser oder den unvermeidlichen Icecream angeboten. Man nimmt sich einige der Herrschaften beiseite und fragt sie auf Ehre und Gewissen, ob sie etwa durch diese „reception“ glücklich geworden seien. Die sind mit uns völlig einig darüber, das solche Veranstaltungen der größte Blödsinn von der Welt seien, so ungeeignet wie möglich, den angeblichen Zweck des gegenseitigen Kennenlernens zu erfüllen. Aber trotzdem: wenn das nächste Mal zur Besichtigung eines importierten Dichters oder eines sonstigen seltenen Tieres eingeladen wird, so sind sie doch alle wieder da. Missis Waddlepaddledaddle (oder so was ähnliches) mit ihren sämtlichen Brillanten und mit der Tochter, die inzwischen vielleicht die Mumps überstanden haben wird, Mister und Missis John Dubbleju Uebbäh, der eigentliche Gründer des jetzt so blühenden Gemeinwesens, und die sämtlichen anderen Prominenten der Stadt, die Professoren mit ihren Damen, und auch der achtzigjährige James Cadwalleder B. Mapletree wird sich wieder geduldig in die Reihe stellen und wieder seine Frage nach dem Stand der Ethik in Europa nicht beantwortet kriegen. Es ist nun einmal eine Genugtuung für den richtigen Amerikaner, sagen zu [pg 18]dürfen: „Da und da traf ich den berühmten X. und schüttelte Hände mit ihm.“ Der Präsident der Vereinigten Staaten hat das Vergnügen, alljährlich bei der großen Neujahrsreception Tausenden von Menschen die Hände zu schütteln und jedem einzeln zu versichern, daß er so froh sei, ihn zu treffen. Unser Prinz Heinrich soll sich nach Beendigung seiner Amerikatour in seine Kabine eingeschlossen und 48 Stunden hintereinander geschlafen haben. Ich glaub’s gerne, daß er das nötig hatte, denn der mußte täglich Bankette und Receptions mitmachen, bei denen noch x-mal so viel Hände zu schütteln und Trinksprüche zu beantworten waren, abgesehen davon, daß er im Laufe des Tages auch noch sämtliche Kriegerdenkmäler, Bibliotheken, bedeutende Fabrikbetriebe, Preisbullen und Deckhengste besichtigen mußte. Auch mir, dem bescheidenen Dichter, wurde der berühmte arabische Deckhengst von Columbus mit seinen hochmütig starren Monokelaugen vorgeführt, auch vor mir tänzelte der kokette Racker, die x-fach preisgekrönte Jerseykuh, auch mir zu Ehren wurden Hekatomben von Schweinen in den Stockyards abgestochen; aber für mich gab es doch immerhin Ruhepausen, stille Tage in befreundeten Familien, zeitweises Untertauchen in Hausrock und Pantoffeln. Für unseren unglücklichen Repräsentationsprinzen gab es das alles nicht, er war von früh bis in die späte Nacht tagtäglich im Geschirr. Seine Nervenleistung war so enorm, daß sie schließlich sogar den Amerikanern imponiert hat.

      Die erste Frage jedes Eingeborenen der Vereinigten Staaten an den Fremdling, und wäre er auch eben erst in Hoboken gelandet, ist: „Wie gefällt Ihnen Amerika?“ Sie sollten eigentlich fragen: „Wie halten Sie Amerika aus?“ Denn das ist, wenigstens für den offiziell herum[pg 19]gezeigten Mauernweiler, wirklich die Kardinalfrage da drüben. Mein Gott, es ist eben ein ganz junges Volk, und sie sind so ungeheuer stolz auf die riesigen Proportionen ihres Landes, auf die erstaunliche Größe, Neuheit, Kühnheit aller ihrer Unternehmungen, daß jeder Amerikaner den Kitzel in sich verspürt, jeden Fremden, der auf der Straße irgend etwas anstaunt, zu fragen: „Na, was sagen Sie dazu, elender Europäer, bartbewachsenes Blaßgesicht, kolossal, was? Habt Ihr drüben nicht!“

      Die reizende Reporterin.

      In Philadelphia wurde ich von einer reizenden jungen Reporterin interviewt. Selbstverständlich: „How do you like America“ usw., und dann kam die verfängliche Frage: „Und was denken Sie von unserer Kultur?“ Da kratzte ich mir den Kopf und sagte: „Mein liebes Fräulein, in diese Mausefalle spaziere ich Ihnen nicht.“ Und nun schlug das süße Ding seine wunderschönen Augen mit einem so traurig enttäuschten, kindlich erschrockenen Blick zu mir empor – ich werde diesen rührenden Blick nie vergessen! Und um Ihrer schönen traurigen Augen willen, reizendes Fräulein von Philadelphia, gedenke ich nunmehr alle meine Eindrücke von meiner Amerikafahrt unter dem Gesichtspunkt


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