Der Dichter in Dollarica. Ernst von Wolzogen

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Der Dichter in Dollarica - Ernst von  Wolzogen


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der ästhetische Graus der Städte dergestalt überstanden ist, geht es zum Lunch, und der ist eigentlich immer erfreulich und gemütlich, gleichviel ob man in eine wildfremde Familie, in ein feines Restaurant oder in einen exklusiven Klub geladen ist. Denn die amerikanische Gastfreundschaft, mag sie von Yankees oder Deutschen ausgeübt werden, ist über alles Lob erhaben. Und wenn bei solchen Gelegenheiten das Menü nur nicht zu amerikanisch und die Gastgeber keine Teatotalers sind, so kann man sich seines Lebens freuen, ohne durch steife Förmlichkeit oder durch aufdringliche Protzerei geärgert zu werden. Nicht selten ist bereits mit dem Lunch eine kleine reception verbunden, d. h. nach dem Essen treten mehrere Dutzend Menschen, die ganze Fakultät, wenn der Gastgeber ein Professor ist, die ganze Freundschaft und Verwandtschaft, wenn der Empfang inoffiziell ist, in den zumeist winzig kleinen Stuben an, um Bekanntschaft zu machen. Das ist die mildeste Form der „reception“. Man hört alle Namen, schüttelt alle Hände, schwätzt ein Stündchen herum und hat im Fluge einen oberflächlichen Eindruck von dem Verkehrskreis des Gastgebers gewonnen, vielleicht sogar eine wirklich interessante Persönlichkeit flüchtig angebohrt. Ist man an ein Komitee geraten, das bereits Erfahrungen mit europäischen Nerven gemacht hat, so darf man sich zu einem Ruhestündchen zurückziehen, andernfalls geht es ohne Gnade und Barm[pg 10]herzigkeit weiter im Programm. Man wird zur Besichtigung der Universitätsinstitute, der Bibliotheken, der Laboratorien, Museen, bemerkenswerter Fabrikbetriebe oder was es auch immer sei, mit Vorliebe auch zu dem Gouverneur des Staates oder doch mindestens zum Bürgermeister der Stadt geschleppt. Wenn man bedenkt, daß so ein Gouverneur der konstitutionelle Regent eines Landes ist, das in den meisten Fällen größer als das Königreich Bayern, in einigen Fällen sogar größer als ganz Deutschland ist, so ist man erstaunt über die leichte Zugänglichkeit und jeder steifen Förmlichkeit abholde Art dieser großen Herren. Sie haben natürlich keine Ahnung davon, wer man ist, aber sie beteuern, über die Bekanntschaft entzückt zu sein, und stellen sich aufs Liebenswürdigste unseren Wünschen zur Verfügung. Mittlerweile wird es dann Zeit, sich zum dinner in full dress zu werfen. Dabei geht es ohne mehrere Toaste niemals ab, denn der Amerikaner redet gern und hervorragend gut, und man muß sein bißchen Witz gehörig zusammennehmen, um diesem nationalen Talente gegenüber mit seiner Antwort zu bestehen. Hat man den Abend frei, so ist solch ein dinner um 7 Uhr eine erquickliche Angelegenheit; denn nirgends existiert in Amerika die deutsche Unsitte, stundenlang bei Tische zu sitzen, eine unmögliche Masse von Speisen und ebenso viel verschiedene, in der Schwere sich steigernde Weinsorten eingepumpt zu bekommen. Große offizielle Festessen dehnen sich freilich auch sehr lang aus, aber nicht wegen der Länge des Menüs, sondern nur wegen der nationalen Sitte, die Schleusen der Beredsamkeit erst nach dem Dessert zu öffnen. Toastmaster und Chairman regulieren den Strom nach parlamentarischer Sitte, und wenn die Rednerliste erschöpft ist, beginnt erst der echt amerikanische [pg 11]Hauptspaß, indem der Toastmaster noch unter den besonders prominenten, durch ihre Eigenart berühmten oder berüchtigten Anwesenden eine ganze Anzahl zu Improvisationen reizt. Selten daß einer auf solche Reizung nicht reagiert. Natürlich reitet bei dieser Gelegenheit jeder sein Steckenpferd, wobei aber erst recht viel witziges oder gedankenreiches Eigengut zutage gefördert wird. Schlimm ist es, wenn man unmittelbar nach dem Essen seinen Vortrag halten muß, wie das gar nicht selten vorkommt. Und noch schlimmer, wenn einem, wie mir das auch passiert ist, erst beim Besteigen der Rednertribüne vom Vorsitzenden zugeraunt wird, daß man doch gefälligst nur eine Stunde lang sprechen möge – über ein Thema, das in dreien kaum halbwegs gründlich zu erledigen wäre! Diese beneidenswert robusten Neuweltler nehmen eben als selbstverständlich an, daß ein Mensch, der einen Beruf, ein Geschäft daraus macht, öffentliche Vorträge zu halten, jederzeit und unter allen Umständen bereit sein müßte, sie aus der Pistole zu schießen. Daß wir schwächlichen Ostleute zu jeder geistigen Leistung Sammlung und Stimmung brauchen, das scheinen sie nicht zu verstehen. Dem nervenlosen Amerikaner ist es auch ganz gleichgültig, wie das Lokal ausschaut, in dem er seine Kunst genießt oder seine Bildung bereichert; offene Türen, hin- und herlaufende Menschen, pfeifende und klingelnde Lokomotiven vor den Fenstern, polternde Kegel- unter und probende Gesangvereine über dem Lokal genieren ihn nicht im mindesten. Ich ging an einem Universitätshörsaal vorbei, dessen Tür sperrangelweit offen stand; im Korridor trappten laut schwatzende und lachende Studenten auf und ab, aber weder der vortragende Professor noch die eifrig nachschreibenden Hörer ließen sich dadurch auch nur im geringsten stören. In St. Louis [pg 12]waren die Leute, die mein Auditorium in Stand setzen sollten, ausgeblieben. Infolgedessen war das Lokal so schmutzig von Kohlenruß, daß ich einen weißen Handschuh, der mir entfiel, schwarz wieder aufhob und das elektrische Licht versagte; wir saßen also bei einigen Notlampen im Finstern, und ich trug eine rührende Geschichte vom bitteren Leiden und Sterben eines schwindsüchtigen Mädchens unter der rhythmischen Begleitung zweier melodisch knallender Heizkörper vor. Natürlich war ich nahe daran, aus der Haut zu fahren; mein Publikum aber schien durch diese stimmungsmordenden Umstände nicht im mindesten berührt zu werden. Der Vorsitzende bat für diese Übelstände um Entschuldigung, und damit war es gut. Der Amerikaner fügt sich in das Unvermeidliche mit bewundernswerter Ruhe und Geduld. Wenn er gekommen ist, um für sein Geld Kunst zu genießen oder Weisheit zu schlürfen, so führt er diesen Vorsatz auch unter den widrigsten Verhältnissen aus, denn er will auf seine Kosten kommen. Und seine Nerven parieren ihm so absolut, daß er imstande ist, durch einfachen Willensakt während des zartesten Pianissimos einer Sängerin den knallenden Heizkörper oder die läutende Lokomotive nicht zu hören.

      Nicht vorstellen! Great reception.

      Die große reception, dieser Schrecken aller Schrecken für berühmte Mauernweiler, diese echt amerikanische „Hetz“, pflegt nach dem Vortrag des zu feiernden Gastes in einem möglichst großen Saale stattzufinden. Der Amerikaner stellt sich bekanntlich nie selber vor. Man kann stundenlang im Eisenbahnwagen miteinander fahren und sich angeregt unterhalten, man kann sogar wochenlang auf einem Dampfer Tisch- und Kabinennachbar eines scharmanten Menschen sein, ohne daß es ihm einfallen wird, sich selber vorzustellen. Und wenn der wackere Deutsche in seiner angeborenen Höflichkeit sich bemüßigt [pg 13]fühlt, einer solch angenehmen Reise- oder Table d’hote-Bekanntschaft gegenüber die Hacken zusammenzuschlagen und mit kommentmäßig heruntergeklapptem Haupte zu schnarren: „Sie gestatten, mein Name ist Müller,“ so riskiert er, daß der Angeredete, ohne sich von seinem Sitz zu erheben, ihn von unten herauf gelangweilt anschaut und mit gequetschtem Nasentone die impertinent zweifelnde Frage zurückgibt: „Aoh, is that so?“ Der Amerikaner hat stets den Ehrgeiz, mit prominenten Leuten bekannt zu werden. Ausländische Berühmtheiten interessieren ihn brennend, und für Leute mit schönen Titeln und langen Namen aus Europa hat er eine besondere Schwäche, aber niemals würde er sich einfallen lassen, eine formlose Vorstellung zu provozieren. Man kann in der guten Gesellschaft nur miteinander bekannt werden, indem man von dem Gastgeber, bei dem man sich trifft, offiziell einander vorgestellt wird. Diesen Zweck erfüllen unter anderen Veranstaltungen auch die berüchtigten receptions. Jeder, der nur irgendwelche Berührungspunkte mit der gesellschaftlichen Sphäre oder mit dem Beruf des prominenten Gastes hat, bemüht sich, eine Einladung zu solcher reception zu bekommen. Der Vorgang bei dieser hochnotpeinlichen Prozedur, wie ich sie im Staate Wisconsin in musterhafter Form erlebt habe, ist folgender: Man stellte mich an eine Säule an der Schmalseite des großen Saales und meine Frau an eine andere Säule wenige Schritte davon entfernt. Mir zur Seite trat ein Gentleman-Usher und an die Seite meiner Frau eine Lady-Usher (Usher = Einführer). Von diesen wird vorausgesetzt, daß sie wie ein Hofmarschall alle eingeladenen Herrschaften nach Namen, Rang und Stand kennen. In langer Reihe, einzeln oder paarweise hintereinander nahen sich nun die Scharen derer, die unsere Bekanntschaft zu machen [pg 14]wünschen, und der Usher waltet seines Amtes. „Erlauben Sie mir, Ihnen Mister und Missis John Dubbleju Weber (sprich: Uebbäh) vorzustellen. Einer der prominentesten Bürger unserer Stadt, man kann sagen einer ihrer Begründer, denn er hat vor vierzig Jahren hier in dem Indianerdorf, das damals auf dieser Stelle stand, den ersten Laden für baumwollene Taschentücher, Whisky, Kautabak und Schießpulver eröffnet.“

      „How do you do, Mister Uolsogen?“ gurgelt Mister John Dubbleju Uebbäh aus seiner respektablen Speckwampe heraus und beginnt mit meinem Arme wie mit einem Pumpenschwengel zu hantieren. „Komme Se mal zu mir, da wer’ ich Se mal was Scheenes ßeigen; und bringen Se auch de Frau Uolsogen mit, wenn se Äntiquitis gleicht.“ (Antiquitäten gern hat).

      Und Missis Uebbäh, eine umfangreiche


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