Der Dichter in Dollarica. Ernst von Wolzogen
Читать онлайн книгу.Wohlstand gebracht. Sie entwickeln unter den freiheitlichen Grundsätzen der Gesetze und Anschauungen einen ungeheuren Ehrgeiz und Lerneifer. In der Presse, in der Literatur, im Theater, in der Rechtsanwaltschaft und im ärztlichen Beruf haben sie, geradeso wie in Europa, die Oberherrschaft erlangt. Einzelne [pg 31]ihrer Mitglieder sind als Inhaber großer Bankhäuser zu einem weltumspannenden Einfluß gelangt, und dennoch haust die große Masse derselben noch immer im Ghetto beisammen. Die meisten Yankees würden, wenn man ihnen den Vorwurf des Antisemitismus machen wollte, erstaunt die Brauen hochziehen und gar nicht wissen, was das sei; nichtsdestoweniger findet man auf den gesellschaftlichen Veranstaltungen auch schwer reicher Juden kaum irgend welche Yankees von Belang, und in den vornehmsten Badeorten und vielen Hotels ersten Ranges werden Juden überhaupt nicht zugelassen!
Wenn die Deutschen in der Zeit der großen Massenauswanderung, als auf dem nordamerikanischen Kontinent noch weite Gebiete herrenlos und unkultiviert waren, für sich ein solches Neuland erobert, zäh festgehalten, und alle neu zuströmenden Landsleute hätten zwingen können, sich dort gleichfalls anzusiedeln, dann hätten die Deutschen einen starken Staat im Staate bilden können und ihre Selbständigkeit zu wahren vermocht, auch wenn sie sich dem Staatenbund angeschlossen hätten. Diese Gelegenheit ist endgültig verpaßt. Aber damit sie in den anderen jungfräulichen Weltgegenden nicht abermals verpaßt werde, gehet hin, ihr lieben Landsleute, und lernt von den Yankees, was das unerschütterliche Kraftbewußtsein einer starken, gesunden Rasse vermag und wie man seine Rasse rein erhält!
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Der Yankee als Erzieher.
Junge Völker und Kinder.
Die alte Erfahrung, daß junge Eltern sehr häufig bessere Erzieher ihrer Kinder sind als ältere und reifere, findet im Yankeelande eine auffallende Bestätigung. Die Yankees sind eben als Rasse und die übrigen Bürger der Vereinigten Staaten als Nation noch so kindhaft jung, noch so tief befangen in dem glückseligen Taumel des Kraftüberschusses, daß sie ihre klügsten wie ihre dümmsten Streiche mit der gleichen schönen Begeisterung verüben und mit reizender Naivität dem eigenen Verdienst gutschreiben, was sie oft doch nur glücklichen Umständen zu verdanken haben. Der leichte Erfolg, der den kraftvollen und rücksichtslosen Ausbeutern jenes jungfräulichen Kontinents voll ungehobener Naturschätze zu teil wurde, hat die ganze Rasse eitel, prahlerisch und sorglos wie Kinder gemacht, und diese Kindlichkeit ist bis auf den heutigen Tag die liebenswürdigste Eigenschaft des neuen Volkes. Es lebt in den Tag hinein, denkt kaum an morgen, grundsätzlich nicht an übermorgen, kennt keine Gefahr, erschrickt vor keinem Hindernis und tröstet sich über alle Schwierigkeiten hinweg mit dem Gedanken: Es ist noch immer gegangen und wird auch diesmal gehen! Weist ein Außenstehender auf offenbare Schwächen hin, so erwidert der Yankee gut gelaunt: „Nun ja, Sie mögen recht haben; aber Sie sehen ja, wir leben auch so, und wir leben recht gut!“ Man läßt sich alle Unbequemlichkeiten lachend gefallen und schickt sich in alles, da man an ein jähes Auf und Nieder von Überfluß und Mangel, von absoluter geistiger Öde und raffinierter Luxuskultur wie an die schroffen Übergänge von eisiger Kälte zu glü[pg 33]hender Hitze gewöhnt ist. Aus dieser Quelle entspringt der siegessichere Optimismus und die heiße Vaterlandsliebe des amerikanischen Volkes. Dem Yankee gilt ganz selbstverständlich alles Amerikanische als das Beste, das Größte, das Schönste in der Welt, und das jünglinghafte Renommieren mit all diesen Superlativen ist ebenso charakteristisch für die Nation, wie ihre Vorliebe für unsinnige Kraftproben, närrische Wetten, sensationelle Schaustellungen und lärmende Vergnügungen. Der Yankee bewahrt sich diese jugendlichen Eigenschaften bis in sein hohes Alter. Greise, die sich necken, puffen und balgen wie Buben, alte Damen, die sich wie Backfische anziehen, sind alltägliche Erscheinungen.
Kinderzucht.
Es versteht sich von selbst, daß so geartete erwachsene Menschen für das Denken und Empfinden der Kindesseele weit mehr Verständnis haben müssen, als das gesetzte, bequemlich würdevolle Alter der Kulturvölker unserer alten Welt, welches aus der Erfahrung von Jahrtausenden die vorsichtige Kritik und damit sehr häufig auch den steten mißmutigen Zweifel gelernt hat. Die geistige Überlegenheit hört auf, ein glücklicher Erziehungsfaktor zu sein, sobald sie zum geistigen Hochmut ausartet, und in diese Gefahr gerät sie ja in unserer alten Welt leider nur zu leicht. Wenn es andererseits richtig ist, daß der Einfluß der Kameradschaft die Jugend besser zu erziehen vermöge, als das Beispiel des Alters, so sind zweifellos junge Völker uns als Erzieher überlegen. Der Yankee vergöttert sein Kind. Erstens einmal, weil es überhaupt ein rarer Artikel ist, und zweitens, weil es den ungeheuren Vorzug hat, als Amerikaner auf die Welt gekommen zu sein. Man sollte eigentlich meinen, daß eine so stolze, exklusive Rasse wie die der Yankees darauf aus sein müßte, die Reich[pg 34]tümer ihres Landes und die vielen glänzenden Lebensaussichten lieber ihrer eigenen zahlreichen Nachkommenschaft zuzuführen, als sie den einwandernden, ihrer Meinung nach doch unendlich minderwertigen Fremdlingen aus aller Welt zuteil werden zu lassen. Wenn der Yankee dieser nahe liegenden Erwägung zum Trotz Neumalthusianer ist und folglich selten mehr als zwei Kinder hat, so erklärt sich das aus der eigenartigen Stellung, die die Frau im nördlichen Amerika einnimmt. Sie war in den ersten Jahrhunderten der britischen Kolonisationsarbeit infolge ihrer Seltenheit ein Gegenstand des beneideten Luxus und der unterwürfigen Verehrung. Der glückliche Besitzer einer jungen Frau nahm freudig alle Last der Arbeit auf sich, um seiner Gefährtin die Möglichkeit zu gewähren, ihre Schönheit, ihre geistige und körperliche Beweglichkeit bis ins Alter zu pflegen. Die Ansicht, daß es für den Mann die denkbar größte Schande sei, der schwachen Frau harte Arbeit zuzumuten, brachten die Kolonisten ja schon aus der britischen Heimat mit, und es ist begreiflich, daß sie unter den besonderen Verhältnissen des abenteuerlichen Lebens im neuen Lande noch verstärkt und sogar unvernünftig übertrieben werden mußte. So wurde also auch das Wochenbett unter die schweren körperlichen Leistungen gerechnet, die ein Mann seiner Frau nicht öfters zumuten dürfe, als der Bestand und die Interessenpolitik der Familie es unbedingt erforderten. So ist es erklärlich, daß bis auf den heutigen Tag Anglo-Amerikanerinnen, die ihren Stolz darin suchten, viele Kinder zu haben, äußerst selten sind. Die wenigen vorhandenen Kinder profitieren natürlich am meisten bei diesem Zustand. Bei der ungemein bevorzugten Stellung der Frau und bei den günstigen Lebensaussichten, welche nicht nur das begüterte, sondern auch das auf [pg 35]seine Arbeit angewiesene Mädchen in den Vereinigten Staaten hat, erklärt es sich, daß die Geburt eines Knaben durchaus nicht höher eingeschätzt wird, als die eines Mädchens. Eine vernünftige Säuglingskultur herrscht als gute englische Erbschaft über den ganzen Kontinent. Die Eltern sind von einer rührenden Geduld und Nachsicht den Kleinen gegenüber. Ein Kind zu schlagen gilt als unerhörte Roheit. Kinderzucht in unserem Sinne wird drüben wohl nur noch von manchen der eingewanderten Fremdvölker, vornehmlich in deutschen Familien versucht, aber meist vergeblich, denn schon die Kleinsten werden sehr bald durch den Vergleich belehrt, daß sie es nicht nötig haben, sich in dem freien Lande eine unwürdige Behandlung gefallen zu lassen. Deutschen Beobachtern erscheint das Yankeekind sehr oft als vorlaut, unziemlich respektlos und unerträglich ungezogen, wogegen die Yankee-Eltern das starke Hervorkehren des Eigenwillens in ihren Kindern als einen Vorzug ansehen und sich hüten, deren Selbständigkeit zu unterdrücken. Sie geben sich die erdenklichste Mühe, ihren Verkehr mit den Kindern auf den Ton der Kameradschaft zu stimmen und behandeln die unverschämten Gernegroße, sobald sie aus dem Alter der süßen Kindlichkeit heraus sind, in dem man mit ihnen wie mit Puppen spielen kann, wie Erwachsene. Infolgedessen emanzipieren sich die Kinder auch sehr frühe vom Elternhause, und zwar nicht nur in den untersten Ständen, wo die Notwendigkeit mit zu verdienen die lächerlichsten Knirpse oft schon zu selbständigen Unternehmern, zu fixen kleinen Handelsleuten macht.
Lügner und Duckmäuser.
Die öffentliche Schule gliedert sich in Kindergarten (diese deutsche Bezeichnung hat man allgemein übernommen), sowie Volksschule (Popular-School), Grammar-School, High-School und Colleges oder Universitäten. [pg 36]Das Hauptziel, namentlich der niederen Schulen, ist Erziehung zum Patriotismus. Da auch die Kinder sämtlicher eingewanderter Fremdvölker sofort für die Schule eingefangen werden, so bekommen auch die jungen, frisch importierten Deutschen,