Der Dichter in Dollarica. Ernst von Wolzogen
Читать онлайн книгу.wird als höchste Leistung idealen demokratischen Bürgersinnes auswendig gelernt. (Sie ist übrigens tatsächlich nach Form und Inhalt ein Muster von Klarheit, Sachlichkeit und edler, vernünftiger Menschlichkeit.) Die kurze, krause und an erziehlichen Heldenbeispielen nicht eben überreiche Geschichte des Staatenbundes gilt als wichtigster Gegenstand des Studiums, die Geschichte der übrigen Welt dagegen als unbeträchtlich. So vernünftig und so schön nun auch dieser heiße Eifer in der Förderung der Vaterlandsliebe ist, so verführt er doch naturgemäß leicht zu ebenso gröblichen Fälschungen und Unterschlagungen von Tatsachen, wie bei uns etwa die konfessionell gefärbten Darstellungen der Kulturgeschichte. In einem sehr verbreiteten und hochgeschätzten Schulbuch, „History of the American Nation“ von Andrew C. Mc Laughlin, Geschichtsprofessor an der Universität von Michigan, das ich mir zu meiner eigenen Belehrung anschaffte, kommt zum Beispiel in dem 28 eng gedruckte Spalten umfassenden Index das Stichwort „German“ gar nicht vor! Der große und rühmliche Anteil, den die eingewanderten Deutschen sowohl als Kämpfer in den nationalen Kriegen wie auch als Kulturpioniere auf den verschiedensten Gebieten geleistet haben, wird völlig mit Stillschweigen übergangen und nur der Baron Steuben flüchtig als nützlicher militärischer Drillmeister erwähnt! [pg 37]Das ist ein etwas starkes Stück und will gar nicht dazu stimmen, daß die Pflege der Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit von dem Yankeevolke als vornehmster Grundsatz der häuslichen wie der öffentlichen Erziehungskunst laut verkündet wird. Man darf es wohl den Amerikanern glauben, auch wenn man nicht lange genug im Lande gewesen ist, um es durch die eigene Beobachtung genügend bestätigt gefunden zu haben, daß es ihrer Erziehung gelinge, feige Lüge und Heuchelei den Kindern schimpflicher erscheinen zu lassen, als selbst gefährliche Streiche des Übermuts und sogar Ausbrüche der Roheit. Der erwachsene Amerikaner lügt zwar, wenn es sein Vorteil erheischt, ärger als ein Gascogner und nimmt es, namentlich dem Staate gegenüber, auch mit seinem Eide durchaus nicht genau – seine Lügenkünste werden sogar, wenn er Geschäftsmann und Politiker ist, als smartness bewundert – aber das amerikanische Kind fühlt sich nicht so leicht zur Lüge veranlaßt, weil es nicht in steter Furcht vor Prügeln und sauertöpfischen Mienen aufwächst. Auch die Schule läßt keinerlei Duckmäuserei aufkommen und straft z. B. den Angeber mit Verachtung, anstatt ihn aufzumuntern. Die ganze Pädagogik geht darauf aus, das Ehrgefühl zu verfeinern und den Ehrgeiz anzureizen. Sie ist außerordentlich verschwenderisch mit Preisen und schmeichelhaften Belobigungen und sie straft vornehmlich durch Beschämung. Dadurch, daß sie die Leistungen körperlicher Tüchtigkeit kaum minder hoch einschätzt als die geistige Befähigung, schafft sie auch für die minder Begabten, aber wenigstens körperlich gewandten und mutigen Schüler eine Möglichkeit, ehrenvolle Auszeichnungen davonzutragen. Gute Schüler, die sowohl in den Athletiks wie in den Wissenschaften Hervorragendes leisten, kommen im Laufe der Schuljahre in [pg 38]den Besitz eines kleinen Museums von Ehrenflaggen und Wimpeln, silbernen Bechern, Medaillen, Diplomen, Bücherpreisen und dergl., und diese Trophäen aus der Schulzeit machen noch in höherem Alter den größten Stolz der Inhaber aus.
Schülerverbindungen.
Sehr schwer ist es begreiflicherweise, den jungen Republikanern Disziplin beizubringen, denn die Abneigung gegen jeden Zwang liegt ihnen im Blute. Dazu pflegen sie im Durchschnitt auch noch erheblich temperamentvoller und lebhafter, ungebärdiger und eigenwilliger zu sein, als die Kinder der meisten anderen Völker. Man stelle sich eine junge Lehrerin (die Lehrkräfte sind zum überwiegenden Teil weibliche) einer großen Klasse von tobsüchtigen Buben und ausgelassenen Mädels gegenüber vor. Schlagen darf sie nicht, auch wenn sie körperlich imstande wäre, diese wilden Rangen zu bewältigen. Wüstes Anschreien ist auch verpönt; wie soll sie also mit einer solchen Gesellschaft fertig werden? Georg v. Skal erzählt in seinem Buche „Das amerikanische Volk“ ein hübsches Beispiel, wie solch eine schon fast verzweifelte junge Lehrerin ihrer besonders wilden Klasse Herr wurde. Sie erklärte nämlich der radaulustigen Gesellschaft, sie habe es satt, sich die Schwindsucht an den Hals zu ärgern, sie möchten sich gefälligst allein regieren; sie gebe ihnen anheim, sich einen Präsidenten, einen Vizepräsidenten und was sonst für Beamte notwendig seien, aus ihrer Mitte zu wählen und mache dann diese selbstgewählte Regierung für Aufrechterhaltung der Ordnung verantwortlich. Und siehe da, der angeborene common sense, d. h. der Instinkt für das Vernünftige, brachte diese schwierige Gesellschaft ohne irgend welche Beeinflussung von oben dazu, den besten und gesittetsten Schüler der Klasse zum Präsidenten und den stärksten und gewalt[pg 39]tätigsten zum Vizepräsidenten zu erwählen. Der erstere suchte durch vernünftige Überredung einzuwirken, und der Vizepräsident, als Haupt der Exekutive, verprügelte eigenhändig die unbotmäßigen Elemente dergestalt, daß sie es bald vorzogen, sich widerspruchslos zu fügen. Die junge Lehrerin durfte sich bald einer Musterklasse rühmen. Die Selbstverwaltung spielt überhaupt eine große Rolle im amerikanischen Schulwesen. Schülerverbindungen aller Art werden nicht wie bei uns unterdrückt, sondern im Gegenteil begünstigt. Die Lehrer unterweisen diese Verbindungen in der Handhabung der parlamentarischen Formen und wachen nur darüber, daß keine unziemlichen oder unsinnigen Ausschreitungen stattfinden. Der schlimme Anreiz zur frühzeitigen Nachahmung eines studentischen Saufkomments fehlt den Schülern der amerikanischen Mittelschulen vollständig, da ein solcher auf den Universitäten nicht existiert. Und so läuft die Haupttätigkeit aller Schülerverbindungen auf Sport und Spiel, vornehmlich auf die Nachäffung des politischen Lebens im kleinen, auf Übung im Redenhalten und Debattieren hinaus. Der Erfolg ist denn auch der, daß der junge Amerikaner des Durchschnitts zum mindesten die rhetorische Phrase außerordentlich geläufig beherrschen lernt und daß die hervorragenden Intelligenzen sich spielenderweise zu vorzüglichen Rednern und schlagfertigen Debattern heranbilden. Der Lehrplan ist in den Elementarschulen durchaus auf das Praktische gestellt; es wird scharf gedrillt, viel auswendig gelernt und viel examiniert. Was jeder Mensch an Elementarwissen zum Leben unbedingt notwendig braucht, wird zuverlässig den im allgemeinen äußerst hellen und lernbegierigen Köpfen eingetrichtert. Nebenbei verrichtet aber die Volksschule noch eine höchst wichtige Kulturarbeit, indem sie auch die erwachsenen [pg 40]Einwanderer durch deren Kinder erziehen läßt. Selbstverständlich erlernen diese die englische Sprache sehr viel rascher und gründlicher als die Eltern und werden dadurch zu deren Lehrern. Aber sie werden auch zu Lehrmeistern ihrer Eltern in bezug auf Körperkultur, Hygiene und Manieren. Jedes Kind, das nicht sauber gewaschen und in properem Anzug zur Schule kommt, wird seinen Eltern heimgeschickt mit dem Auftrag, das Nötige zur Behebung solcher Mängel sofort vorzunehmen. Die heimgeschickten Kinder fühlen sich so beschämt durch diese Maßnahme, daß sie es in den meisten Fällen auch bei Eltern, die einem Volke angehören, dem die Pflege des Drecks ein Gegenstand religiöser Überzeugung ist, durchsetzen werden, daß um der Schule willen Seife, Zahnbürste, Kamm usw. mit der der angelsächsischen Rasse angeborenen Energie angewendet werden. In besonders schwierigen Fällen begleiten wohl die Lehrerinnen die armen Kinder solcher Schmutzfanatiker heim und reinigen und beflicken sie selbst vor den Augen der Eltern; oder die Angehörigen besonderer sozialer Hilfsvereine unterziehen sich dieser menschenfreundlichen Aufgabe. So lernen sich unzivilisierte Eltern vor ihren Kindern schämen und bringen es noch auf ihre alten Tage über sich, dem Weidwerk auf den eigenen Köpfen nachzugehen und die ehrwürdige Patina des wärmenden Drecks, den sie aus Europa oder Asien über das Weltmeer mit hinüber gebracht haben, den ungemütlichen Idealen moderner Hygiene zu opfern.
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Das Universitätsleben in der Union.
Studentenverbindungen.
Wer sich über die tiefsten Wesensunterschiede der amerikanischen und der europäischen Kultur klar werden will, der möge sich nur ordentlich umsehen auf den Stätten, wo die geistigen Werte in gangbare Münze umgesetzt und die großen Wechsel auf die kulturelle Zukunft ausgestellt werden, nämlich – auf den Hochschulen. Wer in Deutschland akademischer Bürger gewesen ist, dem muß zunächst unfehlbar der große Unterschied zwischen hüben und drüben in der äußeren Erscheinung der Studenten und Studentinnen auffallen. Abgesehen davon, daß selbstverständlich der groteske Typus des Studiosus Süffel, des bemoosten Hauptes mit dem Bierbauch und den aufgeschwemmten, kreuz und quer zerhackten Backen, sowie auch die des hochmütig blasierten ultrapatenten Korpsstudenten