Der Dichter in Dollarica. Ernst von Wolzogen

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Der Dichter in Dollarica - Ernst von  Wolzogen


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mit dem Gegebenen bleibt eben kein Platz für den fruchtbaren Zweifel und für die Unersättlichkeit des Forschers. Den amerikanischen Studenten im allgemeinen interessiert nur jenes positive Wissen, dessen unmittelbare praktische Verwertbarkeit ihm einleuchtet. Und wie der Zuschnitt aller amerikanischen Erziehungsanstalten, von der Elementarschule an, darauf eingerichtet ist, dem jungen Nachwuchs zu geben, was er braucht, wonach seine natürlichen Instinkte sich freudig drängen, so sind auch die Universitäten keineswegs darauf aus, Gelehrte zu züchten, sondern ihre Absicht ist vielmehr nur, dem Schulwissen den letzten Schliff, das refinement der höheren Kultur und den Fachstudien jene Vertiefung zu geben, die sie im praktischen Leben erst nutzbar macht. Der amerikanische Student glaubt an sein Lehrbuch und schwört auf die Worte seines Lehrers. Er lernt fleißig, ohne sich von Zweifeln beirren zu lassen, und beschränkt sich auf die Fächer, die ihm für seinen künftigen Beruf als notwendig vorgeschrieben sind. Überflüssige Wissenschaften nimmt er nur eben so mit, sofern er die Eitelkeit besitzt, als Schöngeist zu glänzen, und um sich von den Damen seines Kreises nicht in bezug auf allgemeine Bildung in den Schatten stellen zu lassen. Seinen Professor plagt auch keineswegs der Ehrgeiz, den Prometheusfunken schöpferischen Instinktes, der etwa in den jungen Köpfen seiner Hörer schlummern mag, zur hellen Flamme aufzublasen und die Methoden selbständiger wissenschaftlicher Forschung diesen zukünftigen Bahnbrechern nahezubringen. Er begnügt sich meistens damit, sein Fachwissen der Jugend mitzuteilen, und sorgt durch Abfragen und Aufgabenstellen dafür, daß sie sich dies Fachwissen gründlich einprägen. Er ist daher in weitaus den meisten [pg 48]Fällen nach unseren Begriffen selber gar kein Gelehrter, sondern eben nur ein Reservoir von Kenntnissen, ein Experte, ein Korrepetitor. Unter den überaus zahlreichen Professoren deutscher Abstammung, die es drüben als Universitätslehrer zu großem Ansehen gebracht haben, finden wir daher so manchen, der sich niemals wissenschaftlich betätigt hat und als einfacher Töchterschul-, Real- oder Gymnasiallehrer ausgewandert ist. Erweisen sich solche bescheidene Handlanger der Wissenschaft drüben als gute Pädagogen, bei denen die Kinder gern und gut lernen, so haben sie es nicht schwer, zu Hochschullehrern aufzurücken. Anstandshalber pflegen sie dann einen Leitfaden, ein Kompendium oder eine populäre Darstellung ihres speziellen Wissensgebietes zu verfassen. Im Colleg ist der freie Vortrag von seiten der Professoren durchaus nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme. Die meisten halten sich an ein Lehrbuch eigner oder fremder Erzeugung und pauken dies gewissenhaft den Schülern ein. Schüler bleiben die Studenten ja in der Tat, bis sie ihren akademischen Grad erreicht haben. Der Freshman birgt in seinem Schädel keineswegs jene beängstigende Masse verschiedenartigster Kenntnisse, deren Vorhandensein der deutsche Schüler im Abiturientenexamen nachweisen muß. In den philologischen Fächern, namentlich in den alten Sprachen, besitzt er kaum das Wissen eines deutschen Untersekundaners; in den modernen Sprachen, in Geschichte und Geographie weiß er vielleicht so viel, daß er bei uns das Einjährigenexamen bestehen könnte, und in den Realien etwas mehr. Wer also eine humanistische Bildung erstrebt, der arbeitet das Pensum unserer Obersekunda und Prima erst auf der Universität durch; die übrigen werfen sich von vornherein auf das Fach, aus dem sie später ihren Beruf zu machen gedenken. [pg 49]Es gibt besondere Drillanstalten für Juristen, für Mediziner, für Theologen – die letzteren werden von den einzelnen Denominationen (Sekten) auf eigne Kosten unterhalten. Am stärksten besucht und am glänzendsten ausgestattet sind die Institute für die technischen Berufe, die chemischen und physikalischen Laboratorien, die Maschinen-Ingenieurschulen, die Museen und Sammlungen für den Anschauungsunterricht der Geologen, Zoologen, Landwirte, Architekten usw. usw. Weitaus die meisten Universitäten sind im Grunde nichts anderes als technische Hochschulen, an welche eine philosophische Fakultät, eine juristische, medizinische oder theologische Fachschule angegliedert sind, ganz ähnlich wie ja auch bei unseren technischen Hochschulen Vorlesungen über Nationalökonomie, Literatur und Kunstgeschichte, über Philosophie und dergleichen, die allgemeine Bildung bereichernde Gegenstände gehalten werden. Es ist ja sehr begreiflich, daß vorläufig noch die weitaus überwiegende Mehrzahl der geistig regsamen jungen Leute in Amerika sich nach den Berufen drängt, welche noch auf lange Zeit hinaus die größte praktische Bedeutung haben werden. Für Hoch- und Tiefbauingenieure, Elektrotechniker, Maschinenkonstrukteure, Geologen, Schiffsbauer, Chemiker gibt es selbstverständlich in dem Riesenkontinent mit den großen, noch unerschöpften Möglichkeiten der Ausbeutung viel mehr zu tun, als für die Vertreter der reinen Geisteswissenschaften. Man hegt trotzdem eine an Ehrfurcht grenzende Hochachtung für die seltsamen Idealisten, welche, anstatt ihre Schöpfkellen unter die zurzeit noch üppig sprudelnden Goldquellen zu halten, den Durst ihrer Seelen mit transzendenten Betrachtungen stillen, und statt nach blanken Metalladern nach Regenwürmern graben. Es gibt auch in Amerika wunderliche Käuze, die imstande sind, sagen [pg 50]wir über das Alpha privativum im Griechischen dicke Wälzer zu schreiben, oder lange Jahre ihres Lebens der Erforschung irgendeines dunkeln Winkels der Geschichte zu opfern, an dessen Aufhellung keinem modernen Menschen das Geringste gelegen ist. Man bezahlt sogar solche Käuze – sie sind übrigens fast alle Deutsche – sehr gut und ist besonders stolz auf ihren Besitz – aus demselben Grunde, aus welchem man unerhörte Summen aufwendet, um allen möglichen alten Trödel aus Europa neben wirklichen Kostbarkeiten der Kunst in die privaten und öffentlichen Sammlungen Amerikas zu schleppen. Man will eben der Alten Welt beweisen, daß man sich in der Neuen den Luxus der Reliquienverehrung auch leisten könne und daß man keineswegs den übeln Ruf verdiene, ein Volk von Emporkömmlingen zu sein, das nur für materielle Dinge Achtung und Verständnis besitze.

      Postgraduates.

      Es ist charakteristisch, daß es drüben Privatgelehrte wohl überhaupt nicht gibt. Wer wirklich gelehrte Studien treibt, seien es auch solche, deren praktischer Wert nicht ersichtlich ist, kann sicher sein, in einer Universitätsstellung seinen Lebensunterhalt zu finden, sei es auch nur als sorgfältig unter Glas verwahrte Rarität. Es gibt also auch kein gelehrtes Proletariat, und das scheint mir denn doch ein Vorzug zu sein, um welchen wir das junge Land nur beneiden können. Jeder akademische Bürger ist imstande, die Kenntnisse, die er sich auf der Hochschule erworben hat, später praktisch zu verwerten. Der Staatsbeamte braucht nicht seinen Eltern bis in seine 30er Jahre hinein auf der Tasche zu liegen, der Arzt, der Rechtsanwalt, der keine Praxis, der Geistliche, der keine Gemeinde findet, braucht deswegen immer noch nicht zu verzweifeln, sondern sich nur einen Stoß zu geben und die Annehmlichkeiten einer östlichen Großstadt mit der Langenweile eines wild[pg 51]westlichen Standquartiers zu vertauschen, so wird er auch seine Rechnung finden; wenn nicht, so wird er eben Geschäftsmann, Farmer oder sonst etwas Vernünftiges. Seine Bildung braucht ihm dabei nicht hinderlich zu sein. Handel, Industrie und Landwirtschaft schicken ihre Söhne scharenweise auf die Universitäten, um sich dort allgemeine Bildung und nützliche Spezialkenntnisse zu erwerben. Das für die eigentliche wissenschaftliche Forschung in Betracht kommende Studentenmaterial bildet nur eine fast verschwindende Minderheit. Übrigens finden diese Leute, die sich dann wohl meist der akademischen Lehrtätigkeit widmen wollen, als Postgraduates auch in Amerika reichlich Gelegenheit, ihre Studien zu vertiefen und zu erweitern, denn es fehlt weder an hervorragenden Kapazitäten in fast allen wissenschaftlichen Fächern, noch an Lehrmitteln. Die Bibliotheken zumal sind überaus reich ausgestattet. Sollte aber ihr wissenschaftlicher Eifer sich auf Gebiete werfen, die in der Heimat noch zu wenig angebaut sind, so finden sie sicher Mäzene, die ihnen ein weiteres Studium im Auslande ermöglichen, wenn die eignen Mittel dazu nicht ausreichen sollten.

      Der Professor im öffentlichen Leben.

      Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die Frische und Freudigkeit, die uns bei der amerikanischen akademischen Jugend so vorteilhaft auffällt, die glückliche Folge der Klarheit und Sicherheit aller Verhältnisse drüben ist. Der junge Mensch kommt nicht als überfüttertes Geistesmastprodukt auf die hohe Schule; er hat nicht seine schönsten Jugendjahre an eine erzwungene Arbeit verloren, deren Nutzen er nicht einzusehen vermochte, und hat nicht seinen Charakter verdorben durch ohnmächtiges Zähneknirschen wider ein verhaßtes System und deren lebendige Vertreter; er kommt mit echt jugendlichem Vertrauen seinen Lehrern entgegen und braucht [pg 52]sich nicht vorzeitig mit der Schicksalsfrage zu quälen: wozu büffelst du nun eigentlich noch immer weiter? Wird dir dein Wissen auch ein sicheres Auskommen gewähren, oder wird die einzige Vergeltung für dein höheres Streben darin bestehen, daß du einst als abgetriebener alter Karrengaul an der Staatskrippe ein dürftiges Gnadenbrot findest? Wenn schon jeder gewöhnliche Amerikaner durch das Bewußtsein, daß ihm


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