Der Dichter in Dollarica. Ernst von Wolzogen

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Der Dichter in Dollarica - Ernst von  Wolzogen


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Auserwählten der Nation, die ja den Wettlauf um die höchst erreichbaren Ziele bereits um viele Stationen näher an diesem Ziele beginnen. Der nicht akademisch gebildete Amerikaner schaut mit stolzer Verehrung zu jedem jungen Harvard-Yale-Columbia-Cornellman wie zu einem höheren Wesen auf, denn er weiß, daß diese strammen Burschen einst die Richter, die Ärzte, die Gesetzgeber seiner Kinder sein und daß ohne Zweifel geniale Erfinder, Kulturförderer großen Stils, auch wohl Präsidenten der Vereinigten Staaten darunter sein werden. Die hohe Wertschätzung des akademischen Wissens findet vielleicht ihren schönsten Ausdruck in der Bereitwilligkeit, mit welcher zu Reichtum gelangte Leute aus einfachsten Verhältnissen fürstliche Stiftungen für wissenschaftliche Zwecke machen. Sobald eine Universität in Verlegenheit ist, woher sie das Geld beschaffen soll für notwendige Neubauten, zur Bereicherung ihrer Bibliotheken und sonstigen Sammlungen, so braucht der Herr Rektor, dort Präsident genannt, nur ein paar notorische Millionäre der Stadt oder des Staates aufzusuchen, und er kann sicher sein, binnen kurzem die nötige Summe zusammenzubringen. Unsere Großindustriellen spenden ihre Hunderttausende, um den Kommerzienratstitel und schöne [pg 53]Orden zu bekommen; drüben sind sie zufrieden, wenn ein Collegegebäude, ein Laboratorium, eine Klinik ihren Namen trägt. Der Holzhändler Cornell hat die nach ihm genannte, jetzt hoch berühmte Universität von Ithaka ganz und gar aus eignen Mitteln aufgebaut und ausgestattet. Und dieses Beispiel hat so eifrige Nachahmung gefunden, daß heute schon die wissensdurstigen jungen Leute selbst der unkultiviertesten Bundesstaaten nicht mehr die engere Heimat zu verlassen brauchen, um höheren Studien obzuliegen. Es gibt jetzt schon eher zu viel als zu wenig Universitäten und Colleges2. Die große Wertschätzung akademischer Bildung seitens des ganzen Volkes äußert sich manchmal auch in einer Weise, die uns einigermaßen naiv erscheint. Die Amerikaner haben alle Resultate der wissenschaftlichen Forschung der ganzen Welt fertig herüber genommen, und ihre eigne Arbeit lief fast ausschließlich auf deren praktische Verwertung hinaus; folglich erscheint dem gemeinen Mann jeder Professor als ein moderner Hexenmeister, dessen Zauberkünsten alles zuzutrauen sei, und darum spielt auch der akademische Lehrer in der Öffentlichkeit eine ganz andere Rolle, wie in Europa. Während z. B. in England der Gelehrte noch mehr wie bei uns in seinem Wirkungskreis als Lehrer und stiller Forscher eingeschlossen bleibt, wird er in den Vereinigten Staaten als sachverständiger Berater und tätiger Mitarbeiter zu allen öffentlichen Angelegenheiten heran[pg 54]gezogen. Er schreibt fleißig für die Tageszeitungen, er hält populäre Vorträge, er beteiligt sich an der Politik und wird gern von der Regierung zu wichtigen diplomatischen Betätigungen herangezogen. Der Cornell-Professor Andrew D. White ist nicht der einzige, der von seinem Lehrstuhl weg direkt auf einen Gesandtschaftsposten berufen wurde. Man sieht also nicht im Gelehrten einen weltfremden, in sich gekehrten Sonderling, sondern einen Mann der Tat, dessen reiches Wissen seinen Gesichtskreis notwendig erweitert haben muß.

      Akademische Vergnügungen.

      Eine schöne Gepflogenheit, die wohl auch ihr gutes Teil dazu beiträgt, die geistige und leibliche Gesundheit der studierenden Jugend zu fördern, ist die, daß man die Hochschulen mit Vorliebe in Kleinstädte mit landschaftlich schöner Umgebung verlegt. Mit Ausnahme der altberühmten Universitäten von Boston, New York, Philadelphia, Baltimore, Washington und Chicago sind alle Hochschulen auf dem Lande. Der Campus, d. h. das Gelände der Universität, befindet sich außerhalb der Ortschaften, mit Vorliebe auf Anhöhen, die die ganze Gegend beherrschen, und auf denen noch ein üppiger alter Baumwuchs der schändlichen Waldvernichtung der ersten Ansiedler entgangen ist. Die Baulichkeiten sind nicht eng aneinander gedrängt, sondern in den wohlgepflegten Parkanlagen weit zerstreut, so daß die Studierenden auf dem Wege von einem Colleg ins andere immer reichlich Bewegung und frische Luft haben. Gelegenheit zu aller Art Sport ist selbstverständlich überall reichlich gegeben, wie man sich denn überhaupt einen Studenten, der nicht rudert, Ball spielt, wettläuft usw. gar nicht vorstellen kann. Die kleinen Städte bieten so gut wie keine Ablenkung oder gar gefährliche Versuchung für die jungen Leute. Was sie brauchen an edler geistiger Zerstreuung, [pg 55]an künstlerischer Anregung, das schaffen sie sich selbst in ihren Vereinen für Musikpflege, ihren Liebhabertheatern und festlichen Veranstaltungen. Studentische Gesang- und Instrumentalvereinigungen ziehen in der Nachbarschaft der Universität herum und verdienen sich ein hübsches Geld mit Konzerten, das sie nicht selten dazu verwenden, hervorragende Sänger und Virtuosen kommen zu lassen und ihren Kommilitonen vorzuführen, ja wohl gar hauptstädtische Theatertruppen und Sinfonie-Orchester. So ziehen beispielsweise die Lehrer und bevorzugten Schüler der Berkley-University von Kalifornien alljährlich in den Sommerferien in den Urwald, leben dort wochenlang in Zelten und Blockhütten, die zum Teil im Geäst der riesigen Mammutbäume (Sequoia gigantea) errichtet werden und betreiben während dieser Zeit die Einstudierung und Aufführung dramatischer Festspiele unter freiem Himmel. Bohemian Jinks nennen sie diese Freilichtspiele (etwa „zigeunerische Luftsprünge“ zu übersetzen), für die sie aus eignen Kräften Dichtung, Musik, Kostüme und Darsteller liefern. Während dieser heiligen Zigeunerwochen ist das andere Geschlecht strengstens verbannt, und es werden daher nach antiker Weise bei den Spielen die Frauenrollen von jungen Männern dargestellt. Im übrigen sorgt die an den meisten Hochschulen bestehende Coeducation (kurz Coed genannt) dafür, daß die jungen Leute auch in den abgelegensten kleinen Nestern die guten Manieren im geselligen Verkehr nicht verlernen. Die Studentinnen pflegen ihr eignes Gesellschaftshaus mit Schwimmbassin, Turnhalle, Ballsaal und Drawingroom zu besitzen. Dorthin laden sie ihre Freunde ein, wie auch umgekehrt die jungen Herren die Studentinnen zu ihren Unterhaltungen heranziehen. Fast jeder Student hat wohl unter den Kommilitoninnen sein best girl, mit dem er [pg 56]„geht“, wie man bei uns sagen würde. Diese Kameradschaften sind aber durchaus harmloser Natur, haben nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit der collage des französischen Studenten und verpflichten auch keineswegs zu standesamtlichen Folgen. Amerikanische Professoren wissen nie etwas von sittlichen Gefahren dieses ungenierten Verkehrs zu berichten; dagegen schieben viele von ihnen die Schuld an dem niedrigen Niveau wissenschaftlichen Geistes der Rücksichtnahme auf die weiblichen Studenten zu.

      Wo die Frauen unter sich sind, haben sie es noch viel besser als an den gemischten Universitäten. Ich wüßte nicht, wo ein junges Mädchen mit starkem Bildungsdrange in der Welt besser aufgehoben wäre, als z. B. in Wellesley-College bei Boston. Wenn man den Studienplan dieser Frauenakademie durchblättert, erstaunt man über die schier fabelhaften Bildungsmöglichkeiten, die hier den Töchtern der Neuen Welt geboten werden. 17 männliche und 137 weibliche Professoren, Dozenten und Assistenten lehren an dieser überaus reich dotierten Hochschule. Um aufgenommen zu werden, muß die junge Dame im Englischen 3, in Geschichte 1, in Mathematik 3, Latein 4, einer zweiten Sprache 3, einer dritten Sprache 1 und in Botanik, Chemie oder Physik 1 Punkt nachweisen. Die Anzahl der Punkte bedeutet nämlich die Anzahl der Jahre, die der Schüler, bei durchschnittlich 5 wöchentlichen Stunden, auf den betreffenden Gegenstand verwendet haben muß, und durch ein Abgangszeugnis oder ein Examen muß er beweisen, daß er diese Zeit befriedigend ausgenutzt habe. Um einen Begriff von der Reichhaltigkeit der wissenschaftlichen Speisekarte zu geben, will ich hier nur die in der germanistischen Abteilung angekündigten Vorlesungen aufzählen:

      [pg 57]

      Wissenschaftliche Speisekarte für Damen.

1.Elementarkursus, Grammatik, Übungen im Sprechen, Lektüre, Auswendiglernen von Gedichten.
2-4.Vorbereitungskurse für deutsche Literaturgeschichte.
5.Repetitions- und Erweiterungskurs für Grammatik und Stil.
6.Freie Reproduktion. Bühnendeutsch. Übungen im mündlichen und schriftlichen Ausdruck. Kritische Betrachtung deutscher, in Amerika erschienener Texte.
7.Übungen im schriftlichen Ausdruck im Anschluß an die Literaturgeschichte.
8.Geschichte der deutschen Sprache.
9.Umrisse der deutschen Literaturgeschichte (Götter- und Heldensagen).
10.Goethes Leben und Werke.
11.Das Drama des 19. Jahrhunderts.
12.Der deutsche Roman.
13.Literaturgeschichte vom Hildebrandslied bis Hans Sachs.
14.Literaturgeschichte bis Goethe.
15.Mittelhochdeutsch.
16.Die romantische Schule.
17.Lessing als Dramatiker und Kritiker.
18.Schiller als Philosoph und Ästhetiker.
19.Goethes Faust.
20.Schillers Leben und Werke.
21.Stilübungen.
22.Gotisch.
23.Die
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