Der Dichter in Dollarica. Ernst von Wolzogen

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Der Dichter in Dollarica - Ernst von  Wolzogen


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oder frühzeitig zergrübelten Denkerköpfen, deren Alter schwer bestimmbar und deren ungeschicktes, weltfremdes Gebaren mit der Reife und dem Ernst ihres Denkens und Redens oft in so drolligem Widerspruch steht. Drüben sieht man nur frische, derbe Jungens und Mädels; die ersteren häufig noch bärenhaft tolpatschig, die letzteren mit der ruhigen Sicherheit der früheren Reife ihres Geschlechts auftretend. Die sozialen Unterschiede der Herkunft machen sich nur in der Kleidung bemerkbar und in der größeren oder geringeren Zierlichkeit der Gliedmaßen und Verfeinerung der Manieren. Im Ausdruck der Gesichter herrscht aber eine erstaunliche Gleich[pg 42]artigkeit. Die Studierenden der beiden ersten Semester werden Freshmen genannt, der zweite Jahrgang Sophomors, der dritte Jahrgang Juniors, der vierte Jahrgang Seniors. Alle zusammen sind die Undergraduates, und was nach dem Graduieren, d. h. also nach dem Baccalaureats oder sonstigem Staatsexamen, noch weiter studiert, Postgraduates; als äußerliches Kennzeichen führen sie verschieden gefärbte Knöpfe auf ihren Oxfordbaretts oder gestrickten Wollkappen. Von der High-School kommen sie zwischen 17 und 19 Jahren zur Universität oder in die Colleges; aber nicht, wie bei uns, tut nun der junge Mensch einen gewaltigen Sprung aus der strengen Disziplin in die schrankenlose Freiheit, sondern nur einen bedächtigen Schritt vorwärts von einer strengeren zu einer freieren Schulgattung, denn auch auf der Universität und im College sind die jungen Leute einer Disziplin unterworfen, die ihre persönliche Freiheit immerhin beschränkt. Sie wohnen in sogenannten Dormitories (Schlafhäusern), wo sie, je nach ihren Mitteln, einzeln oder mit Kameraden zusammen hausen. Die Mahlzeiten nehmen sie gemeinsam in einer großen Halle ein, wo sie für billiges Geld eine einfache, nahrhafte Kost, aber nur Wasser zu trinken bekommen. An denjenigen Hochschulen, die beiden Geschlechtern gemeinsam dienen, sind für die Mädchen besondere Schlafhäuser und meist auch Speisesäle vorhanden. Ebenso auch besondere Gymnasien, d. h. Sporthallen, und besondere Spielplätze; dagegen häufig gemeinsame Klublokale, wo sie Tanzvergnügungen abhalten, Liebhabertheater spielen, Nachmittagstees oder Abendreceptions geben. Von jeder Aufsicht frei sind sie nur in ihren Vereinen und in ihren Bruder- oder Schwesterschaften (Fraternities und Sororities). Diese letzteren nehmen die Stelle unserer Verbindungen ein. Sie be[pg 43]zeichnen sich aber nicht nach Landsmannschaften, sondern mit Buchstaben des griechischen Alphabets, welche die Anfangsbuchstaben eines Wahlspruchs sind, den sie meist mit drolligem Ernst als ein großes Geheimnis bewahren. Nur die wohlhabenden Studenten und Studentinnen können sich die Mitgliedschaft in einer solchen Bruder- oder Schwesternschaft leisten, denn diese Vereinigungen besitzen eigne Häuser, in denen sie, zum Teil sogar recht luxuriös, wie Gentlemen und Ladies der besten Gesellschaft zusammen leben, essen und arbeiten. Selbst die bescheidensten dieser Verbindungshäuser sind mit allen modernen Bequemlichkeiten behaglich und gediegen ausgestattet. Man sieht also auch aus dieser Erscheinung wieder, wie das demokratische Prinzip der Gleichmacherei immer wieder von dem natürlichen Drange des Menschen nach aristokratischer Absonderung durchbrochen wird; nur, daß es in der großen Republik ein selbstverständliches Gebot anständiger Gesinnung ist, Vorzüge der Geburt und des Besitzes nicht durch anmaßendes Wesen gegenüber den vom Glück weniger Begünstigten zum Ausdruck kommen zu lassen. Man wird schwerlich jemals beobachten können, daß arme Studenten und Studentinnen, die sich durch Stundengeben, Schreiber- oder gar Handlangerdienste mühsam durchschlagen müssen, vor den Mitgliedern der reichen Verbindungen unterwürfig kriechen, oder daß jene sich diesen gegenüber einen überheblichen, unkameradschaftlichen Ton herausnähmen. In allen gemeinsamen Angelegenheiten halten die Studenten fest zusammen, und der Stolz auf ihre Alma mater äußert sich bei allen festlichen Gelegenheiten, namentlich bei den sportlichen Wettkämpfen mit anderen Hochschulen, in einem erfrischend jugendlichen Enthusiasmus. Jede Hochschule hat einen besonderen Cheer, d. h. Hochruf, nach [pg 44]Rhythmus und Melodie verschieden. Und mit diesem Cheer werden die beliebten Professoren und die sportlichen Siege gefeiert, bei den großen Wettkämpfen muß er gleich dem Kriegsruf wilder Völkerschaften zur Anspornung des Kampfeifers dienen. Wer einmal – etwa gar in dem berühmten Stadion der zwanzigtausend Menschen fassenden Arena von Cambridge bei Boston, einem Fußballmatch zwischen Harward und Yale beigewohnt hat, wird zeitlebens den Eindruck nicht vergessen. Jede der beiden Parteien hat ihr eignes Musikkorps, welches in den Spielpausen Studentenlieder und schmetternde Märsche zum besten gibt und während des Spiels jede bedeutsame Wendung, jede gute Augenblicksleistung des Einzelnen mit einem Tusch quittiert. Vor jedem der beiden Musikkorps sind Angehörige der betreffenden Parteien aufgestellt, welche, mit riesigen Sprachrohren bewaffnet, den College-Cheer intonieren und, wild mit den Armen fuchtelnd, meistens gänzlich unrhythmisch und unmusikalisch, den Tusch der Bläser dirigieren. Und dann fallen in diesen Heilruf nicht nur die Kommilitonen, sondern auch die anwesenden früheren Studierenden der betreffenden Universität und deren ganzer Anhang von Freunden und Verwandten im Publikum ein, und das mit einer Begeisterung und einem Kraftaufwand, daß dem unbeteiligten Fremdling darüber Hören und Sehen vergeht. Man springt auf die Bänke, man schwenkt Taschentücher und Kopfbedeckungen, wildfremde Menschen packen sich bei den Schultern und schütteln und stoßen sich, um einander aufmerksam zu machen auf spannende Momente oder sich zu größerer Begeisterung für die Sieger aufzurütteln. Und dabei sieht der Fremdling, der von dem Spiel nichts versteht, eigentlich nur einen in eine Staubwolke eingehüllten Knäuel grotesk bekleideter Jünglinge, [pg 45]der sich balgend auf dem Boden wälzt, wobei ein Individuum dem andern die Rippen eintritt, mit den Fäusten den Wind ausbläst (to blow the wind out) oder die schweren Sportstiefel unter die Nase feuert, bis sich einer mit dem eroberten Ball unterm Arm aus dem wüsten Menschensalat herausarbeitet und in weiten Sprüngen, wie ein junger Hirsch, unter dem betäubenden Jubel von zwanzigtausend bis zur Tollheit begeisterten Landsleuten über den Kampfplatz stürmt.

      Sportliche Wettkämpfe.

      In diesen Wettspielen der höchst kultivierten Jugend Amerikas erlebt man staunend bei dem traditionslosesten aller Gegenwartsvölker eine höchst eindrucksvolle Auferstehung der Antike. Die Schönheit und Anmut der nackten Griechen fehlt freilich völlig bei dieser unförmlich wattierten, mit Lederkappen und Fausthandschuhen ausgerüsteten Yankeemannschaft, aber die leidenschaftliche Teilnahme des ganzen Volkes, die diese Kraft- und Gewandtheitsspiele seiner Jugend zu einer nationalen Angelegenheit macht, kann auch im alten Hellas und im alten Rom nicht hinreißender gewesen sein. Die amerikanische Mutter ist auf ihren Sohn, dem beim Ballspiel das Nasenbein oder sonstige Extremitäten geknickt wurden, so stolz wie die Spartanerin, deren Knabe, ohne mit der Wimper zu zucken, sich mit Ruten bis aufs Blut peitschen ließ.

      Der letzte Schliff. Technik und Wissenschaft.

      Diese hohe Wertschätzung der körperlichen Tüchtigkeit, die übrigens keineswegs nur auf das männliche Geschlecht beschränkt ist, trägt sehr viel dazu bei, dem amerikanischen Studentenleben sein durchaus eigenartiges Gepräge zu verleihen. Ich habe mir des öfteren erlaubt, amerikanischen Studenten gegenüber meinem Zweifel Ausdruck zu geben, daß diese Helden der Arena, diese Champions der Ballschläger, Ruderer, Wettläufer und [pg 46]Boxer auch in geistiger Beziehung Zierden einer wissenschaftlichen Anstalt seien, habe aber fast regelmäßig die Antwort bekommen, daß meine Zweifel durchaus unbegründet, vielmehr unter den hervorragenden Athleten häufig auch die tüchtigsten wissenschaftlichen Begabungen, zum mindesten aber die fleißigsten Büffler zu finden seien. Weit weniger sichere und selbstbewußte Antworten dagegen erhielt ich, wenn ich amerikanische Studenten nach ihren wissenschaftlichen Zielen oder gar nach ihrer Weltanschauung auszuforschen versuchte. Da hieß es meist: „Ach, darüber zerbrechen wir uns vorläufig den Kopf nicht. Wenn wir unser Examen gemacht haben, schickt uns die Regierung nach Portorico oder nach Haiti oder sonst wohin, da haben wir schon eine gute Stellung in Aussicht.“ Ein anderer sagt: „O, ich trete einfach in das Geschäft meines Vaters ein, da brauche ich keine andere Weltanschauung als die eines Gentlemans.“ Da die englische Sprache keinen präzisen Ausdruck für Weltanschauung kennt, so ist es überhaupt sehr schwer, einem jungen Amerikaner begreiflich zu machen, was man damit meint. Der Optimismus des jungen erfolgreichen Volkes sitzt ihm so tief im Geblüt, daß er kaum begreift, wie man sich von Zweck und Wert des Lebens, von der Vortrefflichkeit der bestehenden Weltordnung verschiedenartige Vorstellungen machen könne. Er fühlt nicht den mindesten Drang oder Beruf in sich, an diesen Dingen Kritik zu üben, weil er in der Anschauung aufgewachsen ist und sie innerhalb seiner jungen Erfahrung überall bestätigt findet, daß für einen Bürger der Vereinigten Staaten überall Raum und Gelegenheit zur erfolgreichen Betätigung seiner Kräfte und Talente gegeben sei. Eine solche Anschauung


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