Der Dichter in Dollarica. Ernst von Wolzogen
Читать онлайн книгу.werden bei uns in Deutschland Rassen- und Standesvorurteile vergessen, wenn sich eine Gelegenheit findet, den verblaßten Glanz eines alten Wappens durch die Mitgift einer jüdischen Braut aufzufrischen! Wenn ein Yankee eine Jüdin heiratet – der Fall dürfte übrigens selten genug vorkommen – so tut er es sicher aus Liebe, wie denn überhaupt die Geldheiraten in unserem Sinne unter den Yankees äußerst selten sind, weil es durchaus nicht Sitte ist, den Töchtern bei Lebzeiten der Eltern einen Teil des Vermögens in Gestalt einer Mitgift auszuliefern. Die Leichtigkeit des Verdienens und das Zutrauen, das jeder junge Amerikaner zu seinen Fähigkeiten und zu seinem Glück hat, macht tatsächlich die Liebesheirat zu dem normalen Verfahren, und damit ist auch schon eine starke Gewähr für die Aufrechterhaltung einer kräftigen Rasse durch natürliche [pg 26]Zuchtwahl geboten. Die bevorzugte Stellung der Frau spielt selbstverständlich unter den günstigen Bedingungen für die Verbesserung der Rasse auch eine wichtige Rolle. Die Frau ist in dem neuen Weltteil Jahrhunderte hindurch von den rauhen Pionieren wie eine Halbgöttin verehrt, wie ein Kätzchen verhätschelt worden. Niemals wurde ihr harte körperliche Arbeit zugemutet, niemals wurde ihren Schwächen, Launen und Eitelkeiten mit Grobheit begegnet, immer sah es der Mann als eine gern geübte Pflicht an, seine Kräfte bis aufs äußerste anzustrengen, um es der Frau zu ermöglichen, sich gut zu nähren, schön zu kleiden und in Muße ihre geistigen Anlagen zu pflegen. Die Folge dieser Behandlung war die, daß sich die Yankee-Frau, wenigstens körperlich, zur schönsten der Welt entwickelte. Allerdings wird diese Schönheit, vornehmlich was die Gesichtsbildung betrifft, von den meisten Europäern als kalt empfunden, auch fehlt ihr die weiche, schmiegsame Üppigkeit z. B. der Wienerinnen zumeist; aber unbestreitbar verdient sie den Preis von allen Frauen der Welt in bezug auf die Schmalheit des Fußes und die edle, schlanke Form des Beins. In ihrem Sinn für Eleganz, in ihrem aparten Geschmack für Kleidung kommt sie sogar der Pariserin mindestens sehr nahe. Da sich diese schöne und verwöhnte Frau nur äußerst selten zu mehr als zwei Kindern bequemt, erhält sie sich lange jung und frisch, und man sieht daher in den Vereinigten Staaten mehr schlanke, bewegliche, muntere und hübsch angezogene alte Damen, wie sonst irgendwo in der Welt. Übrigens hat die Rasse von England den Sinn für vernünftige Körperkultur, besonders für peinlichste Reinlichkeit mitgebracht, und diese Erbschaft ist auch den Männern zugute gekommen. Die Arbeit, die die ersten Kolonisten zu leisten hatten, und in den neuen Staaten heute noch [pg 27]leisten müssen, vollzog sich ja zumeist im Freien, und der stete Kampf mit Hitze und Kälte, mit wilden Tieren und Menschen, mit den bösen Fiebern der Sumpfgegenden, mit Hunger und Durst in den Wüsteneien raffte das widerstandsunfähige Menschenmaterial hinweg und ließ nur die Stärksten mit dem Leben davon kommen. Diese unerbittliche Auslese schuf ein Kapital von Muskel- und Nervenkraft, wovon die Männlichkeit der Nation noch auf eine gute Weile zu zehren haben wird. Außerdem ist es durch Gesetz streng verboten, Kranke oder gar Krüppel aus der alten Welt an den Gestaden der neuen landen zu lassen.
Kongreß deutscher Mißgeburten.
Unmittelbar nach meiner Rückkehr aus Amerika besuchte ich ein beliebtes Kaffeehaus in Berlin. Es war die erste größere Versammlung deutscher Menschen, die mir nach einer Abwesenheit von ungefähr vier Monaten wieder vor Augen kam. Und ich muß gestehen, ich war entsetzt, nein, geradezu erschüttert über den Anblick von so viel Garstigkeit. Diese Speckwampen, diese Bierbäuche, Kahlköpfe, X- und Säbelbeine, diese verpustelten und verpickelten, grämlich grauen, brutalen oder schwächlichen, gierigen oder ärgerlich verknitterten Gesichter gehörten also meinen lieben Landsleuten! Und mit diesen in ihrem schwappenden Fett schwankend daher watschelnden, geschmacklos aufgedonnerten Madams, mit diesen käsbleichen, blaßäugig blöden, stumpfnasigen, schiefzähnigen, feuchthändigen und dickbeinigen Jungfrauen hatten sie bereits oder gedachten sie fürderhin ihren Nachwuchs zu erzeugen! Herzzerkrampfend schauderhaft! Gewiß war es ein tückischer Zufall, der mich gerade bei meinem ersten Ausgang auf diesen Kongreß von Mißgeburten stoßen ließ, aber daß unsere arg vermanschte Rasse immer noch von dem ganzen Jammer der deutschen Geschichte [pg 28]in ihrer körperlichen Erscheinung Zeugnis ablegt, und erst neuerdings in der kultiviertesten Oberschicht und in der Generation, die bereits die Segnungen einer nach englischem Muster betätigten Säuglingspflege und einer vernunft- und naturgemäßen Lebensweise genossen hat, sich deutlich zu verschönern beginnt, das scheint mir leider unbestreitbar. Drüben in den Vereinigten Staaten ist der Deutsche und besonders die Deutsche der ersten Generation meist auf den ersten Blick vom Yankee zu unterscheiden. Dem deutschen Einwanderer wird es, auch wenn er zu Wohlhabenheit und angesehener gesellschaftlicher Stellung gelangt, im allgemeinen doch recht schwer, sich die freie, selbstsichere Nonchalance der Haltung und die guten Manieren des gebildeten Yankees anzueignen. Und die deutsche Auswanderin lernt nur in sehr seltenen Fällen Toilette machen und scheint im höheren Lebensalter unrettbar zu verfetten. Die Kinder dieser Einwanderer sitzen aber in der Schule neben sehnig schlanken, körperlich glänzend gepflegten Yankeekindern. Der vornehmste Zweck dieser Schule ist, den Kindern die Überzeugung beizubringen, daß es ein unüberschätzbarer Vorzug sei, als amerikanischer Mensch auf die Welt zu kommen, daß sich alle übrigen Weltteile, alle übrigen Völker nicht im entferntesten mit der unerhörten Vorzüglichkeit der Vereinigten Staaten und der stolzen Yankeerasse messen könnten. Selbstverständlich lernt das Kind die englische Sprache sehr bald viel besser beherrschen, als es seinen Eltern jemals möglich wird. Es kommt dazu, daß das amerikanische Leben, die ganze Art der Erziehung die Beobachtungsgabe der Kinder außerordentlich schärft. Da können nun die deutschen Kinder nicht umhin, Vergleiche anzustellen und sich darüber ihre Gedanken zu machen; zudem lassen es die Yankeekinder an [pg 29]boshaften Sticheleien nicht fehlen. Ich habe selber gehört, wie ein Yankeebübchen einem deutschen Knaben, der bei irgendeinem Unternehmen mitzutun zauderte, weil sein Vater es ihm verboten hätte, verächtlich die Achsel zuckend entgegnete: „Ich würde mich doch nicht darum kümmern, was der olle Dutchman sagt.“ („I would’nt care, what that old Dutchman says.“) So wird es selbstverständlich der Kinder größter Ehrgeiz, in ihrem Äußeren zunächst ihre Abstammung zu verleugnen und sich dem Wirtsvolk anzuähneln. Und dieser Ehrgeiz entwickelt sich naturgemäß bei den geistig beweglichsten Kindern am stärksten. Es ist erstaunlich, wie rasch durch solche Selbstzucht oft die deutschen Kinder ihren Eltern unähnlich werden. Die Söhne schießen um Kopfeslänge über ihren Vater hinaus, und wenn sie zum ersten Mal dem amerikanischen Barbier unter die Finger geraten sind, so ist der smarte Yankeejüngling mit der aristokratischen Sicherheit seines schlottrig flegelhaften Auftretens bald fertig. Zu Hause liegen seine langen Beine auf allen Möbeln herum, und er trifft mit tödlicher Sicherheit die messingene Spuckvase in der entferntesten Ecke des Zimmers. Das sechzehnjährige Töchterchen aber kann seiner Mutter aus dem Gesicht geschnitten sein und wird ihr doch so unähnlich wie ein geraubtes Grafenkind seiner zigeunerischen Ziehmutter. Die Yankee-Miß führt in ihrer kecken Selbständigkeit ein so beneidenswertes Dasein, daß jedes deutsche Mädchen, wenn anders es nicht völlig auf den Kopf gefallen ist, sich mit Händen und Füßen dagegen sträuben müßte, sich von einer törichten Mutter gewaltsam zu einem ängstlich daher stolpernden, unmotiviert kichernden und errötenden, Sittigkeit und Bescheidenheit markierenden Backfisch dressieren zu lassen.
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Die Kinder der Einwanderer. Antisemitismus?
So spornt das Beispiel der stärkeren und gesunderen Rasse die körperlich und geistig bevorzugtesten unter den Kindern der fremden Einwanderer mächtig zur Anpassung an. Die zweite Generation, vornehmlich der deutschen Einwanderer, weist schon recht zahlreiche Exemplare auf, die von echten Yankees kaum oder gar nicht zu unterscheiden sind – und dennoch verhält sich der Yankee selbst diesen seinen talentvollsten Nachahmern gegenüber in bezug auf die Ehe immer noch ziemlich spröde. Er sieht die Deutschen sehr gern in seinem Lande, er schätzt sie hoch als ehrliche, anständige Menschen, die der politischen Korruption einen zähen Widerstand entgegensetzen, die mit ihren geschickten Händen, ihrem Fleiß, ihrer Geduld zu allen feineren Handwerken vorzüglich geeignet und mit ihrer Klugheit und Gewissenhaftigkeit für allerlei ruhige Ämter, die dem Yankee zu langweilig sind, und schließlich auch in der Kunst und Wissenschaft ganz hervorragend brauchbar sind – und dennoch gibt er ihnen seine Töchter nicht gern zur Ehe! Nicht anders ist es mit den Angehörigen der romanischen, slawischen, mongolischen und semitischen Völker. Sie hocken alle in gewissen Stadtvierteln oder Straßenzügen der Großstädte, oder in kleineren Ansiedlungen auf dem Lande dicht beieinander und bleiben, obwohl mit allen Rechten