Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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sie zu hal­ten und zu be­ru­hi­gen such­ten, Fein­de zu er­bli­cken, Un­ge­heu­er, die nach ih­rem Blu­te dürs­te­ten.

      Der Ka­plan, der sie je­den Au­gen­blick den Schlä­gen ih­res Übels er­lie­gen zu se­hen glaub­te, sag­te schon in sei­ner Her­zens­angst die Ster­be­ge­be­te her; sie hielt ihn für Zden­ko, der eine Mau­er bau­te, um sie le­ben­dig zu be­gra­ben, und da­bei sei­ne geis­ter­haf­ten Lie­der mur­mel­te.

      Das zit­tern­de Stifts­fräu­lein, das sei­ne schwa­chen Kräf­te mit de­nen der an­de­ren Frau­en ver­ei­nig­te, um sie im Bet­te zu­rück­zu­hal­ten, dünk­te ihr der zwie­fa­chen Wan­da Geist, bald der Schwes­ter Zis­ka’s, bald der Mut­ter Al­ber­t’s, die ihr er­schie­nen in der Ein­sie­de­lei, um sie zu schel­ten, dass sie sich ihre Rech­te an­maß­te und in ihr Reich ein­dräng­te.

      Ihre den An­we­sen­den un­ver­ständ­li­chen Aus­ru­fun­gen, Seuf­zer und Ge­be­te stan­den alle in Be­zie­hung zu den Ge­dan­ken und Ge­gen­stän­den, wel­che sie in der ver­wi­che­nen Nacht so hef­tig auf­ge­regt und er­schüt­tert hat­ten. Sie hör­te den Strom brau­sen und mach­te mit ih­ren Ar­men die Be­we­gun­gen ei­nes Schwim­men­den. Sie schüt­tel­te ihr schwar­zes Haar, das wild um ihre Schul­tern hing, und bil­de­te sich ein, von der Flut um­stäubt zu sein. Stets glaub­te sie, Zden­ko sei hin­ter ihr und im Be­griff, die Schleu­se auf­zu­zie­hen, oder vor ihr, um ihr den Aus­weg zu ver­sper­ren.

      Da sie im­mer­fort bil­dernd von nichts als Was­ser und Stei­nen sprach, so sag­te der Ka­plan den Kopf schüt­telnd:

      – Das ist ein sehr lan­ger und ängst­li­cher Traum. Ich weiß auch gar nicht, was sie sich das Ge­hirn letzt­lich so mit die­ser Cis­ter­ne an­ge­füllt hat: es war si­cher­lich schon ein An­satz des Fie­bers, denn Sie se­hen, dass ihre Fan­ta­sie sich be­stän­dig um die­sen Punkt dreht.

      In dem Au­gen­bli­cke, als Al­bert ganz au­ßer sich in ihr Zim­mer stürz­te, ließ Con­sue­lo, er­schöpft und matt, nur un­ver­ständ­li­che Lau­te hö­ren, die mit ei­nem wil­den Schrei en­de­ten. Da die Kraft ih­res Wil­lens die Schre­cken nicht mehr be­herrsch­te wie da­mals, als sie ih­nen die Stirn bot, so stürm­ten die­se jetzt in der Ein­bil­dung mit un­ge­bro­che­ner, schau­der­haf­ter Ge­walt auf sie ein.

      Sie hat­te in­des­sen da­bei eine Art Über­le­gung, die sie wie­der aus ih­ren Fan­tasi­en selbst nahm, und ließ nicht ab, nach Al­bert zu ru­fen mit so hel­ler, hal­len­der Stim­me, dass das Haus da­von in sei­nen Grund­ves­ten zu zit­tern schi­en; dann lös­te sich ihr Ge­schrei in ein an­hal­ten­des Schluch­zen auf, das sie zu er­sti­cken schi­en, in­des ihre star­ren Au­gen tro­cken wa­ren und schau­er­lich fun­kel­ten.

      – Ich bin hier! ich bin hier! rief Al­bert, in­dem er an ihr Bett sprang.

      Con­sue­lo hör­te fei­ne Stim­me, nahm wie­der ihre gan­ze Kraft zu­sam­men, und in­dem sie sich so­gleich ein­bil­de­te, er flie­he vor ihr her, riss sie sich aus den Ar­men, wel­che sie hiel­ten, mit der Ge­len­kig­keit und Kraft, die der Fie­ber­zu­stand dem schwächs­ten We­sen gibt. Sie schwang sich mit­ten in das Zim­mer mit auf­ge­lös­tem Haar, mit blo­ßen Fü­ßen, in ei­nem leich­ten, wei­ßen und zer­knit­ter­ten Nacht­klei­de, das ihr das An­se­hen ei­nes dem Gra­be ent­ron­ne­nen Geis­tes gab, und in dem Au­gen­bli­cke, wo man sie wie­der zu er­grei­fen mein­te, sprang sie über das Spi­nett, das ihr im Wege war, mit der Be­hän­dig­keit ei­ner wil­den Kat­ze, stieg auf das Fens­ter, wel­ches sie für den Aus­gang der un­glück­li­chen Cis­ter­ne hielt, brei­te­te die Arme aus, und aber­mals Al­ber­t’s Na­men in die schwar­ze, stür­mi­sche Nacht hin­aus­schrei­end, war sie im Be­grif­fe, sich hin­ab­zu­stür­zen, als Al­bert, noch be­hän­der und stär­ker als sie, mit bei­den Ar­men sie um­fass­te und sie auf ihr Bett zu­rück­trug.

      Sie er­kann­te ihn nicht, aber sie leis­te­te ihm kei­nen Wi­der­stand und hör­te auf zu schrei­en. Al­bert drang in sie spa­nisch re­dend mit den sü­ßes­ten Na­men und den hei­ßes­ten Bit­ten: sie hör­te ihn, die Au­gen starr und ohne ihn zu se­hen oder ihm zu ant­wor­ten; aber auf ein­mal raff­te sie sich auf, gab sich auf ih­rem Bet­te eine kni­en­de Stel­lung, und be­gann eine Klau­sel aus dem Te Deum von Hän­del zu sin­gen, das sie kurz zu­vor ge­le­sen und be­wun­dert hat­te.

      Nie war ihre Stim­me aus­drucks­vol­ler und herr­li­cher ge­we­sen. Nie hat­te sie so schön aus­ge­se­hen, als in die­ser ek­sta­ti­schen Stel­lung mit dem flat­tern­den Haa­re, mit der fie­bri­schen Glut auf den Wan­gen und mit den Au­gen, die im Him­mel, der nur ih­nen of­fen lag, zu le­sen schie­nen.

      Das Stifts­fräu­lein wur­de so er­grif­fen, dass auch sie am Fuße des Bet­tes auf die Knie sank und in Trä­nen zer­floss, und auch der Ka­plan neig­te, un­ge­ach­tet sei­ner ge­rin­gen Er­reg­bar­keit, das Haupt, von re­li­gi­öser Ehr­furcht er­grif­fen.

      Kaum hat­te Con­sue­lo ihre Klau­sel ge­en­det, als sie aus tiefer Brust auf­seufz­te: eine himm­li­sche Freu­de glänz­te auf ih­rem Ge­sich­te.

      – Ich bin ge­ret­tet! schrie sie und sank rück­lings nie­der, bleich und kalt wie Mar­mor, die Au­gen noch ge­öff­net, aber er­lo­schen, die Lip­pen blau und die Arme steif.

      Ein Au­gen­blick der Stil­le und des Grau­sens folg­te die­sem Auf­tritt. Ama­lie, die auf der Schwel­le des Zim­mers ste­hend, re­gungs­los und ohne sich nä­her zu wa­gen, die­sem schau­er­li­chen Schau­spiel bei­ge­wohnt hat­te, fiel vor Ent­set­zen in Ohn­macht. Das Stifts­fräu­lein und die bei­den Frau­en spran­gen hin­zu, um sie auf­zu­he­ben. Con­sue­lo blieb aus­ge­streckt und kalt lie­gen, auf Al­ber­t’s Arm ru­hend, der sei­ne Stirn auf den Bu­sen der Ster­ben­den ge­drückt hat­te und nicht mehr Le­ben als sie selbst ver­riet.

      Das Stifts­fräu­lein hat­te kaum Ama­li­en auf ihr Bett le­gen las­sen, als sie wie­der in Con­sue­lo’s Zim­mer trat.

      – Nun, Herr Ka­plan? frag­te sie mit kraft­lo­ser Stim­me.

      – Gnä­digs­te, es ist der Tod! ant­wor­te­te der Ka­plan dumpf und ließ Con­sue­lo’s Arm fal­len, des­sen Puls er auf­merk­sam be­fragt hat­te.

      – Nein! es ist nicht der Tod! Nein, tau­send­mal nein! rief Al­bert, hef­tig auf­sprin­gend. Ich habe ihr Herz bes­ser be­fragt, als Sie ih­ren Arm. Es schlägt noch, sie at­met, sie lebt. O, und sie soll le­ben! Nicht so, nicht jetzt soll sie en­den! Wer hat die Ver­mes­sen­heit ge­habt, zu glau­ben, dass Gott ih­ren Tod ver­häng­te! Nein, jetzt ist der Au­gen­blick, sie mit Er­folg zu be­han­deln. Herr Ka­plan, Ihre Schach­tel! Ich weiß, was ihr Not tut, Sie wis­sen es nicht. Un­glück­li­cher, ge­hor­chen Sie mir! Sie ha­ben ihr nicht ge­hol­fen, Sie konn­ten die­se schreck­li­che Kri­se ab­wen­den, Sie ha­ben es nicht ge­tan, Sie ha­ben es nicht ge­wollt. Ihr habt mir ihre Krank­heit ver­bor­gen ge­hal­ten, ihr habt mich be­tro­gen, alle! Ihr woll­tet sie also zu Grun­de rich­ten! Eue­re elen­de Ängst­lich­keit, eue­re scheuß­li­che Tat­lo­sig­keit ha­ben euch Zun­ge und Hän­de ge­bun­den. Ihre Schach­tel, sage ich, und las­sen Sie mich ma­chen.

      Und da der Ka­plan zö­ger­te, ihm die Arz­nei­en an­zu­ver­trau­en, die in den un­er­fah­re­nen Hän­den ei­nes über­spann­ten und halb­tol­len Men­schen Gift wer­den konn­ten, ent­riss sie ihm Al­bert mit Ge­walt. Taub ge­gen die Ein­wen­dun­gen sei­ner Tan­te, wähl­te und misch­te er selbst die star­ken be­ru­hi­gen­den Mit­tel, wel­che schnell wir­ken konn­ten.

      Al­bert


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