Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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sei­ne Un­wis­sen­heit und sei­ne Ein­falt zu­rück, die den Re­bel­len nur noch über­mü­ti­ger und das Übel nur noch är­ger ma­chen müss­ten.

      Ihr Ge­spräch, zwan­zig­mal durch eine Art ge­gen­sei­ti­ger Scheu un­ter­bro­chen und zwan­zig­mal mit An­stren­gung bei­der­seits wie­der auf­ge­nom­men, erstarb zu­letzt in sich selbst. Der alte Chris­ti­an schlum­mer­te auf sei­nem Lehn­stuh­le ein und Al­bert ver­ließ ihn, um sich nach Con­sue­lo’s Be­fin­den zu er­kun­di­gen, wel­ches ihn im­mer mehr be­un­ru­hig­te, je mehr man es ihm zu ver­ber­gen such­te.

      Er irr­te län­ger als zwei Stun­den in den Cor­ri­do­ren des Schlos­ses um­her, und fing das Stifts­fräu­lein und den Ka­plan im Vor­über­ge­hen auf, um Nach­richt von Con­sue­lo zu er­hal­ten. Der Ka­plan ant­wor­te­te ihm stets nur kurz und zu­rück­hal­tend; das Stifts­fräu­lein gab sich, so­bald sie sei­ner an­sich­tig wur­de, eine lä­cheln­de Mie­ne, und fing ge­flis­sent­lich von an­de­ren Din­gen zu re­den an, um ihn durch einen Schein von Gleich­gül­tig­keit zu täu­schen. Aber Al­bert be­merk­te den­noch, dass sie sich zu be­un­ru­hi­gen an­fing, dass sie häu­fi­ge­re Gän­ge nach Con­sue­lo’s Zim­mer mach­te; es fiel ihm auch auf, dass man kein Be­den­ken trug, je­den Au­gen­blick die Tü­ren zu öff­nen und zu schlie­ßen, als ob die­ser an­geb­lich ru­hi­ge und so nö­ti­ge Schlaf durch das Geräusch und Hin- und Her­ge­hen nicht zu stö­ren ge­we­sen wäre. Er wag­te sich bis an das Zim­mer selbst, in wel­ches er für sein Le­ben gern nur einen Au­gen­blick ein­ge­tre­ten wäre. Man ge­lang­te durch ein Vor­ge­mach hin­ein und zwei fes­te Tü­ren trenn­ten es vom Cor­ri­dor, wel­che we­der dem Ohre noch dem Auge Zu­gang ver­stat­te­ten.

      Wences­la­wa, die sei­ne Ver­su­che merk­te, hat­te al­les ver­schlos­sen und ver­rie­gelt und ging zu der Kran­ken nur durch Ama­li­ens Zim­mer, wo Er­kun­di­gung zu ho­len Al­bert sich schwer­lich über­win­den konn­te. Da sie ihn end­lich ganz un­ge­dul­dig wer­den sah und einen Rück­fall sei­nes Übels fürch­te­te, ent­schloss sie sich, ihn zu be­lü­gen; und Gott in ih­rem Her­zen um Ver­zei­hung bit­tend, er­zähl­te sie ihm, es gin­ge mit der Kran­ken schon viel bes­ser und sie hät­te sich vor­ge­nom­men, her­un­ter zu Ti­sche zu kom­men.

      Al­bert setz­te kein Miss­trau­en in das Wort sei­ner Tan­te, de­ren rei­ne Lip­pen noch nie wie eben jetzt die Wahr­heit of­fen­bar ver­ra­ten hat­ten, und ging zu dem al­ten Gra­fen, wäh­rend er im Stil­len sehn­lich die Stun­de her­bei­wünsch­te, die ihm Con­sue­lo und sein Glück wie­der­ge­ben soll­te.

      Aber die Stun­de schlug ver­ge­bens; Con­sue­lo er­schi­en nicht. Das Stifts­fräu­lein, mit schnel­lem Fort­schritt in der Kunst zu lü­gen, be­rich­te­te, sie wäre auf­ge­stan­den, hät­te sich aber doch noch et­was schwach ge­fühlt und zöge es vor, auf ih­rer Stu­be zu es­sen. Man trieb die Ver­stel­lung so weit, dass man ei­ni­ges von den bes­ten Ge­rich­ten aus­wähl­te und hin­auf­schick­te. Die­se Küns­te sieg­ten über Al­ber­t’s Angst. Er war zwar äu­ßerst nie­der­ge­schla­gen und als ahn­te er ein un­er­hör­tes Un­glück, aber er be­zwang sich und gab sich Mühe, ru­hig zu schei­nen.

      Am Abend kam Wences­la­wa mit ei­ner Hei­ter­keit, die fast wirk­lich nicht ver­stellt war, und sag­te, die Por­po­ri­na wäre wie­der wohl, sie hät­te kei­ne Hit­ze mehr, ihr Puls wäre mehr schwach als voll, und sie wür­de ge­wiss ganz herr­lich schla­fen.

      – Aber was macht mich nur starr vor Schreck, un­ge­ach­tet die­ser er­freu­li­chen Nach­rich­ten? frag­te sich der jun­ge Graf, als er zur ge­wohn­ten Stun­de sei­nen An­ge­hö­ri­gen gute Nacht wünsch­te.

      Die Sa­che war, dass das gute Stifts­fräu­lein, das un­ge­ach­tet sei­ner Ma­ger­keit und Ver­wach­sen­heit nie­mals krank ge­we­sen war, von Krank­hei­ten nicht das ge­rings­te ver­stand. Sie hat­te ge­se­hen, wie Con­sue­lo von flam­men­der Röte zu ei­ner bläu­li­chen Bläs­se über­ging, wie das auf­ge­reg­te Blut in den Adern stock­te, und die Brust, zu be­engt, um sich in der An­stren­gung des At­mens zu he­ben, still und un­be­weg­lich schi­en. Sie hat­te sie in die­sem Au­gen­bli­cke für her­ge­stellt ge­hal­ten und sich be­eilt, die gute Nach­richt mit kin­di­scher Zu­ver­sicht den an­de­ren zu­zu­tra­gen.

      Aber der Ka­plan, der et­was mehr von der Sa­che ver­stand, sah wohl ein, dass die­se schein­ba­re Ruhe der Vor­läu­fer ei­ner hef­ti­gen Kri­se sein wür­de. So­bald Al­bert sich ent­fernt hat­te, sag­te er zu dem Stifts­fräu­lein, es sei nun Zeit, den Arzt ho­len zu las­sen. Zum Un­glück war es weit bis zur Stadt, die Nacht fins­ter, der Weg ab­scheu­lich, und Hans, un­ge­ach­tet sei­nes Dien­stei­fers, sehr lang­sam. Es fing zu stür­men an und der Re­gen floss in Strö­men her­ab. Der alte Gaul, den der alte Haus­die­ner ritt, scheu­te und strau­chel­te wohl zwan­zig­mal und ver­lief sich zu­letzt im Wal­de mit sei­nem furcht­sa­men Rei­ter, der je­den Hü­gel für den Schre­cken­stein und je­den Blitz für den Flam­menschweif ei­nes bö­sen Geis­tes an­sah. Es wur­de Tag, ehe sich Hans wie­der auf den Weg fand, und er ließ nun sein Tier aus­tra­ben, so gut es konn­te. Er er­reich­te die Stadt und fand den Doc­tor noch im bes­ten Mor­gen­schla­fe; die­ser wur­de ge­weckt, zog sich ge­mäch­lich an und mach­te sich auf den Weg. Mit dem al­len hat­te man vier­und­zwan­zig Stun­den ver­lo­ren.

      Al­bert ver­such­te es, zu schla­fen; um­sonst! eine pei­ni­gen­de Un­ru­he und das Ge­heul des Sturms hiel­ten ihn die gan­ze Nacht wach. Er wag­te nicht, hin­un­ter­zu­ge­hen, aus Furcht, sei­ner Tan­te wie­der An­stoß zu ge­ben, die ihm schon am Mor­gen über die Un­schick­lich­keit, sich so zu der Woh­nung der bei­den De­moi­sel­les zu drän­gen, den Text ge­le­sen hat­te; er ließ sei­ne Tür of­fen ste­hen und hör­te mehr­mals in dem un­tern Stock­wer­ke ge­hen. Er rann­te zur Trep­pe, aber da er nie­mand sah und nichts mehr hör­te, so zwang er sich, ru­hig zu blei­ben und das täu­schen­de Geräusch, das ihn er­schreckt hat­te, dem Wind und Re­gen bei­zu­mes­sen.

      Seit Con­sue­lo es ihm be­foh­len hat­te, wach­te er über sei­ne Ver­nunft, über sei­ne geis­ti­ge Ge­sund­heit mit Ge­duld, mit Fes­tig­keit. Er be­kämpf­te Un­ru­he und Angst und such­te über sei­ne Lie­be Herr zu wer­den durch die Macht sei­ner Lie­be selbst.

      Plötz­lich aber dringt durch das Rol­len des Don­ners und das Kra­chen des un­ter der Ge­walt des Sturms äch­zen­den Ge­bälks hin­durch ein lan­ger, schnei­den­der Schrei zu ihm auf, der ihm das Herz durch­bohrt.

      Al­bert, der sich an­ge­klei­det auf das Bett ge­wor­fen hat­te, Wil­lens ein­zu­schla­fen, springt em­por, stürzt hin­aus, wie ein Pfeil die Trep­pe hin­ab und klopft an Con­sue­lo’s Tür. Al­les still, es öff­net nie­mand.

      Al­bert glaub­te wie­der­um, ge­träumt zu ha­ben, als ein zwei­ter Schrei, noch gel­len­der, noch schreck­li­cher als der ers­te, ihm das Herz zer­reißt. Er be­sinnt sich nicht, rennt durch einen dun­keln Cor­ri­dor, er­reicht und schüt­telt Ama­li­ens Tür, sei­nen Na­men nen­nend. Er hört einen Rie­gel vor­schie­ben und Ama­li­ens Stim­me ruft ihm ge­bie­te­risch zu, sich zu ent­fer­nen.

      In­zwi­schen ver­dop­pelt sich das Schrei­en und Wim­mern: es ist Con­sue­lo’s Stim­me in der fürch­ter­lichs­ten Fie­be­rangst. Er hört sei­nen Na­men sich ver­zweif­lungs­voll dem an­ge­be­te­ten Mun­de ent­win­den.

      Wü­tend wirft er sich auf die Tür, sprengt Schloss und Rie­gel, Ama­li­en, die die ge­kränk­te Scham­haf­te spie­len will, weil sie sich im Da­mast­schlaf­rock


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