Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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und schlam­pig, nie­mand rüg­te die­sen zum Nach­teil des Drit­ten Rei­ches und zum Vor­teil zwei­er Hoch­ver­rä­ter be­gan­ge­nen Feh­ler. Ein Pro­zess, der nur zwei An­ge­klag­te aus dem Ar­bei­ter­stand auf­zu­wei­sen hat­te, konn­te hier kei­nen großen Ein­druck ma­chen. Hier war man Mons­ter­pro­zes­se ge­wöhnt, mit drei­ßig, vier­zig An­ge­klag­ten, die sich meist un­ter­ein­an­der gar nicht kann­ten, die aber zu ih­rer Über­ra­schung im Ver­lauf des Pro­zes­ses er­fuh­ren, dass sie alle mit­ein­an­der ver­schwo­ren wa­ren, und die dem­ge­mäß auch ver­ur­teilt wur­den.

      So konn­te Quan­gel, nach ei­ni­gen Se­kun­den sorg­fäl­ti­gen Rund­blickes, sa­gen: »Ich freue mich, Anna. Geht’s dir gut?«

      »Ja, Otto, jetzt geht’s mir wie­der gut.«

      »Sie wer­den uns nicht lan­ge bei­ein­an­der­sit­zen las­sen. Aber wir wol­len uns die­ser Mi­nu­ten freu­en. Dir ist doch klar, was kom­men wird?«

      Sehr lei­se: »Ja, Otto.«

      »Ja, das To­des­ur­teil für uns bei­de, Anna. Es ist un­aus­bleib­lich.«

      »Aber, Otto …«

      »Nein, Anna, kein Aber. Ich weiß, du hast den Ver­such ge­macht, alle Schuld auf dich zu neh­men …«

      »Sie wer­den eine Frau nicht so schwer ver­ur­tei­len, und du kommst viel­leicht mit dem Le­ben da­von.«

      »Nein, nicht. Du kannst nicht gut ge­nug lü­gen. Du wirst nur die Ver­hand­lung in die Län­ge zie­hen. Lass uns die Wahr­heit sa­gen, dann geht es schnell.«

      »Aber, Otto …«

      »Nein, Anna, jetzt kein Aber. Den­ke nach. Lass uns nicht lü­gen. Die rei­ne Wahr­heit …«

      »Aber, Otto …«

      »Anna, ich bit­te dich!«

      »Otto, ich möch­te dich doch ret­ten, ich möch­te wis­sen, dass du lebst!«

      »Anna, ich bit­te dich!«

      »Otto, mach es mir doch nicht so schwer!«

      »Sol­len wir ge­gen die an­lü­gen? Uns strei­ten? De­nen ein Schau­spiel bie­ten? Die rei­ne Wahr­heit, Anna!«

      Sie kämpf­te mit sich. Dann gab sie nach, wie sie ihm im­mer nach­ge­ge­ben hat­te. »Gut, Otto, ich ver­spre­che es dir.«

      »Dan­ke, Anna. Ich dan­ke dir sehr.«

      Sie schwie­gen. Sie sa­hen vor sich nie­der. Bei­de schäm­ten sie sich, ihre Rüh­rung zu zei­gen.

      Die Stim­me des einen Po­li­zis­ten hin­ter ih­nen wur­de ver­nehm­bar: »Und da ha’ck den Leut­nant je­sacht, Leut­nant, ha’ck je­sacht, so wat könn Se doch mit mir nich ma­chen, Leut­nant, ha’ck je­sacht …«

      Otto Quan­gel gab sich einen Ruck. Es muss­te sein. Wenn Anna es wäh­rend der Ver­hand­lung er­fuhr – und sie muss­te es im Ver­lauf der Ver­hand­lung er­fah­ren –, war al­les noch viel schlim­mer. Die Fol­gen wa­ren ganz un­über­seh­bar.

      »Anna«, flüs­ter­te er. »Du bist stark und mu­tig, nicht wahr?«

      »Ja, Otto«, ant­wor­te­te sie. »Jetzt bin ich es. Seit ich bei dir bin, bin ich es. Was ist noch Schlim­mes?«

      »Ja, es ist et­was Schlim­mes, Anna …«

      »Was ist es denn, Otto? Sage es doch, Otto! Wenn selbst du Angst hast, es mir zu sa­gen, be­kom­me ich auch Angst.«

      »Anna, du hast nichts mehr von der Ger­trud ge­hört?«

      »Von wel­cher Ger­trud?«

      »Von der Tru­del doch!«

      »Ach, von der Tru­del! Was ist mit der Tru­del? Nein, seit wir in der Un­ter­su­chungs­haft sind, habe ich nichts mehr von ihr ge­hört. Sie hat mir sehr ge­fehlt, sie war so gut zu mir. Sie hat mir ver­zie­hen, dass ich sie ver­ra­ten hat­te.«

      »Du hast sie doch nicht ver­ra­ten, die Tru­del! Erst habe ich es auch ge­dacht, aber dann habe ich es ver­stan­den.«

      »Ja, sie hat es auch ver­stan­den. Ich war so ver­wirrt wäh­rend der ers­ten Ver­hö­re durch die­sen schreck­li­chen Laub, dass ich nicht wuss­te, was ich sag­te, aber sie hat es ver­stan­den. Sie hat mir ver­zie­hen.«

      »Gott­lob! Anna, sei mu­tig und stark! Die Tru­del ist tot.«

      »Oh!«, stöhn­te Anna nur und leg­te die Hand aufs Herz. »Oh!«

      Und er setz­te rasch hin­zu, um jetzt al­les auf ein­mal hin­ter sich zu brin­gen: »Und ihr Mann ist auch tot.«

      Jetzt kam lan­ge kei­ne Ant­wort. Sie saß da, die Hän­de vor dem ge­senk­ten Ge­sicht, aber Otto fühl­te, dass sie nicht wein­te, dass sie noch wie be­täubt war von der schreck­li­chen Nach­richt. Und un­will­kür­lich sprach er die Wor­te, die der gute Pas­tor Lo­renz zu ihm beim Über­brin­gen die­ser Nach­richt ge­sagt hat­te: »Sie sind tot. Sie ha­ben den Frie­den. Ih­nen ist viel er­spart ge­blie­ben.«

      »Ja!«, sag­te Anna jetzt. »Ja. Sie hat sich so viel um Ihren Kar­li ge­ängs­tigt, als kei­ne Nach­richt kam, aber nun hat sie den Frie­den.«

      Sie schwieg lan­ge, und Quan­gel dräng­te sie nicht, ob­wohl er an der Un­ru­he im Saa­le merk­te, dass der Ge­richts­hof bald kom­men wür­de.

      Lei­se frag­te Anna schließ­lich: »Sind die bei­den – hin­ge­rich­tet?«

      »Nein«, ant­wor­te­te Quan­gel. »Er ist an den Fol­gen ei­nes Schla­ges ge­stor­ben, den er bei der Ver­haf­tung ab­be­kom­men hat.«

      »Und Tru­del?«

      »Sie hat sich dann selbst das Le­ben ge­nom­men«, sag­te Otto Quan­gel schnell. »Sie ist über das Git­ter im fünf­ten Stock ge­sprun­gen. Sie ist so­fort tot ge­we­sen, hat der Pas­tor Lo­renz ge­sagt. Sie hat nicht ge­lit­ten.«

      »Das ist in der Nacht ge­sche­hen«, er­in­ner­te sich Anna Quan­gel plötz­lich, »als das gan­ze Ge­fäng­nis schrie! Jetzt weiß ich es, oh, es war schreck­lich, Otto!« Und sie ver­barg das Ge­sicht.

      »Ja, es war schreck­lich«, wie­der­hol­te Quan­gel. »Auch bei uns war es schreck­lich.«

      Nach ei­ner Wei­le hob sie den Kopf wie­der und sah Otto fest an. Noch zit­ter­ten ihre Lip­pen, aber sie sag­te: »Es ist bes­ser, wie es ge­kom­men ist. Wenn sie hier ne­ben uns sä­ßen, es wäre so schreck­lich. Nun ha­ben sie ih­ren Frie­den.« Und ganz lei­se: »Otto, Otto, wir könn­ten es auch so ma­chen.«

      Er sah sie fest an. Und sie sah in den har­ten, schar­fen Au­gen ein Licht, wie sie es nie ge­se­hen, ein spöt­ti­sches Licht, als sei al­les nur ein Spiel, das, was sie jetzt sag­te, und das, was kom­men wür­de, und das un­ver­meid­li­che Ende. Als sei es nicht wert, so ernst ge­nom­men zu wer­den.

      Dann schüt­tel­te er lang­sam den Kopf. »Nein, Anna, wir tun das nicht. Wir steh­len uns nicht weg, als sei­en wir über­führ­te Ver­bre­cher. Wir neh­men ih­nen das Ur­teil nicht ab. Wir nicht!« Und in ei­nem ganz an­de­ren Ton: »Für all so was ist es zu spät. Wirst du nicht ge­fes­selt?«

      »Doch«, sag­te sie. »Aber als der Schu­po mich bis an die Tür hier ge­führt hat­te, hat er mir das Kett­chen ab­ge­nom­men.«

      »Du siehst!«, sag­te er. »Es wür­de miss­lin­gen.«

      Er ver­schwieg ihr, dass er, seit man ihn aus dem Un­ter­su­chungs­ge­fäng­nis


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