Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
Читать онлайн книгу.an jedem dritten Tag. Außerdem«, setzte Präsident Feisler erklärend hinzu, »sind dem Angeklagten die Hosenträger fortgenommen worden, da er, wie mir gemeldet wurde, sich in der Pause eben verdächtig mit ihnen zu schaffen gemacht hat. Es besteht Selbstmordverdacht.«
»Ich hab nur mal austreten müssen.«
»Sie halten das Maul, Angeklagter! Es besteht Selbstmordverdacht. Der Angeklagte wird sich von nun an ohne Hosenträger behelfen müssen. Er hat sich das selbst zuzuschreiben.«
Im Zuhörerraum wurde schon wieder gelacht, aber jetzt warf der Präsident einen fast wohlwollenden Blick dorthin, er freute sich selbst an seinem guten Witz. Der Angeklagte stand da, in etwas verkrampfter Haltung, immer musste er die rutschende Hose festhalten.
Der Präsident lächelte. »Wir fahren in der Verhandlung fort.«
63. Die Hauptverhandlung: Ankläger Pinscher
Während der Präsident des Volksgerichtshofes, Feisler, für jeden unvoreingenommenen Beobachter mit einem bösartigen Bluthund zu vergleichen war, spielte der Ankläger nur die Rolle eines kleinen kläffenden Pinschers, der darauf lauert, den vom Bluthund Angefallenen in die Wade zu beißen, während sein großer Bruder ihn bei der Kehle hatte. Ein paarmal hatte der Ankläger während der Verhandlung gegen die Quangels versucht loszukläffen, aber immer hatte ihn sofort wieder das Gebell des Bluthundes übertönt. Was gab es da auch noch groß für ihn zu kläffen? Der Präsident verrichtete ja von der ersten Minute an die Dienste des Anklägers, von der ersten Minute an hatte Feisler die Grundpflicht jedes Richters verletzt, der die Wahrheit ermitteln soll: er war höchst parteiisch gewesen.
Aber nach der Mittagspause, in der vom Präsidenten ein sehr reichhaltiges Mahl kartenfrei eingenommen war, zu dem es auch Wein und Schnaps gegeben hatte, war Feisler ein wenig müde. Was sollte auch noch alle Anstrengung? Die waren ja beide schon tot. Zudem war jetzt das Weib dran, diese kleine Arbeiterfrau – und die Weiber waren dem Präsidenten ziemlich gleichgültig, von seinem Richterstandpunkt aus. Die Weiber waren alle doof und nur zu einer Sache nütze. Sonst taten sie, was ihre Männer wollten.
Feisler litt es also gnädig, dass nun der Pinscher sich in den Vordergrund drängte und zu kläffen anhob. Mit halbgeschlossenen Augen lehnte er in seinem Richterstuhl, den Kopf in die Geierkralle gestützt, scheinbar aufmerksam zuhörend, in Wirklichkeit aber ganz seiner Verdauung hingegeben.
Der Pinscher kläffte: »Sie haben doch früher ein Amt in der Frauenschaft bekleidet, Angeklagte?«
»Ja«, antwortete Frau Quangel.
»Und warum haben Sie das denn aufgegeben? Hat Ihr Mann das von Ihnen verlangt?«
»Nein«, antwortete Frau Quangel.
»So, das hat er nicht von Ihnen verlangt? Erst legt der Mann sein Amt in der Arbeitsfront nieder und dann die Frau vierzehn Tage später ihr Amt in der Frauenschaft. Angeklagter Quangel, haben Sie das nicht von Ihrer Frau verlangt?«
»Sie wird wohl von selbst auf die Idee gekommen sein, als sie hörte, dass ich meinen Posten aufgegeben hatte.«
Quangel steht da und muss seine Hosen festhalten.
Dann setzt er sich, denn der Ankläger wendet sich schon wieder an Anna Quangel. »Also, wie ist das, warum haben Sie Ihr Amt niedergelegt«
»Ich habe es ja gar nicht niedergelegt. Ich bin ausgeschlossen worden.«
Der Pinscher kläffte los: »Angeklagte, achten Sie auf Ihre Worte! Auch Sie können, genau wie Ihr Mann, in Strafe genommen werden, wenn Sie es zu bunt treiben! Eben erst haben Sie mir zugegeben, dass Sie Ihr Amt niedergelegt haben.«
»Das habe ich nicht. Ich habe gesagt: nein, mein Mann hat mich nicht angestitftet.«
»Sie lügen! Sie lügen! Sie haben die Unverschämtheit, dem Hohen Gerichtshof und mir ins Gesicht zu lügen!«
Wütendes Gekläff. Die Angeklagte bleibt bei ihrer Aussage.
»Man vergleiche das Stenogramm!«
Das Stenogramm wird verlesen, und es wird festgestellt, dass die Angeklagte mit ihrer Behauptung recht hat. Bewegung im Saal. Otto Quangel sieht beifällig seine Anna an, die sich nicht einverschüchtern lässt. Er ist stolz auf sie.
Ankläger Pinscher lässt einen Augenblick den Schwanz hängen und schielt zum Präsidenten. Der gähnt diskret hinter der Geierklaue. Der Ankläger entschließt sich, er verlässt die alte Spur und nimmt eine neue auf.
»Angeklagte, Sie waren doch schon ziemlich ältlich, als Ihr jetziger Mann Sie heiratete?«
»Ich war an die dreißig.«
»Und vorher?«
»Ich verstehe das nicht.«
»Tun Sie bloß nicht so unschuldig, ich will wissen, was Sie vor Ihrer Ehe für Beziehungen zu den Männern hatten. Nun, wird’s bald?«
Bei der abgrundtiefen Gemeinheit dieser Frage wurde Anna Quangel erst rot, dann blass. Hilfeflehend sah sie zu ihrem ältlichen versorgten Verteidiger hin, der aufsprang und sagte: »Ich bitte, die Frage als nicht zur Sache gehörig zurückzuweisen!«
Und der Ankläger: »Meine Frage gehört zur Sache. Hier ist die Vermutung laut geworden, die Angeklagte sei nur eine Mitläuferin ihres Mannes gewesen. Ich werde beweisen, dass sie eine moralisch ganz tiefstehende Person war, aus dem Pöbel stammend, dass man sich bei ihr jedes Verbrechens zu versehen hat.«
Der Präsident erklärte gelangweilt: »Die Frage gehört zur Sache. Sie ist zugelassen.«
Der Pinscher kläffte neu: »Also mit wie viel Männern hatten Sie bis zu Ihrer Ehe Beziehungen?«
Alle Augen sind auf Frau Anna Quangel gerichtet. Einige Studenten im Hörerraum lecken sich die Lippen, jemand stöhnt wohlig.
Quangel sieht mit einiger Besorgnis auf Anna, er weiß doch, wie empfindlich sie in diesem Punkte ist.
Aber Anna Quangel hat sich entschlossen. Wie ihr Otto vorhin alle Bedenken wegen seiner Spargelder hinter sich geworfen hat, so war sie jetzt willens, schamlos vor diesen schamlosen Männern zu sein.
Der Ankläger hatte gefragt: »Also mit wie viel Männern hatten Sie bis zu Ihrer Ehe Beziehungen?«
Und Anna Quangel antwortet: »Mit siebenundachtzig.«
Jemand prustet im Zuhörerraum los.
Der Präsident wacht