Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
Читать онлайн книгу.kluge Dr. Reichhardt in der Zelle hatte sich geirrt und Quangel mit ihm. Nie hatten sie damit gerechnet, dass der höchste Richter des deutschen Volkes die Verhandlung in einer so abgrundtiefen, so gemeinen Gehässigkeit führen werde. Es war, als hätten die Quangels ihn selbst, den Herrn Präsidenten Feisler, höchstpersönlich gekränkt, als sei ein kleiner, missgünstiger, nie verzeihender Mann in seiner Ehre beleidigt und lege es nun darauf an, seinen Gegner bis auf den Tod zu verletzen. Es war, als habe Quangel die Tochter des Präsidenten verführt, so persönlich war das alles, so himmelweit entfernt von aller Sachlichkeit. Nein, da hatten sich die beiden gewaltig geirrt, dieses Dritte Reich hatte für seinen tiefsten Verächter immer noch neue Überraschungen, es war über jede Gemeinheit hinaus gemein.
»Die Zeugen, Ihre anständigen Arbeitskameraden, haben ausgesagt, dass Sie von einem gradezu schmutzigen Geiz besessen waren, Angeklagter. Was haben Sie nun wohl in einer Woche verdient?«, fragte der Präsident etwa.
»Vierzig Mark habe ich in der letzten Zeit nach Haus gebracht«, antwortete Quangel.
»So, vierzig Mark, und da waren also die Abzüge, die Lohnsteuer und das Winterhilfswerk und die Krankenkasse und die Arbeitsfront, schon weg?«
»Die waren schon weg.«
»Das scheint mir aber ein ganz hübscher Verdienst zu sein für zwei alte Leute wie Sie, ja?«
»Wir sind damit ausgekommen.«
»Nein, Sie sind nicht damit ausgekommen! Sie lügen schon wieder! Sondern Sie haben noch regelmäßig gespart! Stimmt das oder stimmt das nicht?«
»Das stimmt. Meistens haben wir was zurückgelegt.«
»Wie viel haben Sie denn zurücklegen können jede Woche, im Durchschnitt?«
»Das kann ich so genau nicht sagen. Das war verschieden.«
Der Präsident ereiferte sich: »Im Durchschnitt, habe ich gesagt! Im Durchschnitt! Verstehen Sie nicht, was das heißt, im Durchschnitt? Und Sie schimpfen sich Handwerksmeister? Können nicht mal rechnen! Prachtvoll!«
Der Präsident Feisler schien es aber gar nicht prachtvoll zu finden, sondern er sah den Angeklagten empört an.
»Ich bin über fünfzig. Ich habe fünfundzwanzig Jahre gearbeitet. Die Jahre sind verschieden gewesen. Ich bin auch mal arbeitslos gewesen. Oder der Junge war krank. Ich kann keinen Durchschnitt sagen.«
»So? Das können Sie nicht? Ich will Ihnen sagen, warum Sie das nicht können! Sie wollen es nicht! Das ist eben Ihr schmutziger Geiz gewesen, von dem Ihre anständigen Arbeitskameraden sich mit Abscheu abgewandt haben. Sie haben Angst, wir könnten hier erfahren, wie viel Sie zusammengescharrt haben! Nun, wie viel ist es gewesen? Können Sie das auch nicht sagen?«
Quangel kämpfte mit sich. Der Präsident hatte wirklich eine schwache Stelle bei ihm gefunden. Wie viel sie tatsächlich gespart hatten, wusste nicht einmal Anna. Aber dann gab Quangel sich einen Ruck. Er warf auch das hinter sich. In den letzten Wochen hatte er so vieles hinter sich geworfen, warum nicht auch dies? Er löste sich ganz von dem Letzten, das ihn noch an sein altes Leben band, und sagte: »4763 Mark!«
»Ja«, wiederholte der Präsident und lehnte sich in seinen hohen Richterstuhl zurück. »4763 Mark und 67 Pfennige!« Er las die Zahl aus den Akten vor. »Und Sie schämen sich gar nicht, einen Staat zu bekämpfen, der Sie so viel hat verdienen lassen? Sie bekämpfen die Gemeinschaft, die so für Sie gesorgt hat?« Er steigerte sich. »Sie wissen nicht, was Dankbarkeit ist. Sie wissen nicht, was Ehre ist. Ein Schandfleck sind Sie! Sie müssen ausgetilgt werden!«
Und die Geierkrallen schlossen sich, öffneten sich wiederum und schlossen sich noch einmal, als zerfleische er Aas.
»Fast die Hälfte von dem Gelde hatte ich schon vor der Machtergreifung gespart«, sagte Quangel.
Jemand im Zuschauerraum lachte, verstummte aber sofort erschrocken, als ihn ein bitterböser Blick des Präsidenten traf. Er hüstelte verlegen.
»Ich bitte um Ruhe! Um absolute Ruhe! Und Sie, Angeklagter, wenn Sie hier frech werden, so werde ich Sie bestrafen. Denken Sie nur nicht, dass Sie jetzt vor jeder anderen Strafe sicher sind. Sie könnten sonst was erleben!« Er sah Quangel durchdringend an: »Nun sagen Sie mir mal, Angeklagter, wofür haben Sie eigentlich gespart?«
»Für unser Alter doch.«
»Ach nee, für Ihr Alter? Wie rührend das klingt! Aber gelogen ist es doch wieder. Zum mindesten seit Sie die Karten schrieben, haben Sie gewusst, dass Sie nicht mehr sehr alt werden würden! Sie haben hier selber zugestanden, dass Sie sich stets klar über die Folgen Ihrer Verbrechen gewesen sind. Aber trotzdem haben Sie immer weiter zurückgelegt und Geld bei der Sparkasse eingezahlt. Für was denn?«
»Ich habe doch immer damit gerechnet, dass ich davonkomme.«
»Was heißt das, davonkommen? Dass Sie freigesprochen werden?«
»Nein, an so was habe ich nie geglaubt. Ich habe gedacht, ich werde nicht gefasst.«
»Sie sehen, da haben Sie ein bisschen falsch gedacht. Ich glaube es Ihnen aber auch nicht, dass Sie so gedacht haben. So dumm sind Sie ja gar nicht, wie Sie sich jetzt stellen. Sie können gar nicht gedacht haben, dass Sie Ihre Verbrechen noch Jahre und Jahre ungestört fortsetzen könnten.«
»Ich glaube nicht an Jahre und Jahre.«
»Was soll das heißen?«
»Ich glaube nicht, dass es noch lange hält, das Tausendjährige Reich«, sagte Quangel, den scharfen Vogelkopf dem Präsidenten zuwendend.
Der Anwalt unten fuhr erschrocken zusammen.
Bei den Hörern lachte jemand wieder auf, und sofort wurde dort ein drohendes Murren laut.
»So ein Schwein!«, schrie einer.
Der Schutzpolizist hinter Quangel rückte an seinem Tschako, mit der anderen Hand fasste er nach seiner Pistolentasche.
Der Ankläger war aufgesprungen und schwenkte ein Blatt Papier.
Frau Quangel sah lächelnd auf ihren Mann und nickte eifrig.
Der Schutzpolizist hinter ihr fasste nach ihrer Schulter und drückte sie schmerzhaft.
Sie bezwang sich und schrie nicht.
Ein Beisitzer starrte mit weit offenem Munde auf Quangel.
Der Präsident sprang auf: »Sie Verbrecher, Sie! Sie Idiot! Sie Verbrecher! Sie wagen hier zu sagen …«
Er brach ab, auf seine Würde bedacht.
»Der Angeklagte