Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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sag­te es dem Heff­ke auf den Kopf zu, dass er die Kar­ten am Nol­len­dorf­platz für sei­nen Schwa­ger ein­ge­steckt hat­te.

      Heff­ke gab es zu – und nach drei Ta­gen konn­te es ihm Laub be­wei­sen, dass er, Ul­rich Heff­ke, die Kar­ten un­mög­lich ein­ge­steckt ha­ben konn­te.

      Kom­missar Laub be­schul­dig­te den Heff­ke nun des Ver­ra­tes von Be­triebs­ge­heim­nis­sen in der op­ti­schen Fa­brik, in der er ar­bei­te­te. Heff­ke ge­stand, und nach ei­ner Wo­che müh­sa­mer Er­mitt­lun­gen konn­te Laub fest­stel­len, dass es in die­ser Fa­brik gar kei­ne Ge­heim­nis­se zu ver­ra­ten gab; nie­mand wuss­te dort, für wel­che Waf­fe ei­gent­lich die Ein­zel­tei­le, die man dort her­stell­te, be­stimmt wa­ren.

      Je­des falsche Ge­ständ­nis muss­te Heff­ke teu­er be­zah­len, aber das mach­te ihn nur ver­schreck­ter, nicht klü­ger. Er ge­stand blind­lings, nur um Ruhe zu ha­ben, ei­nem wei­te­ren Ver­hör zu ent­rin­nen, er un­ter­schrieb je­des Pro­to­koll. Er hät­te sein ei­ge­nes To­des­ur­teil un­ter­schrie­ben. Er war nichts wie Gal­lert, ein Häuf­chen Angst, das schon beim ers­ten Wort zu zit­tern an­fing.

      Kom­missar Laub war scham­los ge­nug, die­sen Un­glücks­men­schen zu­sam­men mit den Quan­gels in die Un­ter­su­chungs­haft über­füh­ren zu las­sen, ob­wohl nicht ei­nes der Pro­to­kol­le eine Be­tei­li­gung Heff­kes an den »Ver­bre­chen« der Quan­gels be­wies. Si­cher war si­cher, moch­te der Un­ter­su­chungs­rich­ter se­hen, ob er nicht doch et­was Be­las­ten­des aus dem Heff­ke her­aus­be­kam. Ul­rich Heff­ke be­nutz­te die et­was viel­sei­ti­ge­ren Mög­lich­kei­ten der Un­ter­su­chungs­haft dazu, dass er sich erst ein­mal auf­häng­te. Man fand ihn im al­ler­letz­ten Au­gen­blick, schnitt ihn ab und schenk­te ihn ei­nem Le­ben wie­der, das ihm völ­lig un­er­träg­lich ge­wor­den war.

      Von Stun­de an muss­te der klei­ne Bu­ckel un­ter noch viel schwe­re­ren Be­din­gun­gen le­ben: in sei­ner Zel­le brann­te die gan­ze Nacht Licht, ein Son­der­pos­ten sah in Ab­stän­den von we­ni­gen Mi­nu­ten durch die Tür, sei­ne Hän­de wa­ren ge­fes­selt, und er wur­de fast täg­lich zu ei­nem Ver­hör ge­holt. Wenn der Un­ter­su­chungs­rich­ter in den Ak­ten auch nichts Be­las­ten­des ge­gen Heff­ke ge­fun­den hat­te, so war er doch fest da­von über­zeugt, dass der Bu­ckel ein Ver­bre­chen ver­barg, denn warum hät­te er sonst einen Selbst­mord­ver­such ma­chen sol­len? Kein Un­schul­di­ger tat das! Die gra­de­zu blöd­sin­ni­ge Art Heff­kes, je­der Be­schul­di­gung erst ein­mal zu­zu­stim­men, be­wirk­te es, dass der Un­ter­su­chungs­rich­ter erst ein­mal zu den lang­wie­rigs­ten Ver­neh­mun­gen und Er­mitt­lun­gen schrei­ten muss­te, die dann er­ga­ben, dass Heff­ke nichts ge­tan hat­te.

      So kam es, dass Ul­rich Heff­ke erst eine Wo­che vor der Haupt­ver­hand­lung aus der Un­ter­su­chungs­haft ent­las­sen wur­de. Er kehr­te zu sei­ner lan­gen, dunklen, mü­den Frau zu­rück, die schon längst frei­ge­kom­men war. Sie emp­fing ihn schwei­gend. Heff­ke war zu ver­stört, um zur Ar­beit ge­hen zu kön­nen; er knie­te oft stun­den­lang in ei­nem Zim­mer­win­kel und sang mit an­ge­neh­mer, lei­ser Fal­sett­stim­me Kir­chen­lie­der vor sich hin. Er sprach kaum noch, und nachts wein­te er viel. Sie hat­ten Geld ge­spart, so tat die Frau nichts, den Mann zur Ar­beit an­zu­spor­nen.

      Drei Tage nach sei­ner Ent­las­sung be­kam Ul­rich Heff­ke schon wie­der eine La­dung als Zeu­ge zu der Haupt­ver­hand­lung. Sein schwa­cher Kopf konn­te es so recht nicht mehr fas­sen, dass er nur als Zeu­ge ge­la­den war. Sei­ne Auf­re­gung stei­ger­te sich von Stun­de zu Stun­de, er aß fast nichts mehr und sang im­mer län­ger. Die Angst, die eben erst über­stan­de­nen Quä­le­rei­en soll­ten schon wie­der los­ge­hen, quäl­te ihn un­end­lich.

      In der Nacht vor der Haupt­ver­hand­lung häng­te er sich zum zwei­ten Male auf, dies­mal ret­te­te ihm sein dunkles Weib das Le­ben. So­bald er wie­der at­men konn­te, prü­gel­te sie ihn gründ­lich durch. Sie miss­bil­lig­te sei­ne Le­bens­wei­se. Am nächs­ten Tage nahm sie ihn fest un­ter den Arm und lie­fer­te ihn an der Tür des Zeu­gen­zim­mers dem Ge­richts­die­ner mit den Wor­ten ab: »Der hat einen Vo­gel! Auf den müs­sen Sie gut auf­pas­sen!«

      Da das Zeu­gen­zim­mer schon gut be­setzt war, als die­se Wor­te fie­len – es wa­ren in der Haupt­sa­che Ar­beits­ka­me­ra­den von Quan­gel ge­la­den, die Fa­brik­lei­tung, die bei­den Frau­en und der Post­se­kre­tär, die ihn beim Ab­le­gen der Kar­ten be­ob­ach­tet hat­ten, die zwei Da­men aus dem Vor­stand der Frau­en­schaft und so wei­ter –, da also schon eine gan­ze Rei­he von Zeu­gen an­we­send war, als Anna Heff­ke die­se Wor­te sag­te, so pass­te nicht nur der Ge­richts­die­ner, son­dern die gan­ze Zeu­gen­schaft eif­rig auf den klei­nen Mann auf. Man­che ver­such­ten, sich die lang­wei­li­ge War­te­zeit mit Ne­cke­rei­en des Bu­ckels zu ver­kür­zen, aber es wur­de nicht viel da­mit: dem Man­ne sah zu sehr die Angst aus den Au­gen. Die Leu­te wa­ren doch zu gut­mü­tig, ihm viel zu­zu­set­zen.

      Die Ver­neh­mung durch den Prä­si­den­ten Feis­ler hat­te der Bu­ckel trotz sei­ner Angst gut über­stan­den, ein­fach, weil er so lei­se sprach und so sehr zit­ter­te, dass es dem höchs­ten Rich­ter in Bäl­de lang­wei­lig wur­de, sich die­sen Angst­ha­sen län­ger vor­zu­neh­men. Dann hat­te der Bu­ckel sich un­ter die an­de­ren Zeu­gen ge­duckt, in der Hoff­nung, al­les sei nun für ihn ab­ge­tan.

      Aber dann hat­te er mit an­se­hen müs­sen, wie der An­klä­ger Pin­scher sich sei­ne Schwes­ter vor­nahm, wie er sie quäl­te, er hör­te die scham­lo­sen Fra­gen, die Anna ge­stellt wur­den. Sein Herz em­pör­te sich, er woll­te vor­tre­ten, er woll­te für die heiß­ge­lieb­te Schwes­ter re­den, er woll­te be­zeu­gen, dass sie im­mer ein an­stän­di­ges Le­ben ge­führt hat­te – und sei­ne Furcht ließ ihn wie­der sich nie­der­du­cken, sich ver­krie­chen, fei­ge sein.

      So ver­folg­te er, zwi­schen Angst und Feig­heit und Mut­an­wand­lun­gen nicht mehr Herr sei­ner Sin­ne, den Fort­gang der Ver­hand­lung, bis er zu je­nem Mo­ment kam, da Anna Quan­gel den BDM, die SA und die SS be­schimpf­te. Er er­leb­te den Tu­mult, der folg­te, er mach­te selbst für sei­ne ei­ge­ne klei­ne, lä­cher­li­che Fi­gur ein biss­chen Tu­mult mit, in­dem er auf die Bank klet­ter­te, um bes­ser se­hen zu kön­nen. Er sah, wie zwei Schu­pos Anna aus dem Saal schlepp­ten.

      Er stand noch im­mer auf der Bank, als der Prä­si­dent end­lich Ruhe zu schaf­fen be­gann im Saal. Sei­ne Nach­barn hat­ten ihn ver­ges­sen, sie steck­ten noch die Köp­fe zu­sam­men.

      Da fiel der Blick des An­klä­gers Pin­scher auf Ul­rich Heff­ke, er be­trach­te­te ver­wun­dert die er­bar­mungs­wür­di­ge Ge­stalt und rief: »He, Sie da …! Sie sind doch der Bru­der der An­ge­klag­ten! Wie hei­ßen Sie doch?«

      »Heff­ke, Ul­rich Heff­ke«, half dem An­klä­ger sein As­ses­sor aus.

      »Zeu­ge Ul­rich Heff­ke, das war Ihre Schwes­ter! Ich for­de­re Sie auf, sich zu dem Vor­le­ben der Anna Quan­gel zu äu­ßern! Was wis­sen Sie von die­sem Vor­le­ben?«

      Und Ul­rich Heff­ke tat den Mund auf – er stand noch im­mer auf sei­ner Bank, und sei­ne Au­gen blick­ten zum ers­ten Male ohne Scheu. Er tat den Mund auf, und mit ei­ner an­ge­neh­men Fal­sett­stim­me sang er:

       »Va­let will ich dir ge­ben, du arge, falsche Welt!

       Dein sünd­lich bö­ses Stre­ben durch­aus mir nicht ge­fällt.

       Im Him­mel ist gut woh­nen:


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