Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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dreh­te mich um, ich beug­te mich über das Bett. Sie lag auf dem Rücken, bis zum Hal­se zu­ge­deckt. Ich streif­te die De­cke zu­rück und leg­te einen Au­gen­blick mein Ge­sicht ge­gen ihre nack­te Brust. Kühl und fest. Sach­te at­mend, kühl und fest. Es roch gut – nach Haar und Fleisch.

      »Mach doch zu!«, flüs­ter­te sie un­ge­dul­dig. »Zieh dich aus – lass den Un­sinn! Du bist doch kein Schü­ler mehr!«

      Mit ei­nem tie­fen Seuf­zer rich­te­te ich mich auf. Ich ging an das Fens­ter, nahm die Fla­sche und schwang mich hin­aus auf das Schup­pen­dach. Ich hör­te einen är­ger­li­chen zor­ni­gen Ruf hin­ter mir. Aber ich ließ mich schon hin­ab in den Gar­ten.

      »Be­sof­fe­ner al­ter Trot­tel!«, rief sie oben, dann schlug das Fens­ter zu.

      Ich stand zwi­schen Bü­schen, ich roch den Duft des Flie­ders. Die Früh­lings­nacht war ganz rein. Ich setz­te die Fla­sche an den Mund und trank lan­ge …

      7

      Ich gehe und gehe. Ich mar­schie­re und sin­ge mir ein Lied dazu, ei­nes je­ner Wan­der­lie­der, die ich frü­her bei Aus­flü­gen mit Mag­da sang. Dann hum­pe­le ich wie­der lan­ge Stre­cken auf schmer­zen­den Fü­ßen. Ich habe mir eine Zehe an ei­nem Stein ge­sto­ßen, mit mei­nen un­be­schuh­ten Fü­ßen ist es schlech­tes Wan­dern. Längst sind mei­ne St­rümp­fe zer­ris­sen. Kreu­ze ich einen Bach, klet­te­re ich die Bö­schung hin­un­ter, set­ze mich auf einen Stein und hal­te die Füße ins Was­ser, das mich zu­erst durch sei­ne Ei­ses­käl­te er­schreckt. Dann tut es gut, und, auf mei­nem Stein sit­zend, schla­fe ich ein.

      Ich wa­che frie­rend, ei­sig auf, ich bin von mei­nem Sitz ge­fal­len, ich wan­de­re wei­ter. Je schnel­ler ich gehe, umso län­ger scheint der Weg zu wer­den. Die Obst­bäu­me an den Stra­ßen­rän­dern flie­gen nur so an mir vor­bei, aber ich kom­me nicht vor­wärts. Ich weiß nicht, wo ich bin, nur sehr fern von Haus. Ich weiß nicht, wie spät es ist, aber noch ist es Nacht. Zwei Hän­de breit steht der Mond noch über dem Ho­ri­zont.

      Und ich wan­de­re. Ich wan­de­re durch ein schla­fen­des Dorf. Nir­gends ist mehr Licht, alle schla­fen, nur ich bin noch un­ter­wegs, ich, Er­win Som­mer, In­ha­ber ei­nes Lan­des­pro­duk­ten­ge­schäf­tes en gros. Nicht mehr, nicht mehr, das war ein­mal. Was hier wan­dert durch die mon­d­er­füll­te Nacht, was ist das noch? Es war ein­mal – lan­ge ist’s her. Ver­sun­ken, vor­bei, fast ver­ges­sen …

      Ein Hund er­wacht in sei­ner Hüt­te von mei­nem Schlurf­schritt, schlägt an, fängt an zu kläf­fen, an­de­re Hun­de er­wa­chen, und nun bellt das gan­ze Dorf, und ich schlur­fe hin­durch, auf blu­ti­gen Soh­len, ein Stro­mer, und ges­tern war ich noch … O schweig stil­le …!

      Und im Schat­ten des höl­zer­nen Kirch­turms blei­be ich ste­hen, wie­der ein­mal hebe ich die Fla­sche zum Mund und trin­ke. Das lullt die Fra­gen ein, das bringt die Schmer­zen zur Ruhe, das ist eine Peit­sche für die nächs­te hal­be Stun­de Weg … Aber nicht viel ist mehr in der Fla­sche, ich muss den kost­ba­ren Stoff zu­ra­te hal­ten. Den letz­ten Schluck – und er muss groß sein! – trin­ke ich auf der Schwel­le mei­nes Hau­ses, ehe ich vor Mag­da tre­te. Aber Mag­da schläft, ich wer­de ganz lei­se mich auf ein Sofa le­gen, heu­te Nacht wird es kei­ne Aus­ein­an­der­set­zung mehr ge­ben. Und mor­gen?

      Mor­gen ist sehr weit, bis mor­gen wer­de ich tief, tief schla­fen, ich wer­de al­les ver­ges­sen, was heu­te war, ich wer­de wie­der der Chef der Fir­ma sein, der wohl einen klei­nen Feh­ler be­gan­gen hat, aber der auch die Fä­hig­keit be­sitzt, die Schar­te wie­der aus­zu­wet­zen …

      Ich habe die lee­re Fla­sche in ei­nem Ge­büsch des Gar­tens ver­bor­gen, nun stei­ge ich auf mei­nen nack­ten Fü­ßen ganz lei­se die Stu­fen zur Haus­tür em­por. Auch das lei­se Öff­nen des Schlos­ses ge­lingt mir leicht. Ich bin jetzt nicht mehr die Spur be­trun­ken, ob­gleich ich eben erst nicht nur einen, nein, so­gar zwei sehr große Schlu­cke Korn ge­nom­men habe – der Rest in der Fla­sche war grö­ßer ge­we­sen, als ich er­war­tet hat­te. Aber das ist nur gut, um so kla­rer und si­che­rer bin ich jetzt. Ich wer­de kei­nen Feh­ler be­ge­hen, nie­man­den wer­de ich we­cken.

      Wie lis­tig ich bin. Es zog mich ins Ba­de­zim­mer, mir die blu­ti­gen Füße zu wa­schen, aber mein kla­rer Kopf er­in­ner­te mich, dass das Rau­schen der Häh­ne dort Mag­da we­cken wür­de, und jetzt schlei­che ich in die Kü­che. In der Kü­che darf ich mich wa­schen, ne­ben der Kü­che schläft nur die klei­ne Else, sie meint es gut mit mir. Sie hat mich ge­trös­tet, sie ist nicht tüch­tig und hart wie Mag­da.

      Ich ma­che Licht, ich sehe mich in der Kü­che um. Ich wäh­le eine große Email­le­schüs­sel, und ich den­ke dar­an, im Boi­ler am Herd nach­zu­se­hen, ob dort noch et­was war­mes Was­ser ist. Das Was­ser ist wirk­lich noch lau, ich bin stolz auf mei­ne Tüch­tig­keit, ich hole Wasch­sei­fe, das Kü­chen­hand­tuch, die Ge­schirr­tü­cher und eine Bürs­te. Dann set­ze ich mich auf einen Stuhl und ste­cke die Füße ins Was­ser.

      Ach, wie gut das tut, wie sanft die­ses laue Strei­cheln ist! Ich leh­ne mich zu­rück, ich schlie­ße die Au­gen – wenn ich jetzt noch et­was zu trin­ken hät­te, wür­de ich ganz glück­lich sein. Ir­gen­det­was fehlt im­mer am mensch­li­chen Glück, ganz zu­frie­den wer­den wir nie. Ich habe den Rot­wein aus­ge­trun­ken, sonst gibt es nichts zu trin­ken in die­sem Haus. Ich muss mir gleich mor­gen einen Wein­kel­ler zu­le­gen, und ein paar Fla­schen Schnaps müs­sen auch in ihm sein. Schnaps ist et­was sehr Gu­tes – wie scha­de, dass ich so vie­le Jah­re ver­säumt habe, in de­nen ich hät­te Schnaps trin­ken kön­nen – in al­ler Mä­ßig­keit na­tür­lich.

      Ich leh­ne mich noch wei­ter zu­rück, ge­nie­ße das Bad, füh­le die bren­nen­den Schmer­zen nach­las­sen … und sprin­ge plötz­lich auf! Das Was­ser schwappt aus der Scha­le und über­schwemmt den Flie­sen­bo­den. Aber das ist jetzt ganz egal! Eine Er­leuch­tung ist über mich ge­kom­men! Na­tür­lich ha­ben wir noch et­was zu trin­ken im Haus! Hat denn nicht Mag­da Ma­dei­ra für man­che Sup­pen, zum Bei­spiel für die Och­sen­schwanz­sup­pe? Und be­sitzt sie nicht Rum zum Ste­ri­li­sie­ren ih­rer Ge­lees? Ich weiß das doch aus den Haus­halts­bü­chern!

      Ich habe die Schüs­sel wie­der ge­füllt, ich habe die drei Fla­schen auf­ge­korkt vor mir auf­ge­baut, ich habe einen tie­fen Zug aus der Rum­fla­sche ge­tan. Zu­erst wi­der­stand er mir nach dem sanf­te­ren und rei­ne­ren Ge­schmack des Korns, die­ser Rum schmeck­te schär­fer, bren­nen­der, er ist zu­sam­men­ge­setz­ter, aber auch feu­ri­ger. Wie dun­kel­ro­te Wol­ken füh­le ich ihn in mei­nem Blu­te trei­ben, er be­schwingt mei­ne Fan­ta­sie, er macht mich noch wa­cher, acht­sa­mer, lis­ti­ger …

      Ich weiß, ich muss die Kü­che gut auf­räu­men, auf­wi­schen muss ich die Über­schwem­mung auf dem Flie­sen­bo­den, die Fla­schen gut ver­korkt wie­der weg­set­zen. Nie­mand darf et­was mer­ken, auch Else nicht. Die gute Else, sie schläft


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