Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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die Kor­ken wer­de ich fin­den …

      Wer kommt? Wer stört mich schon wie­der? Ach, es ist nur Mag­da, die tüch­ti­ge Mag­da, mit­ten in der Nacht, nein, mehr dem Mor­gen zu, steht sie da ge­wis­ser­ma­ßen ge­stie­felt und ge­spornt, je­den­falls völ­lig an­ge­zo­gen in der Kü­chen­tür und sieht stumm mit ei­nem sehr blas­sen, er­schro­cke­nen Ge­sicht auf mich!

      Ich rich­te mich halb auf, ma­che eine be­grü­ßen­de Ges­te mit dem Arm, ni­cke ihr zu und sage fröh­lich: »Da bin ich wie­der, Mag­da! Ich habe einen Aus­flug ge­macht, eine klei­ne Land­par­tie in das Früh­lings­grün hin­aus. Hast du in die­sem Jahr über­haupt schon die Ler­chen sin­gen hö­ren? Mor­gen wer­den wir ge­mein­sam ge­hen. Du sollst die Bir­ken se­hen, wie sanft grün sie sind, und du sollst die Kö­ni­gin des Schnap­ses ken­nen­ler­nen, la rei­ne d’al­cool, ich habe sie El­sa­be ge­tauft …

      Du bist so tüch­tig, Mag­da, ich sah dich im Ge­schäft mit Hinz­pe­ter über den Bü­chern. Du hast Bilanz ge­macht, du hast Klar­heit ge­won­nen, ich habe mich im­mer vor die­ser Klar­heit ge­fürch­tet! Die­sen Schluck dir, mei­ne Mag­da, und noch einen und noch einen! Ich weiß, es ist dein Rum, aber ich wer­de ihn dir er­set­zen, ich wer­de dir al­les er­set­zen; wir ha­ben noch Geld, ich kann das Ge­schäft ver­kau­fen. Es ge­hört mir, ich bin der Chef, ich kann tun, was ich will! Oder sagst du et­was da­ge­gen?«

      Sie sag­te nichts. Sie sah stumm auf mich, dann auf mei­ne blu­ti­gen Füße. Sie war sehr bleich. Aus ih­ren Au­gen lös­ten sich zwei Trä­nen, sie ran­nen lang­sam über ihre blas­sen Wan­gen, sie wisch­te sie nicht fort, ich ver­folg­te ge­spannt ih­ren Weg mit den Au­gen, bis sie auf das Kleid tropf­ten. Die­se Trä­nen rühr­ten mich nicht, im Ge­gen­teil, es tat mir nur gut, dass sie wein­te, es war ein sü­ßes Ge­fühl in mir, dass sie noch Schmerz emp­fin­den konn­te mei­net­we­gen. Ich trank wie­der.

      »Du bist so mit­leids­los tüch­tig, ja, ich habe die Lie­fe­rung für das Ge­fäng­nis nicht be­kom­men, aber du wirst das schon wie­der aus­glei­chen. Ich habe im­mer in dei­nem Schat­ten ge­lebt, du hast mich dei­ne Über­le­gen­heit nie füh­len las­sen, aber ich kam nie hoch, und nun bin ich un­ten an­ge­langt. Auch un­ten lässt es sich le­ben, ich habe ein selt­sa­mes Mäd­chen ken­nen­ge­lernt, auch sie ist ganz un­ten, aber auch sie emp­fin­det Schmerz und Freu­de. Auch un­ten emp­fin­det man Lust und Leid, Mag­da, es ist ge­nau wie oben, es ist gleich, ob man oben oder un­ten lebt. Es ist viel­leicht das Schöns­te, sich fal­len zu las­sen, mit ge­schlos­se­nen Au­gen ins Nichts zu stür­zen, im­mer tiefer in das Nichts. Man kann un­end­lich fal­len, Mag­da, ich bin noch nicht un­ten an­ge­langt, ich bin noch nicht auf­ge­prallt, alle mei­ne Glie­der sind noch heil …«

      »Er­win«, sag­te sie bit­tend, »Er­win, rede nicht mehr. Höre auf zu trin­ken. Du bist krank, Er­win. Komm, lege dich ins Bett, ich will dei­ne Füße ver­bin­den. Dei­ne Füße se­hen schreck­lich aus, ich will dei­ne Füße ver­bin­den …«

      »Siehst du«, rief ich und trank noch ein­mal, »du gönnst mir nicht ein­mal die paar Schlu­cke. Ge­wiss, es sind dei­ne Fla­schen, aber ich be­zah­le sie dir. Ich be­zah­le sie dir bar oder gebe sie dir in na­tu­ra wie­der, das ist ein glat­tes Ge­schäft, da­ge­gen kannst du nichts sa­gen. Du fragst mich nach mei­nen Fü­ßen? Ich habe eine Land­par­tie ge­macht, wenn die tüch­ti­ge Che­fin ar­bei­tet, kann der Chef sich wohl ein­mal eine Auss­pan­nung gön­nen! Ich bin bar­fuß ge­gan­gen, Bar­fuß­ge­hen soll ge­sund sein …«

      Sie ließ mich wei­ter­re­den. Sie hat­te schnell die Kü­che ver­las­sen und kam mit dem großen Ba­de­schwamm, ei­ner Sal­ben­do­se und Bin­den wie­der. Sie knie­te ne­ben mir, und wäh­rend ich im­mer ab­ge­ris­se­ner und lal­len­der über ihr fort­re­de­te, wusch sie mei­ne Füße, wusch den Stra­ßen­schmutz aus den Wun­den, trock­ne­te sie ge­lin­de ab, salb­te sie und wi­ckel­te sie ein.

      »Gut, gut«, sag­te ich und trank, »du bist wirk­lich gut, Mag­da; wenn du nur nicht so ver­dammt tüch­tig wärst!«

      1 die Kö­ni­gin <<<

      8

      Ich er­wa­che. Ich lie­ge in mei­nem Bett, die Fens­ter ste­hen of­fen, die Vor­hän­ge be­we­gen sich lei­se im Wind, drau­ßen scheint die Son­ne. Es muss schon spät sein, das Bett ne­ben mir ist be­reits ge­macht, das Schlaf­zim­mer ist leer, ich bin al­lein dar­in. Mir ist sehr schlecht, mein Ma­gen hat ein tro­ckenes Bren­nen, nur lang­sam ent­schließt sich mein Kopf, zu den­ken. Nur lang­sam kom­men mir die Erin­ne­run­gen an die ver­gan­ge­ne Nacht zu­rück, dann füh­le ich die Schmer­zen in den Fü­ßen.

      Ich strei­fe die De­cke zu­rück und sehe die Ver­bän­de. Und mit ei­nem Schla­ge steht al­les wie­der vor mir: das Lau­ern vor mei­nem ei­ge­nen Ge­schäft nach den Schat­ten auf der Glas­schei­be, die ge­mei­ne Trin­ke­rei in der Schank­stu­be, die scham­lo­se Sze­ne in der Kam­mer des ge­mei­nen Mäd­chens, mein schuh­lo­ser be­trun­ke­ner Heim­weg und, als Schlimms­tes von al­lem, die Sze­ne in der Kü­che mit Mag­da! Wie ich mich be­schmutzt habe, ach, wie ich mich be­schmutzt habe.

      Eine bren­nen­de Reue über­fällt mich. Scham, pei­ni­gen­de, schmer­zen­de Scham, ich ver­ber­ge mein Ge­sicht mit den Hän­den, ich pres­se die Au­gen fest zu … Ich will nichts mehr se­hen, ich will nichts mehr hö­ren, nichts mehr den­ken! Ich stöh­ne, ich bei­ße die Kie­fer zu­sam­men, ich knir­sche mit den Zäh­nen. Ich stöh­ne: »Es kann nicht wahr sein! Es ist nicht wahr! Das bin ich nicht ge­we­sen! Ich habe al­les nur ge­träumt! Ich muss al­les ver­ges­sen, auf der Stel­le muss ich al­les ver­ges­sen! Es darf nichts wahr sein!«

      Das schüt­telt mich wie ein Krampf, und dann kom­men die Trä­nen, Trä­nen über all das, was ich so mut­wil­lig ver­lor. End­lo­se, bit­te­re, ban­ge, schließ­lich doch lö­sen­de Trä­nen.

      Und als ich mich aus­ge­weint habe, ist im­mer noch die Son­ne vor mei­nen Fens­tern, we­hen die fri­schen duf­ti­gen Vor­hän­ge im leich­ten Win­de. Im­mer noch ist das Le­ben da, jung und lä­chelnd, du kannst es in je­der Stun­de noch ein­mal be­gin­nen, es kommt nur auf dich an.

      Ne­ben mei­nem Bett steht ein Tisch­chen mit ei­nem Früh­stück­sta­blett, der Kaf­fee ist sorg­sam mit ei­ner Hau­be ver­deckt, und nun be­gin­ne ich, zu früh­stücken. Die ers­ten Bis­sen der Sem­mel kaue ich noch zäh und trä­ge im Mun­de, aber der Kaf­fee ist ex­tra stark zu­be­rei­tet; all­mäh­lich kommt der Ap­pe­tit wie­der, und ich ge­nie­ße mit dank­ba­rer Freu­de all das, was mir Mag­das Sorg­sam­keit an Ex­tra­bis­sen auf das Ta­blett ge­stellt hat: schar­fe An­cho­vis, eine schö­ne fet­te Le­ber­wurst und wun­der­ba­ren Che­s­ter­kä­se.

      Sel­ten habe ich mit sol­chem Ge­nuss ge­ges­sen, ich füh­le mich wie ein Ge­ne­sen­der. Dank­bar be­grü­ße ich die säu­ber­li­chen Din­ge der be­kann­ten Um­welt, grü­ße sie wie alte ver­trau­te Freun­de, die man lan­ge ent­behrt hat­te.

      Nun fin­de ich auch auf dem Nacht­tisch einen Zet­tel von Mag­da. Sie teilt mir mit, dass sie nur auf we­ni­ge Stun­den ins Ge­schäft ge­gan­gen sei, sie bit­tet mich, bis zu ih­rer Rück­kunft im Bett oder doch im Hau­se zu blei­ben; das Bad sei für mich ge­heizt.

      Eine hal­be Stun­de spä­ter ver­las­se ich das Haus. Zwar macht mir das Ge­hen mit mei­nen wun­den Fü­ßen arge Schmer­zen, aber ich bin nicht ge­son­nen, wei­ter ta­ten­los zu ver­har­ren. Ich habe mich ge­säu­bert von oben bis un­ten, ich zog fri­sche


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