Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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oder zehn Ecken, bis ich in eine Ge­gend kam, wo ich mich un­be­kannt glaub­te, und trat dort in eine klei­ne Knei­pe und bat den di­cken bär­ti­gen Wirt um einen dop­pel­stö­cki­gen Ko­gnak … Als ich den drit­ten kipp­te, denn ich woll­te mich für die Nacht aus­gie­big ver­pro­vi­an­tie­ren, sag­te der Wirt lang­sam: »Das kennt man ja gar nich bei Sie, Herr Som­mer. Sie ha­ben wohl eine klei­ne Er­käl­tung …?«

      Är­ger­lich, ein so be­kann­ter Mann zu sein, ver­zich­te­te ich auf den vier­ten und mach­te mich wie­der auf den Heim­weg. Ich lutsch­te mei­ne sü­ßen Atem­bon­bons, und auch da­bei är­ger­te ich mich wie­der über Mag­da, die mich zwang, den schö­nen Ko­gnak­ge­schmack durch solch süß­li­che Mund­par­füms zu ver­trei­ben.

      Sie er­war­te­te mich noch, wahr­schein­lich woll­te sie mich wie­der auf ih­ren lang­wei­li­gen Ho­nig lo­cken, aber ich ging di­rekt ins Schlaf­zim­mer und re­de­te auch nur noch ein paar mür­ri­sche Wor­te, Fort­be­stand star­ker Kopf­schmer­zen vor­ge­bend. Dann schlief ich rasch ein.

      Aber mit­ten in der Nacht, kurz nach ein Uhr, stand ich schon wie­der bar­fü­ßig im Py­ja­ma in der Spei­se­kam­mer und leer­te rasch nach­ein­an­der, was noch in den drei Fla­schen drin war. Und wäh­rend ich noch die letz­te Fla­sche am Mun­de hat­te, wur­de mir mit schreck­li­cher Ge­wiss­heit klar, dass ich ver­lo­ren war, dass es kei­ne Ret­tung mehr für mich gab, dass ich dem Al­ko­hol ge­hör­te mit Leib und See­le. Nun war es gleich­gül­tig ge­wor­den, ob ich noch ei­ni­ge Tage oder Wo­chen ir­gend­wel­chen Schein von An­stand und Sit­te auf­recht­er­hielt – es war doch vor­bei. Sie soll­te nur kom­men, die Mag­da, und mich hier trin­ken se­hen. Ich wür­de es ihr ins Ge­sicht sa­gen, dass ich ein Trin­ker ge­wor­den war, und sie hat­te mich dazu ge­macht, sie mit ih­rer in­fer­na­li­schen Tüch­tig­keit!

      Aber sie kam nicht. So ließ ich die drei lee­ren Fla­schen of­fen da­ste­hen und leg­te die Kor­ken da­ne­ben; moch­ten sie wis­sen, alle wis­sen, Mag­da, Else, wer noch woll­te – es war doch al­les egal!

      Dann aber, ge­gen Mor­gen, mein Herz ging so schwer, stand ich noch ein­mal auf, leck­te ge­wis­ser­ma­ßen die al­ler­letz­ten Trop­fen aus den Fla­schen­hälsen, füll­te Was­ser ein, halb oder ein Drit­tel, je nach­dem, ver­kork­te sie und stell­te sie wie­der an ihre al­ten Plät­ze. So ge­wann ich wie­der eine An­stands­frist von ein oder zwei Ta­gen …

      10

      In der nun fol­gen­den Zeit be­such­te ich mein Kon­tor ziem­lich re­gel­mä­ßig und leis­te­te auch ei­ni­ge Ar­beit, nicht aus Lust dar­an, son­dern ei­ner al­ten Ge­wohn­heit fol­gend, mit der nicht so­fort zu bre­chen war, und aus Scham vor Mag­da.

      Mag­da war sehr still ge­wor­den, wir spra­chen bei­de nur noch das Al­ler­not­wen­digs­te mit­ein­an­der. Am leb­haf­tes­ten ging es noch zwi­schen uns zu, wenn Drit­te zu­ge­gen wa­ren, Hinz­pe­ter oder Else oder Kun­den. Dann konn­ten wir so­gar Späß­chen mit­ein­an­der ma­chen, der ver­gnüg­te Ton frü­he­rer Ehe­jah­re schi­en wie­der­ge­kom­men, kaum aber hat­te sich die Tür hin­ter je­nen Drit­ten ge­schlos­sen, so ver­stumm­ten wir auf einen Schlag, mei­ne Mie­ne wur­de ei­sig, und Mag­da fing an, em­sig mit Pa­pier zu ra­scheln.

      Sie hielt sich in die­ser Zeit stän­dig in mei­ner Nähe. Nicht, dass sie mit mir zum oder vom Kon­tor ge­gan­gen wäre, aber drei oder zehn Mi­nu­ten nach mir tauch­te sie be­stimmt auf, der Haus­halt lag ganz in El­ses Hän­den. Na­tür­lich hat­te sol­che Beauf­sich­ti­gung nicht den ge­rings­ten Ein­fluss auf mich, ich tat doch, was ich woll­te, das heißt: Ich trank nach Be­dürf­nis.

      Von der Ge­wohn­heit der klei­nen Gläs­chen war ich zu der der großen Schlu­cke aus der Fla­sche über­ge­gan­gen. Ich hielt mir im­mer eine sol­che Fla­sche in mei­nem Schreib­tisch auf dem Kon­tor und eine zwei­te in ei­ner Ecke des Ba­de­zim­mer­schran­kes da­heim. Es mach­te mir Ver­gnü­gen, die­se Fla­schen ge­wis­ser­ma­ßen un­ter Mag­das Au­gen ein­zu­schmug­geln, in der Ak­ten­map­pe oder gar in der Ho­sen­ta­sche, vom Jackett ver­deckt. Wenn ich mei­ne Vor­rats­de­pots frisch ver­sorgt hat­te, er­füll­te mich ein wirk­li­ches Glücks­ge­fühl, als sei ich rei­cher ge­wor­den.

      Bei dem ge­rings­ten An­zei­chen von Durst schon konn­te ich einen Schluck neh­men. Zu Hau­se im Ba­de­zim­mer war das ein­fach ge­nug, aber auf dem Kon­tor, das Mag­da mit mir teil­te, gab es manch­mal Schwie­rig­kei­ten. Dann saß ich vie­le Mi­nu­ten und grü­bel­te über einen Vor­wand, sie hin­aus­zu­schi­cken. Ein­mal, als mir gar nichts ein­fiel, ging ich so­gar so weit, dass ich heim­lich in ih­rer Ge­gen­wart – der Schreib­tisch deck­te mich ge­gen Sicht – die Fla­sche ent­korkt auf den Bo­den stell­te, dann den Ra­dier­gum­mi zu Bo­den fal­len ließ und ihn mir um­ständ­lich such­te, zu­letzt auf al­len Vie­ren, wo­bei ich un­ter der Wöl­bung des Schreib­ti­sches, sehr ver­gnügt über mei­ne List, be­trächt­li­chen Ko­gnak in mich hin­ein­glu­ckern ließ.

      Ich wech­sel­te mei­ne An­sicht, wie­weit Mag­da mich durch­schau­te, fast stünd­lich. Meist war ich fest da­von über­zeugt, dass sie gar nichts ahn­te, zu an­de­ren Stun­den, na­ment­lich, wenn ich miss­mu­tig und ge­reizt war, wuss­te ich es bei­na­he, dass sie mich ganz und gar durch­schau­te. Dann grü­bel­te ich wie­der. Manch­mal ging ich lan­ge Zeit im Kon­tor nach­den­kend auf und ab, im­mer an Mag­das Platz vor­über; dann war ich böse, wie ich es nann­te, nicht auf et­was spe­zi­ell, nicht ein­mal auf Mag­da, son­dern ich war ein­fach böse, wie eben ein Mensch schlecht und böse sein kann, von Ur­grund her, so ist er ein­mal, so böse war ich, und ich such­te einen Grund, mit ihr Streit an­zu­fan­gen.

      In die­sem Streit woll­te ich die Ge­wiss­heit aus ihr her­aus­lo­cken, ob sie gar nichts oder al­les wuss­te, und wuss­te sie al­les, so woll­te ich auch den letz­ten Schein von An­stand fal­len las­sen. Gera­de in ih­rer Ge­gen­wart, in der An­we­sen­heit mei­ner nüch­ter­nen, sau­be­ren, tüch­ti­gen Frau woll­te ich mich toll und voll­sau­fen, ich woll­te die Füße auf den Schreib­tisch le­gen und wüs­te, schwei­ni­sche Lie­der sin­gen und zo­ti­ge Re­dens­ar­ten ge­brau­chen – wel­che Wol­lust, sie mit in den Dreck zu zie­hen, ihr zu zei­gen: Den hast du ein­mal ge­liebt, und un­ter dei­ner Lie­be ist er so ge­wor­den … Nun ge­ra­de! Seht her!

      Ich ging im­mer schnel­ler auf und ab, ich ge­nier­te mich nicht mehr, ich warf ihr böse, her­aus­for­dern­de Bli­cke zu, aber dann, di­rekt vor mei­nem Aus­bruch, stand sie stets auf und ver­ließ das Kon­tor. Ich aber starr­te ihr nach, ich starr­te wü­tend die braun ge­ma­ser­te Tür an, ich ball­te die Fäus­te, ich knirsch­te mit den Zäh­nen: »Fei­ge aus­ge­ris­sen, aber das hast du aus mir ge­macht, du – Tüch­ti­ge!« Schließ­lich setz­te ich mich wie­der an mei­nen Schreib­tisch, trank kräf­tig und wur­de müde und sanft.

      Üb­ri­gens, wenn ich eben ge­sagt habe, ich hät­te mei­ne Ar­beit nur soso ge­macht, aus al­ter Ge­wohn­heit, so ist nicht ein­mal das ganz rich­tig: Man soll sein Licht auch nicht un­ter den Schef­fel stel­len. Der Al­ko­hol mach­te es, dass ich in die­ser Zeit viel von mei­ner vor­neh­men Chef­zu­rück­hal­tung ver­lor, ich konn­te mit der Land­kund­schaft viel bes­ser schwät­zen, wir klopf­ten ein­an­der auf die Schul­ter, er­zähl­ten uns Witz­chen, wo­bei wir uns acht­sam um­sa­hen, ob Mag­da auch nicht in der Nähe war, und da­bei ge­lang mir man­cher un­ge­wöhn­lich vor­teil­haf­te Ab­schluss.

      Was ich frü­her nie ge­tan hat­te, wo­für ich mich zu fein ge­hal­ten hat­te und mei­ne Fir­ma zu an­sehn­lich, das tat ich jetzt


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