Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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hat; sie wird auch sehr rot.

      »Er­win, du?«, ruft sie. »Ich dach­te …« Und sie schaut erst mich, dann Herrn Hinz­pe­ter an.

      »Gu­ten Mor­gen, gu­ten Mor­gen, Herr Hinz­pe­ter«, sage ich freund­lich und las­se mir nichts an­mer­ken. »Ja, du dach­test … Aber ich fand, dass es mir heu­te früh doch schon recht er­träg­lich ging, bis auf die Füße … die Füße na­tür­lich … Aber las­sen wir das. Nun er­zäh­le mir, was ihr fest­ge­stellt und was ihr viel­leicht so­gar schon be­schlos­sen habt. Wer­den wir den Ver­lust der Ge­fäng­nis­lie­fe­run­gen ver­schmer­zen kön­nen?«

      Ich hat­te mich in den Ses­sel an mei­nen Schreib­tisch ge­setzt. Ich sah sie freund­lich an, ganz der Chef, der be­reit war, die Vor­schlä­ge sei­ner An­ge­stell­ten wohl­wol­lend an­zu­hö­ren, ehe er sei­ne Ent­schei­dung traf. Ich hat­te – kaum eine Stun­de war es her – in ei­nem Krampf ge­schri­en, dass ich ver­ges­sen woll­te, dass ich ver­ges­sen muss­te … Und nun saß ich hier, ich, ich konn­te nicht ver­ges­sen, schon Mag­das Bläs­se, schon mei­ne in den en­gen Schu­hen schmer­zen­den Füße er­in­ner­ten mich stets, aber sie mach­te ich ver­ges­sen. Kei­ne fünf Mi­nu­ten, und es muss­te Mag­da wie ein bö­ser Traum vor­kom­men, dass sie mich vor noch nicht zwölf Stun­den am Kü­chen­tisch hat­te sit­zen se­hen, drei Fla­schen vor mir, die ver­schmutz­ten Füße in ei­ner Schüs­sel, der Flie­sen­bo­den über­schwemmt – nichts wie ein bö­ser Traum! Ver­ges­sen! Ver­ges­sen!! (Auch dies, es war mir klar, war Scham­lo­sig­keit; wort­los ging ich über das Ge­sche­he­ne fort, wisch­te es aus, dul­de­te kei­ne An­spie­lung, kei­nen nach­denk­lich for­schen­den Blick … Scham­los auch das!)

      Im Üb­ri­gen zeig­te es sich, dass ich nicht um­sonst auf Mag­das Tat­kraft ge­rech­net hat­te. Schon am frü­hen Mor­gen hat­te sie be­reits einen Be­such bei ih­rem Freund, dem Obe­rin­spek­tor, ge­macht, um fest­zu­stel­len, ob nicht viel­leicht doch noch et­was zu ret­ten war. Und sie­he, die­ser bra­ve Mann hat­te ihr wirk­lich einen Tipp ge­ge­ben, einen sehr wert­vol­len Tipp.

      Ein Teil der Ge­fan­ge­nen wur­de im An­fang der Straf­zeit in Ein­zel­zel­len mit Wer­g­zup­fen be­schäf­tigt. Al­tes, ver­brauch­tes oder zer­ris­se­nes Tau­werk wur­de wie­der in sei­ne Grund­be­stand­tei­le zer­legt, zer­rupft. Aus dem ge­won­ne­nen Werg konn­ten wie­der neue Sei­le ge­macht wer­den. Der Be­darf an sol­chem Tau­werk war im­mer recht groß, und ge­ra­de im Au­gen­blick wa­ren die Vor­rä­te der Ge­fäng­nis­ver­wal­tung dar­in ziem­lich am Ende. Der Obe­rin­spek­tor hat­te Mag­da vor­ge­schla­gen, nach Ham­burg zu fah­ren und dort al­tes Seil­werk auf­zu­kau­fen, zwei oder auch drei Wag­g­ons. Sei­nen An­ga­ben nach war da­bei ein recht gu­tes Ge­schäft zu ma­chen, wenn man nur die rech­ten Quel­len kann­te, und er hat­te es so­gar nicht an Hin­wei­sen auf die­se gu­ten Quel­len feh­len las­sen.

      Wie ge­sagt, ich hör­te mir das al­les wohl­wol­lend an. Es war na­tür­lich nur ein klei­nes Ge­le­gen­heits­ge­schäft, das auch bei güns­tigs­tem Ein­kauf nicht an­nä­hernd eine drei­jäh­ri­ge Le­bens­mit­tel­lie­fe­rung für an­nä­hernd fünf­zehn­hun­dert Men­schen er­set­zen konn­te, aber es war mit­zu­neh­men, wenn es ei­gent­lich auch nicht in den Rah­men mei­nes Ge­schäf­tes pass­te.

      »Und wer, dach­test du, soll fah­ren, Mag­da?«, frag­te ich. »Du selbst etwa …?«

      »Nein, so gern ich möch­te«, ant­wor­te­te sie zö­gernd. »Ich glau­be, ich kann im Au­gen­blick schlecht fort. Gera­de jetzt …« Sie brach ab und sah mich et­was hilf­los und doch mit Be­deu­tung an.

      Dies war ei­ner je­ner Bli­cke, die ich un­ter kei­nen Um­stän­den dul­den woll­te.

      »Du hast ganz recht, Mag­da«, ant­wor­te­te ich dar­um, »du bist hier im Au­gen­blick wirk­lich schlecht ab­kömm­lich. Und dann ist da dein Haus­halt. Else ist doch noch sehr jung …« (Gute, trös­ten­de Else …!) »Es ist schon das Bes­te, ich fah­re selbst. Ich füh­le mich wie­der ganz frisch, und mit mei­nen Fü­ßen, das wer­de ich mir schon so ein­rich­ten … Ich kann ja Ta­xen neh­men …«

      Has­tig un­ter­brach mich Mag­da: »Du kannst kei­nes­falls fah­ren, Er­win. Du weißt, du bist noch nicht ganz in Ord­nung.« Sie sah mich fest an, nicht böse, son­dern eher trau­rig-lie­be­voll, aber un­aus­weich­lich und fest. Dies­mal senk­te ich den Blick. »Nein«, fuhr sie fort, »das Bes­te ist, wir schi­cken Herrn Hinz­pe­ter. Er könn­te heu­te Abend noch fah­ren und wäre dann viel­leicht schon über­mor­gen früh …«

      »Ei­nen Au­gen­blick bit­te, Mag­da«, un­ter­brach ich sie. »Bes­ten Dank, Herr Hinz­pe­ter, ich rufe Sie dann gleich wie­der …« Ich war­te­te, bis sich die Tür hin­ter dem Buch­hal­ter ge­schlos­sen hat­te. Dann sah ich Mag­da fest an. »Mag­da«, sag­te ich, »wir wol­len das Ver­gan­ge­ne ru­hen las­sen, wir wol­len nie mehr da­von spre­chen. Es soll für im­mer ver­ges­sen sein.«

      Sie mach­te eine Be­we­gung, als woll­te sie re­den, die­ser viel­leicht et­was zu ein­fa­chen Lö­sung wi­der­spre­chen.

      »Nein, nein, Mag­da«, sag­te ich dar­um ei­lig, »lass mich erst aus­re­den. – Ich bit­te dich herz­lich, lass du mich nach Ham­burg fah­ren, es liegt mir sehr viel dar­an, und mit den Fü­ßen, das rich­te ich schon …«

      Wie­der mach­te sie eine hef­ti­ge Be­we­gung, als sei­en mei­ne Füße im Mo­ment ganz be­lang­los.

      Die­se In­ter­es­se­lo­sig­keit an mei­nem Wohl­er­ge­hen kränk­te mich sehr, aber ohne mir et­was an­mer­ken zu las­sen, fuhr ich fort: »Es wird für mei­ne Stim­mung sehr gut sein, wenn ich für ein oder zwei Tage hier her­aus­kom­me.« Lei­ser setz­te ich hin­zu: »Die­ser Mis­ser­folg mit den Le­bens­mit­tel­lie­fe­run­gen hat mich doch recht mit­ge­nom­men, ich kom­me mir doch sehr bla­miert vor.«

      Sie sah mich sehr fest an. »Er­win«, sag­te sie, »du hast selbst ge­sagt, wir wol­len das Ver­gan­ge­ne ru­hen las­sen, und ich will da­mit ein­ver­stan­den sein, ob­wohl …« Sie brach ab. »Aber nun fan­ge nicht du selbst wie­der da­von an. – Was aber dei­ne Rei­se nach Ham­burg an­geht, so bin ich fest da­von über­zeugt, dass sie dir jetzt nicht gut ist. Nicht Ablen­kung brauchst du, son­dern Ruhe und Kon­zen­tra­ti­on. Ich habe uns üb­ri­gens bei­de für heu­te Nach­mit­tag bei Dr. Mans­feld an­ge­mel­det …«

      »Das ist wie­der so eine von dei­nen Ei­gen­mäch­tig­kei­ten, Mag­da!«, rief ich är­ger­lich. »Was soll ich bei Dr. Mans­feld? Ich bin völ­lig ge­sund. Das biss­chen Füße …«

      »Ach, dei­ne Füße!«, rief sie, nun auch är­ger­lich. »Das biss­chen zer­schun­de­ne Haut wird schon hei­len. Nein, du bist wirk­lich krank, Er­win; ich habe es schon seit Mo­na­ten ge­merkt, wie du dich ver­än­derst, der Dok­tor muss dich ein­mal ganz gründ­lich un­ter­su­chen.«

      »Und un­ter dei­ner Auf­sicht!«, sag­te ich spöt­tisch. »Nein, da­für muss ich wirk­lich dan­ken …«

      »Er­win«, sag­te sie wie­der bit­tend, »lass uns dies eine Mal nicht strei­ten. Tu mir den Ge­fal­len, geh mit mir zum Arzt. Er kann ja dann ent­schei­den, ob die­se Ham­bur­ger Rei­se für dich gut ist.«

      »Oh«, sag­te ich bit­ter, »wenn er un­ter dei­ner Be­ra­tung ent­schei­den soll, dann brau­chen wir erst gar nicht hin­zu­ge­hen, dann kannst du Hinz­pe­ter gleich sa­gen, dass er nach Ham­burg zu fah­ren hat.«

      Wir stan­den jetzt je­der an ei­nem Fens­ter des


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