Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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könn­te ich in der Gärt­ne­rei be­schäf­tigt wer­den? Ich hät­te im­mer so viel Lust zur Gärt­ne­rei ge­habt!

      Der Me­di­zi­nal­rat und sei­ne rech­te Hand sa­hen ein­an­der an und dann mich. Sie lä­chel­ten et­was dünn. »Nein, in die­ser al­ler­ers­ten Zeit möch­ten wir Sie bes­ser doch noch nicht ›drau­ßen‹ ar­bei­ten las­sen«, sag­te der Me­di­zi­nal­rat sanft. »Dazu müs­sen wir ein­an­der erst ein biss­chen bes­ser ken­nen­ler­nen …«

      »Ach, Sie den­ken, ich lau­fe fort?«, rief ich ent­rüs­tet. »Aber, Herr Me­di­zi­nal­rat, wo­hin soll­te ich denn lau­fen, in die­ser Tracht, ohne Geld? Ich käme kei­ne zehn Ki­lo­me­ter weit …«

      »Auch zehn Ki­lo­me­ter wä­ren schon zu viel«, un­ter­brach mich der Arzt. »Nun, Ober­pfle­ger?«

      »Ich den­ke, ich ste­cke ihn zum Bürs­ten­ma­chen, da fehlt uns ge­ra­de ein Mann. Lexer kann ihn an­ler­nen …«

      »Lexer?«, un­ter­brach ich den Ober­pfle­ger ent­setzt. »Ich bit­te Sie: bloß nicht Lexer! Wenn mir ein Mensch ver­hasst ist, so ist es die­ses klei­ne, wi­der­li­che, gel­len­de Biest! Al­les in mir dreht sich vor Ekel um, wenn ich die­se Stim­me nur höre … Al­les, was Sie wol­len, bit­te, nur nicht Lexer!«

      »Ha­ben Sie auch drau­ßen schon an so hef­ti­gen An­ti­pa­thi­en ge­lit­ten, Som­mer?«, frag­te der Me­di­zi­nal­rat sanft. »Sie sind kaum vier­und­zwan­zig Stun­den in die­sem Haus und ha­ben schon einen sol­chen Hass auf einen ganz harm­lo­sen schwach­sin­ni­gen Ben­gel ge­fasst.«

      Ich war ver­wirrt, ver­le­gen – schon wie­der hat­te ich einen Feh­ler be­gan­gen. »Es gibt doch so plötz­li­che An­ti­pa­thi­en, Herr Me­di­zi­nal­rat«, sag­te ich. »Man sieht einen Men­schen, hört nur sei­ne Stim­me, und schon …«

      »Ja, ja«, un­ter­brach er mich und sah plötz­lich müde und trau­rig aus. »Wir re­den von al­le­dem noch spä­ter. Jetzt gute Nacht, Som­mer!«

      51

      Es war eine Nie­der­la­ge, eine schmäh­li­che Nie­der­la­ge, mit nichts war die Grö­ße die­ser Nie­der­la­ge vor mir zu be­schö­ni­gen. Ich war als ein Lüg­ner ent­larvt, ich hat­te Absti­nen­zer­schei­nun­gen und litt an krank­haf­ten plötz­li­chen An­ti­pa­thi­en. Ich dach­te viel­leicht auch an Flucht. In ohn­mäch­ti­ger Verzweif­lung lag ich in mei­nem Bett, ich hät­te wei­nen kön­nen vor Reue und Scham. So viel vor­aus­be­dacht und vor­aus­ge­sorgt und in jede Fal­le hin­ein­ge­tappt wie der ers­te dum­me, ge­hirn­lo­se Jun­ge!

      Und es ist ja doch al­les gar nicht wahr, was sie von mir den­ken, rief ich ver­zwei­felt bei mir aus. Ich den­ke wirk­lich nicht an Flucht, und ich habe wirk­lich kei­ne Absti­nen­zer­schei­nun­gen ge­habt, oder nur an den al­ler­ers­ten zwei oder drei Ta­gen, und auch da nur ganz ge­ring.

      Und wenn ich den Arzt ein we­nig über mei­nen Al­ko­hol­ver­brauch an­ge­schwin­delt habe, so doch nie in der Ab­sicht, ihn zu täu­schen. Er kam mit ei­ner vor­ge­fass­ten schlech­ten Mei­nung von mir hier­her, ei­ner Mei­nung, die den Tat­sa­chen nicht ent­sprach, es war eine Pf­licht der Selbs­t­er­hal­tung von mir, mit je­dem Mit­tel die­se vor­ge­fass­te Mei­nung zu zer­streu­en!

      Aber ich moch­te mir was im­mer er­zäh­len, die Tat­sa­che blieb, dass ich eine schwe­re Nie­der­la­ge er­lit­ten hat­te, dass ich in den Au­gen von Arzt und Ober­pfle­ger wie ein klei­ner win­di­ger Spitz­bu­be da­stand, der sich mit al­len Knif­fen und Pfif­fen von sei­ner Schuld frei­schwin­deln will.

      ›Schuld?!‹, dach­te ich. ›Was habe ich denn groß für eine Schuld?! Dies biss­chen Be­dro­hung – Mord­horst hat ge­sagt, für eine Be­dro­hung kriegt man höchs­tens ein Vier­tel­jahr! Das ist gar nichts, das kann man über­haupt nicht rech­nen! Sie aber ma­chen einen Rie­sen­summs dar­aus, sie schlep­pen mich in Ge­fäng­nis und Heil­an­stalt, sie neh­men mir das »Herr« vor mei­nem Na­men Som­mer. Kohl­was­ser ge­ben sie mir als Fraß, und sie ver­an­stal­ten Ver­hö­re mit mir, als sei ich ein Mut­ter­mör­der und der letz­te der Men­schen! Ich bin ge­wiss, wenn sie mich nur fünf Mi­nu­ten mit Mag­da re­den lie­ßen, ich hät­te sie über­zeugt; ge­mein­sam trä­ten wir vor die­sen lä­cher­li­chen Staats­an­walt mit der vor­ge­scho­be­nen Un­ter­lip­pe und den star­ren­den Au­gen, und die­ser Kerl müss­te so­fort das Ver­fah­ren ge­gen mich ein­stel­len!‹

      ›A­ber‹, dach­te ich rasch und qual­voll wei­ter, ›a­ber es liegt auch an Mag­da! Wenn sie ein biss­chen von der Lie­be und Treue hät­te, die Ehe­gat­ten doch für­ein­an­der ha­ben sol­len, sie hät­te sich längst zum Be­such bei mir vor­ge­mel­det, sie setz­te Him­mel und Höl­le in Be­we­gung, um mich aus die­sem To­ten­haus her­aus­zu­be­kom­men! Nichts von al­le­dem! Nicht ein­mal einen Brief hat sie mir ge­schrie­ben. Aber ich weiß, wie es ist: Sie steckt mit den Ärz­ten un­ter ei­ner De­cke. Die er­zäh­len ihr, ich bin hier gut auf­ge­ho­ben und habe nichts aus­zu­ste­hen, und das ge­nügt ihr, da macht sie sich kei­nen ein­zi­gen Ge­dan­ken mehr über mich. Sie hat ih­ren Zweck er­reicht, wal­ten und schal­ten kann sie in mei­nem Ei­gen­tum, wie sie will – das ist ihr das Wich­tigs­te!

      Aber war­te, ei­nes Ta­ges wer­de ich trotz al­ler Knif­fe und Pfif­fe wie­der aus die­sem Haus her­aus­kom­men, und dann sollst du se­hen, was ich al­les tun wer­de …‹

      Und mit wil­der Wut stürz­te ich mich in Ra­che­fan­tasi­en. Ich ver­kauf­te das Ge­schäft hin­ter ih­rem Rücken, und wol­lüs­tig mal­te ich mir aus, wie sie ei­nes Mor­gens auf das Kon­tor kom­men wür­de, aber auf ih­rem – mei­nem – Platz hin­ter dem Chef­schreib­tisch wür­de der jun­ge Un­ter­neh­mer von der Kon­kur­renz sit­zen und ihr spöt­tisch ent­ge­gen­lä­cheln: »Nun, Frau Som­mer, auch einen klei­nen Ein­kauf in mei­ner Fir­ma tä­ti­gen? Zehn Kilo gel­be Vik­to­ria-Erb­sen ge­fäl­lig? Ein Kilo blau­en Mohn für den Sonn­tags­ku­chen?« Sie aber wür­de vor Scham und Zorn und Verzweif­lung dun­kel­rot wer­den, und ich sah das al­les, im großen Re­gis­tra­tur­schrank ver­steckt, mit frohlo­cken­dem Her­zen an.

      Oder ich mal­te mir aus, wie ich nach mei­ner Ent­las­sung aus die­sem To­ten­haus in die wei­te Welt hin­aus­wan­dern wür­de, wie ich mich lan­ge Jah­re als Bett­ler und Stro­mer in frem­den Lan­den her­um­trei­ben und erst spät, für je­den un­kennt­lich, in mei­ne Va­ter­stadt heim­keh­ren wür­de. Da wür­de ich an der Tür mei­nes ei­ge­nen Hau­ses um ein Stück­chen Brot bet­teln, hart aber wür­de sie es mir ver­wei­gern. In der Nacht dann wür­de ich mich am Pflau­men­baum vor ih­rem Fens­ter er­hän­gen, einen Zet­tel in der Ta­sche, wer ich sei und dass ich ihr al­les mir an­ge­ta­ne Un­recht ver­zie­he …

      Trä­nen der Rüh­rung über mein un­se­li­ges Schick­sal tra­ten mir jetzt in die Au­gen, und die­se Fan­tasi­en, so kin­disch sie auch wa­ren, be­ru­hig­ten mein Herz doch ein we­nig.

      Längst schlie­fen mei­ne Ge­fähr­ten, die noch bis zum Dun­kel­wer­den mit­ein­an­der ge­plau­dert hat­ten, das heißt nur zwei von ih­nen, der drit­te, ein äl­te­rer Mann mit ei­nem schö­nen trau­ri­gen Ge­sicht und ei­ner wun­der­voll ge­wölb­ten ho­hen Stirn, hat­te so­fort die De­cke über den Kopf ge­zo­gen. Ich be­glück­wünsch­te mich zu den ru­hi­gen, an­stän­di­gen Schlaf­ge­nos­sen; ich merk­te es in die­ser Nacht: Sie hat­ten auch ein­an­der dazu er­zo­gen, den Kü­bel nur zum klei­nen Ge­schäft zu be­nut­zen und sich das an­de­re, läs­ti­ge für den Tag auf­zu­spa­ren.


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