Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

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Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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Meister Meyenberger nicht unter die Arme gegriffen hätte. Der alte Arzt rief nach seiner Dienerin, und mit ihrer Hülfe gelang es ihm, den Bewußtlosen auf ein Lager zu bringen. Tiefgebeugt saß er dann nieder vor dem Bette und erwartete das Wiedererwachen des Kranken. Dieses trat aber erst gegen Mitternacht ein, und verwunderte Blicke warf Simone Spada umher, als er auffuhr aus seinem unruhigen Schlummer.

      »Ich bin’s, Simone«, sagte der Alte. »Beruhige dich, mein Kind, du sollst noch nicht gehen. Du bist schwach und hast dich zu sehr angestrengt auf deiner schnellen Jagd hieher. Die Dora und ich, wir wollen dich recht pflegen, wie einst vor langen Jahren deine Großeltern mich gepflegt haben in deiner Vaterstadt Bologna.«

      Schwach drückte mit fieberhafter Hast der junge Mann dem Greise die Hand, und dieser schüttelte traurig, bedenklich das Haupt über die Fortschritte, welche die Krankheit machte. Der nächste Morgen fand den Simone Spada in den wildesten Fieberphantasien. Von Blut und Feuer rief er verworrene Worte, von schönen Jungfrauen, welche auf schwarzen, funkensprühenden Geisterrossen durch donnernde Gewitterwolken sprengten; von Sturm und Schiffbruch träumte er, vom Zusammenschlagen eiskalter Wogen über seinem Haupte; auf flammendem Scheiterhaufen wand er sich, und immer und immer wieder rief er aus der Todesqual mit schauerlich-verzweifelnder Stimme den Namen der falschen Magierin Fausta La Tedesca. Selbst jetzt, dicht vor den Toren der Vernichtung, ließ die Verderberin ihr Opfer noch nicht los; sie umschlang es im Gegenteil mit immer innigern Banden, wie die Schlange ihre Beute umschlingt.

      Benediktus Meyenberger glaubte, der Kranke werde ihm unter den Händen sterben; neben dem Lager seines jungen Freundes, den er Sohn nannte, saß der vielgeprüfte Mann und gedachte jener Nacht in Padua, von welcher Fausta La Tedesca in dem Turmgemach zu Pyrmont geträumt hatte.

      In jener Nacht und den darauf folgenden rang Simone Spada auch zwischen Leben und Tod, damals rief er im Fieberwahnsinn ebenfalls den Namen, der jetzt wieder gell das alte Haus zu Osnabrück durchklang. Auch damals saß Benedikt Meyenberger neben dem Lager des Verwundeten und errettete ihn.

      Der deutsche Meister sollte auch dieses Mal den Tod durch seine Kunst und seine Liebe zu dem Kranken besiegen, aber erst nach langen, langen, schweren, schmerzvollen Wochen!

      Zehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      zeigt klärlich, weshalb der Reichspostmeister, Herr Leonhard von Taxis, Bankrott machen mußte.

      Stromabwärts fuhr der italienische Arzt Simone Spada; stromaufwärts fährt jetzt der Erzähler selbst und führt seine Zuhörer mit sich gen Holzminden auf dem bunten Zauberschifflein, welches ihm Frau Phantasia, seine Schutzpatronin, mit viel lieblichen Lehren und anmutigen Ermahnungen anvertraut hat. Hoiho, es ist ein lustiges Schifflein, wohl ausstaffiert mit Blumengewinden, goldenen und silbernen Zieraten und seidenen Segeln und Wimpeln. Hoiho, wohl ist der Wind gut, wohl spielt er schmeichelnd mit den Blumen, Wimpeln und Segeln; aber das Herz des Mannes am Steuer ist schwer –

      Kein stilles Fleckchen,

       Krieg drinnen und draußen!

       Kein dunkel Eckchen,

       Qual innen und außen!

       In Flammen die Welt!

       In Flammen das Herz!

       Was soll doch werden

       Aus all dem Schmerz?

       Was soll das werden,

       O arme Erden?

       Was soll das geben,

       O wildes Leben?

      Hoiho, hoiho, es rauschen die Wellen, sie hüpfen und glitzern im Sonnenschein, und das Schifflein schwebt fröhlich auf der unendlichen Tiefe; – dreimal verwünscht der Narr, der, wenn die Sirenen vom Zaubereiland ihren Herz und Sinn betörenden Gesang anstimmen, sich die Ohren mit Wachs verstopft und den unsterblichen Göttern Dank sagt für die Klugheit, welche sie ihm verliehen haben! Auch die unsterblichen Götter lächeln spöttisch herab aus ihrer seligen Höhe auf den Toren, und Aphrodite, die Goldbandlenkerin, hebt lachend den Eros in die Höhe, daß der Kleine über die Köpfe des erwachsenen Olymps weg den Narren drunten auch zu Gesicht bekomme.

      Bis in den Anfang seiner Mär greift der Erzähler zurück und schlägt von neuem eine Saite an, welche scheinbar mit den Waldhörnern des Grafen von Pyrmont verklungen war, als dieser am fünfundzwanzigsten März von Corvey her an dem katholischen Dörflein Stahle vorüberschiffte.

      Ach, schon ist gesagt worden, daß kein frommer Wettersegen, kein heißes Gebet, keine strengen Fasten die Flammen, welche über dem Herzen des Bruders Festus zusammenschlugen, sänftigen konnten. Schon ist gesagt, daß für den armen Festus im Himmel und auf Erden niemand war, dem er seine große Not klagen durfte. Tief, tief mußte der Vikarius die heiße Wonne und Qual in sich verschließen.

      Er rang sich freilich die Hände wund und zerbiß sich die Lippen und weinte in seinem Kämmerlein bittere, blutige Tränen ob seiner sündhaften Liebe zu dem Ketzerkinde mit den sanften, blauen Augen und den goldblonden Locken drüben am rechten Ufer des Stromes; aber was half das alles?

      Und die Tage gingen vorüber sonnig und hell; aber dem Bruder Festus vermehrte ein jeder nur die Last des Herzens. Der große Komet sank hinter dem Horizont hinab und erschien nicht wieder im Reigen der mildern Sterne. Die Bäume grünten und blühten, es grünte und blühte Wiese und Feld hüben und drüben den Fluß entlang. Mit Sankt Gertraudentag waren die Störche ins Land eingezogen, jedoch nur vereinzelt, als hätte das kluge Volk es vorher gewußt, wie rar die Frösche und das übrige feuchte Gewürm in diesem Jahre werden würde, als hätte es ein Vorgefühl der großen Dürre, welche der Sommer bringen sollte, gehabt.

      Weder am arbeitsvollen Tage noch in der Nacht, wenn alles Menschenhandwerk schweigt und nur die Natur ihr geheimnisvollstes Wirken beginnt, fand der Vikar Festus Ruhe.

      Und sie wußte nichts davon!

      Drüben ging sie in ihrer Lieblichkeit unter ihren Blumen, und der Bruder Festus sah ihr weißes Gewand schimmern auf der Mauer des lutherischen Pfarrgartens, wenn sie sehnend an die Brüstung gelehnt stand und den Wolken, Vögeln und Schmetterlingen in der blauen Luft nachschaute, in ihrem kindlichen Herzen ihnen Grüße mitgab an jemand jenseits der Berge und dazu das alte Lied, welches von solchem Tun handelt, summte.

      Wenn dann die Stimme des alten Chrysostomus erklang, des uralten Chrysostomus, welcher nun fast hundert Lebensjahre zählte und immer hier in der Stille gelebt und niemals etwas von solcher Pein, wie sie das Herz des Vikars verzehrte, geahnet hatte: o, so fuhr der Bruder Festus wirr empor, und fremd deuchte ihm alles ringsumher, und fast irr wurde er an der Welt und an sich selber.

      So kam der heiße, glühende, wasserlose Sommer heran. Allgemach sog die Sonne die letzte Feuchtigkeit und Kühle, die noch im Schoße der Erde sich barg, auf, und der Boden fing an, vor Durst sich zu öffnen in lauter klaffenden Ritzen und Spalten. In Jammer und Elend sollten alle lieblichen Verheißungen des Frühlings sich auflösen; keine einzige von allen Hoffnungen, welche er den Menschen gemacht hatte, sollte erfüllt werden. Schon fing die verzehrende Glut des Kometenjahres an, alles Lebendige niederzudrücken und krank zu machen.

      Nun schlief der greise Chrysostomus gleich den kleinen Kindern seiner Gemeinde fast den ganzen Tag und lächelte dabei im Schlafe so geheimnisvoll friedlich, daß sein junger Vikarius, wenn er mit dem Meßbüchlein auf den Knieen neben ihm saß und ihm die Fliegen abwehrte, ihn seufzend recht beneidete um dieses stille Hinüberdämmern in den ewigen Schlaf des Todes.

      Es war nicht möglich, daß dieses alte, nunmehr so befriedete Herz auch einmal einen solchen Kampf gekämpft hatte, wie der Bruder Festus jetzt ihn kämpfte.

      Der Bruder Festus war auch fest überzeugt, daß solches unmöglich sei: er, er allein war zu solchem Geschick aufgehoben, ihm, ihm allein unter allen gewesenen und kommenden Geschlechtern der Menschen war es also bestimmt. Unwiderstehlich trieb ihn dieser Gedanke jedesmal ins Freie, leise hob er sich von seinem Schemel neben dem Bett des Alten und schritt auf den Zehen aus


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