Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.kühner Tat der Helden,
Bis einmal ich vernommen,
Der Winter sei gekommen.
Da schaut ich auf mit Grauen:
Kein Grün war mehr zu schauen,
Kein Vogel sang im Walde,
Der Wind ging über die Halde.
Mein Haupt, einst braungelocket,
Das war nun weiß beflocket;
Vom Rosse mußt ich steigen,
Das Haupt zur Erde neigen.
Wie war mein Herz so traurig!
Wie war die Welt so schaurig!
Die Harfe tu ich schlagen,
Mein Lied davon zu sagen!
Die Welt muß ich durchziehen
Mit müdem Fuß und Knieen!«
Das Schreiben aber, welches die Monika in den Händen hielt und welches den Eindruck auf den unbefangenen Beschauer machte, als habe es ein halbes Jahr auf einem Taubenschlage gelegen und als sei darauf ein Volk Rebhühner durcheinander mit schmutzigen Pfoten darüber – weggelaufen, lautete folgendermaßen:
»Herzallerliebstes Lieb!
Lustig und guter Dinge bin ich und verhoffe, daß Du es auch seiest und Dir nichts aufmutzen lassest. Mein Bot, der Wichtelkaspar, hat mir heilig und teuer versprochen, dies Briefelein richtig zu bestellen an meinen Schatz zu Holzminden, allwo die Weser herfließet beim Pfarrgarten. Nun will ich Dir mein Herz ausschütten, und voll ist es bis zum Überlaufen. Ich bin jetzo ein Reiter worden, wie es mir bestimmt war, und trage Schwert, Lederkoller, Brustharnisch und Sturmhaub, und ein scheckicht Rößlein hat mir mein Herr, der Graf, nach seinem Wort auch gegeben. Ich will Dir sagen, Lieb, es ging mir zuerst doch schwer an und war mir schier zumute wie dem Bauernjung, so zum allerersten Meerrettich zu essen kriegte und schrie: Grüßet Vater und Mutter, ich muß sterben! – Aber nun weiß ich schon lang, daß man den Gaul nicht beim Schwanz aufzäumet, und habe mich in alles gefunden. Mit Güte kommet man nicht durch die Welt, das hab ich mir wohl gleich gedacht, aber nun hab ich es auch handgreiflich erfahren.
Ich schreibe dieses allhier in der Wachtstub auf Schloß Pyremunt, und all mein Gesellen gaffen mit offenen Mäulern und großem Wunder ob dem Reitersmann, der so gut die Feder führen kann. – Dein Herr Vater, mein Lieb, hat den besten Ruhm davon! Der Drommeter hält mir das Dintenfaß, so mir der Schloßpfaffe geliehen hat, und glotzet wie ein Erpel. Ihrer sechs schauen mir auch über die Schulter; aber ich mag sie dreist schauen lassen, sie lesen mir keine Heimlichkeiten ab. Es ist mit ihnen, als ob der Esel ins Meßbuch gucke. Mein Herr Grave und meine gnädigen Herrschaften die Frölen halten mich gut und wohl; ich weiß auch wohl Bescheid jetzo mit der Falkenjagd. Herzallerliebster Schatz, viel tausendmal grüße ich Dich, und wärest Du und Dein rotes Mündelein bei mir, ich wär der glückseligst Mensch, so Gottes Erdboden trüge. Aber es soll ja nicht sein, woran bloß der Herr Vater schuld ist, der weiß gar nicht, was für eine Sünde er tut an uns zwei beiden. Verzeih mir, lieber Schatz! – aber bei Gott, wenn ich mit meinem Herrn Grafen auf der Jagd bin und der Reiher sich hebet aus dem Geröhricht und der Falk ihm nachschießt von der Faust, so ist es mir alleweg, als sei ich der kühne Falk und als sei der Reiher das höchste Glück, so ich erfliegen möcht und müßt, um es zu erfassen hoch oben in der blauen Luft und es zu den Füßen zu legen der kleinen Monika Fichtner in Holzminden an der Weser! Ich denk auch oft daran, was Ihr wohl macht hinter den blauen Bergen – zuerst Du, dann der böse Vater, dann die andern, welche ich auslache, der Herr Bürgermeister, der mich nicht wieder zu den Ratten in den Turm sperren soll, und die Bürger und die Weiber und die Kinder und die Buben. An die Mädchen denk ich gar nicht oder nur an eine, an welche dieser Brief kommt. An die Monika denke ich des Morgens und des Abends, auch in der stillen Nacht, wann alle andern schlafen und ich die Wacht halten muß.
Wir haben hier einen künstlichen Mann – er bringet Dir, allerliebster Schatz, dieses Briefelein – der ist mit dem Kaiser Carolo dem Fünften im heißen Afrika gewesen, wo alle Leute ganz schwarz gebrannt werden von der Sonne, was allhier auch wohl bald kommen wird, wenn der liebe Gott nicht ein Einsehen tut. Dieser künstliche Mann hat mich gelehret, ein künstlich Gesätz zu machen, und nun mach ich alleweg Reime auf den Namen Monika, als:
Sie ist nicht da!
Ach, wär sie da!
Wann ich sie sah!
Wär ich ihr nah!
und so fort. Aber ich kann noch keinen aufschreiben, weilen ich allemal gleich fertig bin. Liebes Lieb, behalte mich fest und treu eingeschlossen in Deinem Herzen! Es ist mir hier in der Ferne immer, als müßtest du immer schöner werden. Vergiß mich nicht und gedenk, wenn ich auch wollt, ich könnt doch nimmer dein vergessen. Wenn doch nur Krieg werden und mein Herr Graf mit ausreiten wollt! Gold, Silber, Edelgestein und alle Schätze wollt ich für die Monika erreiten. Da sollt der Vater wohl große Augen machen über den Klaus, den Nichtsnutz, wenn er käme auf stolzem Roß und hinter ihm hätte einen langen Schwanz von Knappen und Knaben, in Sammet und Seide angetan. Und zwei kohlrabenpechschwarze Mohren, wie die Frau Kurfürstin von Brandenburg allhier einen mit hergebracht hat, müßten dabei sein und müßten mit ihnen führen einen weißen Zelter vor die Pfarre zu Holzminden. Und dann würde ich sprechen: Herr Pastore, grüß Euch Gott und guten Tag und – wie nun? Hier ist nun der Lump, der Taugenichts, der Bösewicht, der Windbeutel, der Eckenbrecher, der Klaus; wollt Ihr ihm nun Euer Töchterlein mitgeben in Güte? – Hei, allerliebstes Lieb, wir wollten den Alten schon herumkriegen! Musikanten – Flöten und Pfeifen, Posaunen und Pauken hätt’ ich mitgebracht, und darzu hinge der ganze Himmel voll Geigen. Und Flöten, Pfeifen, Posaunen und Pauken, die spielten uns allgesamt zu einem Reigen um und durch die ganze Stadt und zuletzt in die Kirche. Da traut uns der Vater selbst, und Bier und Wein sollt auf dem Markt fließen allem Volk, als ob der römische Kaiser gekrönet würde in des Reiches Stadt Frankfurt am Mainstrom. Und der Bürgermeister Uhlenhut und der Ratsdiener Schöppelmann, die sollten mir die Schleppe tragen, das stehet baumfest.
Ach, ist das nicht alles eitel Träumerei und Torheit? Aber mir ist’s doch, als sollt und müßt es einst Wahrheit werden. Und warum auch nicht? Seltsamere Geschichten haben sich zugetragen, wie in den alten Historienbüchen sattsam zu lesen ist.
Hier ist noch immerfort ein groß Getös und Tumultus und wird noch alleweil stärker von wegen dem heiligen Born. Fürsten und Volk drängen sich, daß man fast bange wird ob der gewaltigen Menschheit und einem der Kopf schwindelt. Viel Kranke sind gesund worden durch die Kraft des guten Wassers und haben ihre Krücken oder Abbildungen ihrer bösen Gliedmaßen aufgehänget an der großen Brunnenlinde. Aber es ist auch ein alt Weib gehänget, so viel Giftwerk getrieben hat und mit gestoßenem, venedischem Scheibenglas die Leute vergeben hat; doch die Schlimmsten laufen noch frank und frei herum. Ich trinke das heilige Wasser auch, obgleich ich ganz heil und gesund bin, aber vielleicht hilft es für künftige Tage, und Vorsicht zieret den Mann. Wohl wünschte ich Euch her einmal, um das Treiben und Wesen allhier zu sehen. Ich hab hier hochgelahrte Bekanntschaften gemacht, wobei dem Herrn Vater das Herz im Leibe hüpfen würde – der Herr Rektore Huddäus aus Minden lasset ihn fein grüßen – bin aber selbst doch nicht gelahrter dadurch worden. – Es gehet allzu seltsam hier zu! Einen blinden Teufelsbanner, den das Volk Simon den Zauberer nennt, haben wir jetzt auch hier; der treibt mit Macht die bösen Geister, Teufel und Gespenster aus, vorzüglich aus den Weibern, als worinnen die meisten stecken, wie man saget. Die Geister reden leibhaftig aus den Besessenen, daß einem die Haare zu Berge stehen, und der blinde Teufelsbanner krähet wie ein Hahne und brüllet und schreiet greulich, daß es erschrecklich zu hören und zu sehen ist. Es kamen auch zwei schöne Dirnen zu dem heiligen Born, die auch mit dem Teufel besessen waren. Aus der einen trieb der blinde Simon den bösen Feind sogleich fort, und hat sich aus Dankbarkeit die Erlösete dem Zauberer mit Leib und Seel ergeben und folgt ihm auf Schritt und Tritt gleich einem Hündlein. In der andern, der schönsten Dirne, aber stecket noch der unsaubere Geist und will nicht weichen – die Dirne aber wohnet auf dem Schlosse zu aller Leute Bedenken; denn seit sie da ist, ist unser Herr Grafe gar nicht mehr wie sonst. Die Leute flüstern und schwatzen, auch meinem gnädigen Herrn sei es nun angetan, und ein fremdländischer