Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

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Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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      Vergeblich.

      Selbst der kurze Weg aus dem Schatten des Pfarrhauses zu dem Schatten der Dorfkirche war gleich einem Gange durchs Fegefeuer. Vergebens suchte der Vikarius Erquickung – Kühlung in dem kleinen, heiligen Gebäude, vergebens warf er sich vor dem Altar mit dem Bilde der schmerzenreichen Mutter Gottes nieder und drückte die brennende Stirn auf die Stufen des Altars. Auch hier erzitterte die überheiße Luft, auch hieher verfolgte ihn die flammende Herzensqual.

      Es starben aber an den bösen Krankheiten, welche die große Hitze erzeugte, viel Leute im Dorf – alt und jung. Und wenn die Gräber gegraben wurden, so konnte man schaufeln, so tief man wollte in den Grund, trocken und dürr war er, und keine feuchte Scholle warf der Spaten des Totengräbers empor. Bis unter die Grabhügel verfolgte die glühende Sonne die Gestorbenen. Auch in den umliegenden einzelnen Häusern und Gehöften der Pfarrgemeinde starben viele Leute; da mußte der Vikarius das Viatikum durch die versengten, dürstenden, trauernden Felder tragen zu den Hütten voll Not und Jammer und dumpfbrütender Verzweiflung.

      Um die verdorrten Büsche und Gesträuche flimmerte die kochende Luft, der Knabe, welcher dem Heiligtum voranschritt, vermochte kaum das Glöcklein zu rühren. Mit geheimem Grauen trug der Bruder Festus den Leib des Herrn; denn immerdar schwebte ihm auf seinem Wege das Bildnis der Monika voran. Was half es ihm, daß er die Augen schloß? Das Bildnis war darum nur heller und verlockender in seiner Seele – kaum hielt er die Monstranz in den zitternden Händen.

      Im Juli versiegte der Weserstrom so sehr, daß man schier trockenen Fußes hindurch schreiten konnte. Die Fische starben, die Muscheltiere und die andern Geschöpfe der Feuchte verwesten auf dem Sande, von welchem sich die gelben Fluten zurückgezogen hatten. Längst war alles Gras und alles Getreide und alle Früchte der Bäume verlorengegangen: alle Kreatur ängstigte sich, und ein Schrecken kam über das Volk, als sei der jüngste Tag, wo diese Welt durch Feuer untergehen soll, vor der Tür.

      Nicht genug können die Chronisten schreiben von diesem erschrecklichen Sommer des Jahres eintausendfünfhundertundsechsundfünfzig, der da folgte auf das Erscheinen des warnenden Boten Gottes, auf den großen Kometen!

      Und ein jeglicher hielt solche Hitze erst für den Anfang der Schrecknisse, welche noch kommen sollten. –

      Auch die holde Monika im Pfarrhause zu Holzminden trug in dem armen Herzchen ihren Teil an der allgemeinen Not und Sorge. Wohl ist das Schloß Pyrmont nur einen Katzensprung von Holzminden gelegen und das Städtlein in wenigen Stunden zu erreichen auf gutem Gaul; aber dessenungeachtet hatte die Jungfrau den Geliebten nicht wiedergesehen seit seiner Abfahrt mit Herrn Philipp von Spiegelberg. Die Wege waren zu damaliger Zeit weniger gut, weniger kurz, weniger sicher als heutzutage. Doch das hätte den Klaus freilich nicht abgehalten, vom heiligen Born herüberzureiten zu einem Zwiegespräch an der Mauer des Pastorengartens; zweierlei anderes legte sich ihm in den Pfad und hinderte ihn, zu kommen und seinem Schatz das sorgende Herzelein zu erleichtern. Das war erstens das Getümmel am heiligen Born, in welchem alle Dienstmannen des Grafen Philipp nötig waren zum Ordnunghalten. Das war zweitens der Wunsch des Knaben, vor dem Pastor Valentin Fichtner nicht bloß als ein armer, einfacher Reitersmann zu erscheinen, sondern mit Ehren bedeckt und mit Reichtümern beladen, wie es ihm einst seine Phantasie vormalte, wie er es an jenem denkwürdigen Abend so kühnlich sich und dem ehrwürdigen Herrn versprochen. Also sind nun die Männer oftmalen beschaffen, daß sie den Frauen lieber das gewonnene Glück demütig zu Füßen legen, als daß sie dieselben an dem Schwanken zwischen Hoffnung und Täuschung, zwischen Triumph und Entmutigung teilnehmen lassen. Wer aber weiß, ob die Frauen doch nicht lieber das letztere wünschen mögen, ob sie nicht lieber mit leiden und sich freuen möchten, bis das höchste Ziel erreicht ist?

      Nun aber glaubt der Erzähler in schönen Augen die Frage zu lesen: »Warum schrieb denn der Knabe Klaus wenigstens nicht, da er selbst nicht kommen konnte und mochte?«

      Und der Erzähler antwortet: Ei, schöne Augen, wohl schrieb der Klaus, aber die Briefbeförderung der damaligen Zeit war äußerst mangelhaft, und viel leichter war es, durch Vermittlung eines Kaufherrn ein Schreiben nach Venedig, Konstantinopel, Smyrna oder Paris gelangen zu lassen, als eine Korrespondenz zwischen dem Städtlein Holzminden und dem Schloß Pyrmont zu führen! Einen Reichspostmeister gab es freilich wohl in der Person Leonhards von Taxis; aber dieser arme Herr war dem Bankrott so nahe als möglich und hatte auch nicht lange vorher seinen Klagebrief über die Privatboten und Metzgerposten an Kaiserliche Majestät abgehen lassen. Wie konnte der Reichspostmeister bestehen und zu seinem Gelde kommen, wenn solch unberufen Gesindel, als da sind: lahme Botenfrauen, Fleischerburschen, Hausierer, Bettler den Briefwechsel der Ratfordernden, der Ratgebenden und der Verliebten deutscher Nation besorgten?

      Schönste Leserin, auch der Spiegelbergsche Reitersmann Klaus Eckenbrecher und Jungfräulein Monika Fichtner trugen ihr Teil zum Ruin des Reichspostmeisters bei, und auch auf sie war Herr Leonhards von Taxis Klagebrief an Kaiserliche Majestät mit gemünzt. Jedoch nur ein einziges Mal konnte Klaus Eckenbrecher seinem Schatz Nachricht über sein Verbleiben geben, und es geschah dieses durch Hülfe einer Persönlichkeit, deren Bekanntschaft wir bereits gemacht haben.

      Die Metzger-oder Hausierer-Post zu benutzen fand der Klaus keine Gelegenheit; er bediente sich deshalb der Bettlerpost, und Kaspar Wicht der Sänger und Fiedelmann war der Liebesbote, welcher wochenlang – fast den ganzen Juli hindurch – in seinem Schnappsack neben allerlei andern kuriosen Dingen ein zerknittertes Schreiben mit sich herumtrug auf seinen Fahrten, bis die Gelegenheit günstig war und er es abliefern konnte an die Adresse, die kleine Monika im Pastorenhaus zu Holzminden.

      Und die Gelegenheit kam!

      Gegen Ende des Juli neigte sich wieder einmal ein Tag, an welchem sich nur die Katzen und die Machandelbäume wohlgefühlt hatten, zum Abend; die Natur brätelte in die Dämmerung und die erquickungslose Nacht hinein. Weder auf den Feldern noch auf den Wegen noch auf den Straßen der Stadt Holzminden ließ sich ein lebendes Wesen blicken, und alles in den Häusern hatte einen solchen Anschein von Trostlosigkeit und dumpfem Hinbrüten, daß der Ton einer Geige, welcher sich, als die Sonne eben wie eine weißglühende Kugel auf den westlichen Bergen lag, dem Städtlein näherte, gleich einer schneidenden Satire auf alle Menschenheiterkeit klang.

      Jetzt hielt der fahrende Spielmann vor der Tür des Pastorenhauses und störte durch seine unzeitgemäße Tanzweise den Pastor Fichtner in tiefem Nachdenken und schmerzlichen Betrachtungen über die heiße Strafe, welche Gott verhängt hatte über die sündige Welt. Seufzend und kopfschüttelnd ließ Ehrn Valentin dem leichtsinnigen Spielmann sagen durch die Monika, er – der Geiger – möge schweigen und ihn – den Pastor – nicht ärgern mit seinem Gefiedel.

      Die Monika richtete als eine gehorsame Tochter die Botschaft aus, brachte aber zugleich dem Bettler einen Krug kühlen Landbiers, wofür zum Dank der Wichtelkaspar seinen Ranzen öffnete und mit grinsendem Lächeln das allmählich ziemlich unansehnlich gewordene Brieflein Eckenbrechers dem freudig aufschreienden Kinde übergab.

      Nun wäre das ein gar hübsches Bild geworden, wenn ein Maler den fahrenden Mann, das Jungfräulein und die Küche des Pastorenhauses abkonterfeit hätte. Da saß nun am schwarzen Herde auf einem Hackblock der Geiger, trank in kleinen Zügen sein Bier und warf listige Blicke über den Rand des Irdenen Kruges. Zu seinen Füßen lag mit wedelndem Schwanz und hervorhängender Zunge sein häßlicher Hund und blickte wie bittend zu dem jungen Mädchen empor, welches ihn aber fürs erste noch nicht berücksichtigte.

      War es nur der Schein des Herdfeuers in der dunklen Küche, welcher das Gesicht der Maid so erglühen machte? Ach nein, in den zitternden Händen hielt sie das zerknitterte Blättlein, welches ihr der Liebste geschickt hatte, und zwischen Weinen und Lachen buchstabierte sie die unkalligraphischen Schriftzüge, welche es bedeckten.

      Das Feuer knatterte und prasselte dazu, der Topf mit der Abendsuppe schien philosophische Betrachtungen in seinem schwarzen Bauche darüber anzustellen, und der Spielmann sang dazwischen leise ein altes Lied, welches ihm sehr passend erscheinen mochte für diese Gelegenheit:

      »In schönen Frühlingstagen

       Hat hoch mein Herz geschlagen;

       Die Welt hab ich durchritten,

      


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