Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher

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Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman - Toni Waidacher


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Dorf, schaute hier und da, erkannte Altes wieder und machte Veränderungen aus. Es hatte sich schon einiges getan in den zehn Jahren seiner Abwesenheit. Doch die Veränderungen waren meist positiv, wie er feststellen konnte.

      Langsam führte ihn sein Weg aus St. Johann hinaus, über weite Wiesen, an Felder vorbei. Allmählich ging es bergan, erst nur eine leichte Steigung, dann immer steiler. Schließlich stand er auf einer Almwiese und blickte hinunter ins Tal, wo das Dorf lag. Ohne es wirklich zu merken, hatte Thomas Burger den Weg zum Höllenbruch genommen, einem Bergwald, unterhalb der Hohen Riest. Hier hatten sie als Buben oft herumgetobt, oder Beeren und Pilze gesammelt. Und später, als das Herumtoben nicht mehr so interessant gewesen war, da war der Höllenbruch oftmals Zeuge erster, scheuer Küsse gewesen.

      Thomas vermochte nicht mehr zu sagen, wie oft er hier mit Andrea entlang spaziert war. Versonnen setzte er sich auf einen Felsbrocken am Wegesrand und ließ in Gedanken die alte Zeit wieder auferstehen.

      Früher hatte er gelacht, wenn die Erwachsenen den Kindern sagten, sie würden sich später einmal nach ihrer Kindheit zurücksehnen. Nun, er sehnte sich nicht unbedingt danach zurück, aber schön war sie doch gewesen, diese Zeit.

      *

      Andrea Hofer lief im Wohnzimmer unruhig auf und ab. Sie war alleine auf dem Burgerhof, ihre Eltern, der Bruder Lukas und die Knechte und Mägde waren unten im Dorf zum Kirchgang. Obwohl sie kaum einen Gottesdienst versäumte, hatte Andrea heute eine Ausrede gebraucht, um nicht mitgehen zu müssen.

      Bestimmt würde er auch in der Kirche sein, und genau das wollte das Madel nicht – den so lange Entbehrten vor aller Augen begrüßen zu müssen.

      Sie machte sich seit der letzten Nacht Gedanken, wie sie ihm überhaupt gegenübertreten sollte, wenn es denn soweit war. Seit sie von Thomas’ Rückkehr gehört hatte, war ihr ganzes Leben durcheinander geraten. So stark wie nie zuvor, spürte sie, daß sie ihn immer noch liebte.

      Und wie würde es bei ihm sein? Andrea gab sich keinen Illusionen hin. Zehn Jahre waren eine lange Zeit, und Thomas war ein Mann, der sich nicht verstecken mußte. Bestimmt gab es mehr, als nur eine Verehrerin. Nein, sie glaubte nicht, daß er sie noch liebte. Sie wäre schon froh, wenn er sich überhaupt an sie erinnerte.

      Seit der letzten Nacht stiegen auch immer wieder die Erinnerungen an die Zeit auf, die sie zusammen verbracht hatten. Sie sah sich wieder, zusammen mit ihm, durch den Höllenbruch spazieren, oder die Hohe Riest hinaufwandern.

      Wie lange war sie schon nicht mehr dort gewesen!

      Einer plötzlichen Eingebung folgend, nahm Andrea ihre Jacke vom Haken und schlüpfte in ihre festen Schuhe. Was konnte sie besseres tun, als an solch einem Tag voll von Erinnerungen, die Stätte ihrer Jugend wieder aufzusuchen, an der sie so glücklich gewesen war?

      Eilig lief sie aus dem Haus. Die Sonntagsmesse war seit einer halben Stunde beendet, und schon bald würden die anderen aus der Kirche zurück sein. Andrea wollte es vermeiden, ihrer Mutter dann langatmige Erklärungen abgeben zu müssen.

      Sie wanderte den Pfad hinterm Hof entlang, lief dann über die Weide, auf der die Kühe grasten und erreichte den Rand des Bergwaldes. Zu Hause würde man sie wahrscheinlich suchen und nach ihr rufen, doch hier vermutete sie bestimmt niemand.

      Sie schmunzelte. Es war beinahe so wie früher, wenn sie sich heimlich fortstahl, um Thomas zu treffen, anstatt irgendwelche Arbeiten zu erledigen, die die Mutter ihr aufgetragen hatte. Ihr war es dann stets gelungen, den gutmütigen Bruder zu überreden, diese Aufgaben zu übernehmen.

      Langsam schlenderte sie weiter, die Anhöhe hinauf, von wo man einen weiten Blick über das Tal hatte. Unten lag St. Johann in der sonntäglichen Mittagsruhe, und von drüben winkten die weißen Spitzen des Zwillingsgipfels, die Wintermaid und der Himmelsspitz. Andrea erinnerte sich, oft mit Thomas hiergewesen zu sein. Zuletzt am Tag vor seiner Abreise. Sie blieb einen Moment stehen. Ewige Liebe hatten sie sich geschworen, und bittere Tränen hatte sie vergossen, als sie, in der Kreisstadt, auf dem Bahnsteig stand und dem Zug hinterherwinkte, der ihn nach München brachte.

      Andrea ließ ihren Blick schweifen, schaute vom Tal hinüber zu den schneebedeckten Gipfeln und wieder zurück, hinauf zur Almwiese, von wo aus ein Weg auf die Jenner- und die Korber-Alm führte.

      Und dann glaubte sie für einen Moment, ihr Herzschlag setzte aus. Mit weit aufgerissenen Augen starrte das Madel auf die Gestalt, die da, etwas oberhalb von ihr, auf einem Felsbrocken saß und vor sich hinträumte.

      Noch einmal schaute sie. Nein, es war kein Irrtum – dort saß niemand anderer als Thomas Burger!

      Ihr Herz hämmerte vor Aufregung in der Brust. Sie spürte den Schlag bis zum Hals hinauf, als sie emporstieg. Beinahe hastig zuerst, dann bremste sie ihren Schritt.

      War es wirklich Zufall, daß er jetzt hier saß? Oder hatte er die selben Empfindungen wie sie verspürt? Noch hatte Thomas sie nicht bemerkt. Erst als sie wenige Schritte von ihm entfernt stehenblieb, sah er auf.

      »Hallo, Thomas«, sagte sie mit bebender Stimme. »Pfüat di’.«

      Seine Miene erhellte sich, als er sie erkannte. Der junge Pianist stand auf und eilte ihr entgegen.

      »Andrea. Das ist aber eine Überraschung, grüß’ dich.«

      »Ich hoff’, keine unangenehme…«

      Er hielt sie an beiden Händen.

      »Ach geh’. Was redest denn daher?«

      Thomas drehte sie hin und her.

      »Laß dich anschau’n, Madel. Gut schaust aus. Ich hab’ schon befürchtet, du sei’st krank. In der Kirch’ hab’ ich dich nämlich net gesehen.«

      »Heut’ morgen ging’s net ganz so gut«, wich sie aus. »Jetzt ist’s schon wieder besser.«

      »Himmel freu’ ich mich, dich wiederzusehen. Hast’ ein bissel Zeit? Es gibt doch soviel zu bereden, nach all den Jahren.«

      Plötzlich stutzte er.

      »Oder hast am Ende gar eine Verabredung hier oben?« fragte er.

      Andrea schmunzelte und schüttelte den Kopf.

      »Du meinst, weil wir hier früher…? Nein, ich hab’ keine Verabredung.«

      »Na, da bin ich aber froh. Ich möcht’ nämlich net mit einem eifersüchtigen Bräutigam aneinandergeraten.«

      »Da kann ich dich beruhigen. Es gibt keinen Bräutigam. Net einmal einen Freund.«

      Etwas in ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen. Hatte er etwas Falsches gesagt?

      »Ich wollt’ dich net kränken«, sagte er entschuldigend. »Es ist nur weil… ich hab’ gehört, daß der Hochanger-Franz…«

      »Ach der.«

      Andrea machte eine wegwerfende Handbewegung und hakte sich bei ihm ein.

      »Was der sich einbildet. Komm, wir gehen ein Stückerl spazieren. So wie früher.«

      *

      Sie hatten so viel zu bereden. Mit tausend Fragen stürmte Andrea auf ihn ein. Und immer unausgesprochen dabei: die einzig entscheidende Frage überhaupt – ob er sie auch immer noch liebe…

      Von der Seite her schaute sie ihn verstohlen an. Gut sah er aus, äußerlich kaum verändert, abgesehen davon, daß er natürlich älter geworden war, irgendwie reifer und männlicher.

      Fasziniert lauschte sie seinen Worten, als er berichtete, wie es ihm in all den Jahren ergangen war, als er von seinem Studium erzählte, der mit Glanz bestandenen Abschlußprüfung und den ersten Erfolgen als Solist. Dabei immer gefördert von seinem Lehrer und Mentor, Professor Meyerbrink. Der war es auch, der den Kontakt zu Alberto Moreno geknüpft hatte, der schon einige namhafte Künstler aus dem Bereich der klassischen Musik unter Vertrag hatte. Der Italiener, ein alter Hase in dem Geschäft, mit Musik im Blut, nahm den jungen Absolventen des Münchener Konservatoriums unter seine Fittiche, und von da an war es mit Thomas’ Karriere steil vorangegangen.


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