Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
Читать онлайн книгу.schienen. Heute weiß ich, wie wahr Ihre Worte von damals auch heute noch sind. Ich ging fort und machte Karriere. An das kleine Dorf in den Bergen dachte ich selten. Eigentlich nur dann, wenn meine Buchhaltung die Rechnungen für die Pflege des Grabes meiner Eltern überweisen mußte.« Maria Devei hielt kurz inne, wie von Erinnerungen angeweht.
»Gewiß, es quälte mich schon, daß ich net hier war, um es selber zu pflegen. Aber da waren Termine und Verträge, die es galt, einzuhalten, und irgendwie beruhigte ich mein schlechtes Gewissen dadurch, daß ich ja dafür bezahlte, damit sich jemand um das Grab kümmert. Inzwischen weiß ich, daß man mit Geld net alles kaufen kann. Gesundheit schon gar net.«
Pfarrer Trenker hatte wortlos zugehört. Das Geständnis seines einstigen Pfarrkindes erschütterte ihn.
»Maria, was immer ich für Sie tun kann, soll geschehen«, sagte er. »Aber, ich bitt’ Sie von Herzen, geben S’ sich net auf. Für alle Probleme gibt’s eine Lösung.«
Maria Devei seufzte.
»Net für mein’s, Hochwürden, dafür net.«
*
So ganz hatte es sich doch nicht vermeiden lassen, daß die Ankunft der Sängerin in St. Johann bekannt wurde. Sepp Reisinger hatte zwar gehörig mit seinem Personal geschimpft, nachdem er mehrfach auf Maria Devei angesprochen wurde, aber insgeheim war es ihm schon recht, daß man darüber sprach. So kam er doch noch zu seiner Reklame.
Auch beim abendlichen Stammtisch kam die Sprache auf den prominenten Gast. Man spekulierte über die Gründe der Sängerin, ausgerechnet in St. Johann Urlaub zu machen. Sebastian enthielt sich dabei jeglichen Kommentars. Er wußte es ja besser als jeder andere.
Das Gespräch nahm erst einen anderen Verlauf, als Max Trenker eintraf. Der Gendarm war noch dienstlich unterwegs gewesen.
»Sagt mal, weiß einer von euch, wo der alte Valentin steckt?« fragte der Beamte die anderen.
Außer dem Pfarrer, saßen noch der Bäckermeister, Josef Terzinger, und Bürgermeister Bruckner am Tisch. Sie verneinten.
»Warum fragst?« wollte Sebastian von seinem Bruder wissen.
Maximilian Trenker machte eine ratlose Geste.
»Ich weiß net, was da los ist«, sagte er schließlich. »Vor vier Tagen war ich schon mal d’roben, bei der alten Mühle. Der Valentin hatte mich angerufen und gebeten, daß ich einmal vorbeikomm’. Er hätt’ da ein paar Fragen. Na, gestern bin ich noch mal dagewesen, und heut’ am Nachmittag. Es ist alles verschlossen und verrammelt, und von Valentin keine Spur.«
»Das ist wirklich sehr merkwürdig«, meinte Sebastian.
»Find’ ich net«, mischte sich Markus Bruckner in das Gespräch.
Alle Augen richteten sich auf ihn.
»Ja, wenn ich es recht verstanden hab’, dann ist der Valentin Hoftaler ein reicher Mann«, fuhr der Bügermeister fort.
Damit machte er ein verschmitztes Gesicht.
»Komm schon, Bürgermeister, das mußt’ uns schon näher erklären«, forderte der Pfarrer ihn auf.
»Tja, also, ihr wißt das Neueste ja noch net«, begann der Bruckner-Markus geheimnisvoll. »Die alte Mühle ist verkauft, und Valentin befindet sich bereits auf einer Reise, rund um die Welt.«
Am Stammtisch herrschte atemlose Stille, wie gebannt hingen die Männer an Markus’ Lippen. Selbst Sepp Reisinger kam vom Tresen herüber und lauschte.
Wie der Bürgermeister zu berichten wußte, hatte der Alte die Sägemühle an einen Mann aus München verkauft. Valentin selbst hatte keine Kinder, nur einen Neffen, Sohn seiner verstorbenen Schwester, zu dem ein loser Kontakt bestand. Er wolle mit dem Geld endlich einmal das machen, was er sich seit seiner Kindheit wünschte – die weite Welt kennenlernen.
»Und woher weißt du das alles?« forschte Sebastian Trenker nach.
»Von dem Mann, der ihm die Mühle abgekauft hat. Der war nämlich auf der Gemeinde und hat einen Bauantrag gestellt. Er will aus der alte Sägemühle eine Diskothek machen.«
»Was?«
»Das kann doch net wahr sein!«
»Völlig unmöglich. Ausgerechnet bei uns.«
So, und so ähnlich klangen die Kommentare. Pfarrer Trenker schüttelte ungläubig den Kopf.
»Wer ist denn dieser Herr aus München?« wollte er wissen.
Markus Bruckner wand sich ein wenig.
»Ich weiß net, ob ich das so ohne weiteres sagen darf«, antwortete er ausweichend. »Ich mein’, wegen dem Datenschutz.«
»Unsinn«, fuhr der Geistliche ihn an. »Du weißt doch genau, daß ich gleich morgen früh den Namen auf der Gemeinde erfahren kann. Also?«
»Tja, also, der Mann heißt Otto Hövermann«, gab der Bürgermeister sich geschlagen. »Den Namen habt’s aber net von mir. Warum wollen S’ den denn überhaupt wissen?«
»Damit ich rechtzeitig ’was gegen die dummen Pläne des Herrn Hövermann unternehmen kann«, lautete die entschiedene Antwort des Geistlichen.
*
Pfarrer Trenker war schon bei Sonnenaufgang unterwegs in seinen geliebten Bergen. In den vergangenen Wochen hatte er darauf verzichten müssen. Zum einen, weil es das Wetter nicht zuließ, zum anderen aus wirklichem Zeitmangel.
Worüber allerdings nur seine Haushälterin glücklich war. Sophie Tappert sah es gar nicht gerne, daß Hochwürden in den Bergen ›herumkraxelte‹, wie sie es nannte. Die gute Frau hatte furchtbare Angst, Sebastian könne bei seinen luftigen Ausflügen abstürzen und sich ein Bein brechen, wenn nicht gar Schlimmeres.
Der Geistliche konnte darüber nur schmunzeln. Er war schließlich ein geübter und sicherer Kletterer – Freunde hatten ihm den Spitznamen ›Bergpfarrer‹ gegeben –, der niemals ein Risiko einging. Es gehörte einfach zu seinem Leben. Wenn andere sich mit Dingen beschäftigten, die ihnen Spaß und Freude machten, so war es für Sebastian das Schönste, von irgendeinem Punkt aus die majestätische Schönheit der Bergwelt zu schauen. Hoch oben auf dem Gipfel, dort fand er Ruhe und Zufriedenheit, und nicht selten die Lösung eines Problems.
Das Problem, das Pfarrer Trenker heute allerdings mit sich trug, war vielleicht eines der schwersten, das er je hatte.
Natürlich waren seine Gedanken bei Maria Devei. Seit ihrem gestrigen Besuch dachte Sebastian darüber nach, wie er der jungen Frau helfen konnte. Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie früher gewesen war. Auch an die Eltern dachte er.
Franz Großmayr und seine Familie lebten in einer Hütte auf der Spitzer-Alm. Franz arbeitete hier und da als Knecht, und brachte Frau und Tochter mehr schlecht als recht über die Runden. Elisabeth, Marias Mutter, war oft kränkelnd. Sie flocht Körbe, die sie an Touristen verkaufte. Maria war das einzige Kind der beiden.
Die Hütte – sie müßte eigentlich noch stehen. Oder zumindest das, was der Zahn der Zeit von ihr übrig gelassen hatte. Sebastian nahm sich vor, bei einem seiner nächsten Ausflüge, auf die Alm, dort einmal nachzuschauen.
Doch welche Möglichkeiten gab es, Maria bei ihrem akuten Problem zu helfen? Pfarrer Trenker mochte es nicht einfach hinnehmen, daß die junge, blühende Frau sterben sollte. Ihr Leben begann doch erst!
Sie war auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, eines Tages sollten Mann und Kinder hinzukommen. Das konnte doch nicht einfach so durch die Diagnose eines Arztes fortgewischt werden. Mochte er auch noch so eine Kapazität auf seinem Gebiet sein!
Ob Dr. Wiesinger Rat wußte?
Sebastian schätzte den jungen Arzt, der erst vor kurzer Zeit die Praxis in St. Johann übernommen hatte, sehr. Viele der Dorfbewohner argwöhnten zwar, Toni Wiesinger könne gar kein richtiger Arzt sein, dazu sei er noch viel zu jung. Sebastian hatte sich allerdings mehr als einmal vom Können des Mediziners überzeugt.