Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung. Alfred Bekker
Читать онлайн книгу.hatte. Lorants Finger lösten sich aus ihrer Verkrampfung. Sie zuckten, begannen dann auf der Sessellehne herumzuticken. Ein wirksames Mittel gegen trübe Gedanken. Die Musik wurde lauter, rückte mehr in den Vordergrund. Lorant konnte sich ihrem Sog nicht entziehen. Er wollte es auch gar nicht. Denn, wenn er den Harmonien und Melodieläufen gedanklich folgte, dann war sein Kopf unfähig dazu, sich in der Vergangenheit zu verlieren. Eine wirksame Methode, um einen klaren Verstand zu bekommen, um alles los zu werden, was auf der Seele lastete und Lorant daran hinderte, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.
Auf den Augenblick kommt es an, dachte er.
Die Gegenwart existiert.
Die Vergangenheit ist ein Konstrukt der Erinnerung.
Die Zeit ist eine Illusion des menschlichen Geistes.
Drei Gedanken, die für Lorant so etwas wie einen Rettungsanker darstellen.
Der Augenblick, das waren die Akkorde von BESAME MUCHO. Sonst nichts. Und über diesen Akkorden und dem furchtbar traurigen Thema begann Lorant jetzt zu improvisieren. Seine Finger tanzten über imaginäre Tasten. Sein Gesichtsausdruck wirkte eigenartig entrückt, entspannte sich jetzt sogar etwas.
Die Augen blieben geschlossen.
Lorant war in SEINER Welt.
Einer Welt aus Tönen und Rhythmus.
Wenn es nach ihm gegangen wäre, so hätte er ewig dort bleiben können.
––––––––
5.
"Ma, ich weiß nicht, ob es richtig war, diesen Detektiv zu engagieren!", sagte Rena Sluiter. Sie war eine attraktive Frau, Anfang dreißig, hatte langes, blondes Haar, das sie aufgesteckt trug. Die Jeans und der sehr enge Pullover, den sie trug, zeichneten die geschwungenen Linien ihrer perfekten Figur exakt nach.
Bernhardine Sluiter betrachtete die Attraktivität ihrer Schwiegertochter nicht unbedingt mit Wohlgefallen. Das lag weniger daran, dass sie der Jüngeren die Jugend und Anziehungskraft neidete. Nein, über diesen Punkt war sie schon seit langem hinweg. Es war die Tatsache, dass ihr Sohn Ubbo von Renas Proportionen so fasziniert gewesen war, dass ihm einige wesentliche Aspekte an Renas Charakter völlig entgangen waren.
So zumindest sah Bernhardine Sluiter die Situation.
Sie hielt Rena für kaltherzig und narzisstisch.
Eine egoistische Person, die in Bernhardines Augen keinen Familiensinn kannte und sich bei ihrem Ubbo ins gemachte Nest gesetzt hatte. Friseurin war Rena gewesen, als Ubbo sie kennen gelernt hatte. Dann hatte sie kurz in einer Boutique gejobbt. Sie hatte keinen Sinn für das Geschäft, so wie Bernhardine. Schon deswegen hatte Bernhardine immer gefunden, dass sie nicht die richtige Frau für ihren Ubbo war.
Aber Bernhardine war klug genug gewesen, nicht zu versuchen, Rena ihrem Sohn auszureden. Sie wusste, dass sie gegen Renas Vorzüge letztlich kein Argument hatte. Und ihr Mann Gretus hatte sie wohl auch kaum objektiv betrachten können. Ganz im Gegenteil. Er hatte seiner hübschen Schwiegertochter nichts abschlagen können. Immerhin hatte Bernhardine es geschafft, Renas Einfluss in der Familie einigermaßen klein zu halten. Rena war eine gewisse Durchtriebenheit zu eigen, aber die war glücklicherweise noch nicht gleichbedeutend mit wirklicher Intelligenz. So sah Bernhardine das jedenfalls.
Bernhardine saß ruhig im Sessel, beugte sich etwas vor und goss die Milch in den Tee. Dann wartete sie geduldig ab, bis sich der weiße Fleck verbreiterte und schließlich die gesamte Oberfläche des Tees einnahm.
"Was hast du dagegen, wenn der Tod deines Schwiegervaters gründlich aufgeklärt wird?", fragte Bernhardine.
Ihre Stimme klirrte wie Eis.
Eine dunkle Röte überzog Renas Gesicht.
"Ma, das ist Aufgabe der Polizei!"
"Die hat bis jetzt ihren Job nicht allzu gut gemacht, wie du zugeben musst!"
"Und dieser...dieser..."
"Lorant heißt er."
"Dieser Lorant, meinst du, macht das besser?"
"Mehr als Hauptkommissar Steen kann er auch nicht verbocken, liebes Kind."
LIEBES KIND - das klang aus Bernhardines Mund in diesem Augenblick fast wie Ironie.
Rena war das keineswegs entgangen.
"Wer sollte Pa denn umbringen?"
"Das werden wir ja sehen. Irgendjemand hat es getan. Und ganz gleich, wer es ist oder aus welchem Grund er es getan hat, ich will, dass er der Gerechtigkeit zugeführt wird!"
"Ma! Das will ich doch auch!"
"Hört sich für mich aber nicht so an."
Aus dem Flur waren Kinderstimmen zu hören. Ein schepperndes Geräusch folgte.
Irgendetwas war umgefallen.
Aber Bernhardine Sluiter beschloss, sich darüber nicht zu ärgern. Selbst wenn es die teure Vase auf der Kommode war. Jetzt wollte sie sich darüber einfach nicht aufregen. Das ist der Vorteil, wenn man echte Probleme hat, dachte sie. Man bekommt wieder einen Blick für die Proportionen. Mein Mann ist ermordet worden und das ist im Moment alles, worüber ich mich aufregen werde.
Bernhardine Sluiter atmete tief durch, führte die Teetasse zum Mund und nahm einen Schluck. Sie schluckte mit der Tee/Milch-Mischung auch einen Teil ihres Ärgers über Renas schlecht erzogene Jungs hinunter.
Nicht mal das hat sie richtig hingekriegt!, dachte Bernhardine bitter. Die Sprüche ihrer eigenen Großmutter fielen Bernhardine wieder ein. Sprüche, die davon handelten, dass Schönheit verging, der Charakter aber blieb.
Ubbo hatte auf die Einwände, die Bernhardine damals sehr vorsichtig ihm gegenüber vorgebracht hatte, einfach nicht hören wollen. Jetzt hatte er die Frau, die er verdiente.
Zwei Jungs rannten ins Wohnzimmer hinein. Etwa elf und neun Jahre alt. Der Jüngere trat dem Älteren vor das Schienbein. Dieser scheuerte seinem jüngeren Bruder umgehend eine. Beide schrieen und beschuldigten sich lauthals.
"Dieser verfickte Hurensohn hat meine Pokémon-Karten in die Hundescheiße gesteckt!", rief der Kleinere.
"Ja, und du blöder Wichser, was hast du gemacht? Na sag's schon, du Arsch!"
"Schluss jetzt!", fuhr Bernhardine dazwischen. Sie war aufgesprungen. Die Jungs starrten ihre Oma an. "Ich will keinen Ton mehr hören!" Bernhardine wandte sich an Rena. "Dass du es den Jungs durchgehen lässt, dass sie so reden!"
"Das lernen sie in der Schule!"
"Das lernen sie, weil du es zulässt!"
"Ma, jetzt hör auf, dich in meine Erziehung einzumischen!"
"Von was für einer Erziehung redest du denn?"
"Jedenfalls lasse ich meine Kinder selbstständiger aufwachsen, als du es bei deinem Ubbo getan hast!"
"Ach, ja?"
"Sie sind auf jeden Fall keine Muttersöhnchen, sondern..."
"Mutterficker!", zischte der Kleinere seinem Bruder zu und fletschte dabei die Zähne wie man es eigentlich eher von der Dogge der Sluiters erwartet hätte.
"Ich will so etwas hier nicht mehr hören!", rief Bernhardine.
"Misch dich nicht ein!", rief Rena zurück.
"Ach, aber du darfst dich umgekehrt sehr wohl in meine Sachen einmischen und mir vorschreiben, ob ich einen Detektiv engagiere oder nicht!"
"Mach doch, was du willst, Ma!"
Rena wandte sich ihren Kindern zu, die interessiert dem Streit der beiden Frauen gelauscht hatten. "Wollt ihr jetzt etwas essen?"
"Nee!"