Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung. Alfred Bekker

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Private Ermittler - 2000 Seiten, 16 Krimis in einer Sammlung - Alfred Bekker


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sah an ihr vorbei, blickte zur Uhr.

      „Es ist zehn Uhr zwanzig am Vormittag. Wir haben Dienstag. Ich befinde mich auf meinem Hausboot im Düsseldorfer Hafen, für das ich keinen Namen gefunden habe und das ich deshalb DIE NAMENLOSE genannt habe ...“ Erst murmelte, dann sagte er diese Dinge laut vor sich hin, was Vanessa Karrenbrock natürlich noch mehr verwunderte. Aber für Berringer war das sehr wichtig. Es war eine Technik, die bei posttraumatischen Belastungsstörungen half, wenn der Betreffende einmal wieder durch die Macht der Vergangenheit gefesselt war. Ein kleiner, unscheinbarer Anlass reichte aus, um das Erlebte zu reaktivieren. Dieselbe Temperatur, ein Geräusch, das damals eine Rolle gespielt hatte, ein Wort oder ein Geruch. Der Körper hatte sein eigenes Gedächtnis, und plötzlich befand sich der Betreffende wieder in jener Hölle, die er bereits so oft durchlitten hatte.

      Aber es war schon besser geworden. Die Anfälle waren nicht mehr so häufig und vor allem nicht mehr so lang. Doch Berringer gab sich keinen Illusionen hin, was die Zukunft betraf. Und sein Psychiater im Übrigen auch nicht. Es dauerte eben einige Zeit, bis man es verarbeitet hatte, dass die eigene Familie durch eine Autobombe aus dem Leben gerissen wurde. Einfach so. Und weg!

      Sein Psychiater hatte ihm gesagt, dass er mit bescheidenen Erfolgen zufrieden sein müsse. Berringer hatte sich selbst auf diesem Gebiet fortgebildet und festgestellt, dass der Mann Recht hatte. Andere Traumatisierte verloren den Verstand und wurden geisteskrank. Das war ihm erspart geblieben. Also konnte er doch eigentlich ganz zufrieden sein.

      Zufrieden ...

      Ein Wort, das Berringer in diesem Zusammenhang irgendwie unpassend erschien.

      Er saß kerzengerade auf der Couch in seinem Wohnzimmer auf der NAMENLOSEN, die ihren festen Liegeplatz im Düsseldorfer Hafen hatte. Die NAMENLOSE war ein ehemaliger Binnenfrachter, den Berringer sich in jahrelanger und mühevoller Kleinarbeit zum Hausboot umfunktioniert hatte. Natürlich war er immer noch nicht fertig. Wer ihn kannte wusste, dass dies auch in Zukunft nie der Fall sein würde. Ein ewiges Projekt.

      Durch die Bullaugen, die Berringer nachträglich hatte einsetzen lassen – erst hatte er es selbst versucht und dann erkannt, dass es doch besser war, jemanden zu fragen, der auch etwas davon verstand! – sah er einen lang gezogenen Frachter daher fahren.

      Wahrscheinlich Richtung Duisburg. Alles, was schwimmen konnte, schipperte nach Duisburg, dem größten Binnenhafen Europas. Im Vergleich dazu war der Düsseldorfer Hafen nahezu unbedeutend.

      Ein Signal ertönte.

      Für Berringer bedeutete dieser Ton die endgültige Rückkehr in die Gegenwart.

      Er sah Vanessa an.

      „Was machst du hier eigentlich?“, fragte er.

      „Eigentlich wäre ich heute im Büro, das ist richtig.“

      „Und warum bist du da nicht?“

      „Weil wir einen Klienten haben, den ich erstmal shoppen schickten musste, um hier raus zu fahren und dich aus deinem Dämmerzustand zu erlösen! Warum hast du dein Handy nicht abgenommen?“

      „Weil es nicht geklingelt hat!“

      „Hat es!“

      Es lag auf einer Kommode. Vanessa nahm es und reichte es Berringer. Auf dem Display stand: Vier Anrufe in Abwesenheit.

      Berringer erhob sich von der Couch und streckte sich. Er trug ein fleckiges Sweatshirt und eine Jeans. Das Haar ging schon deutlich zurück, und der Bart hatte graue Stellen.

      „Robert, was war los?“, beharrte sie. „Wenn ich nicht wüsste, dass du total gegen so etwas eingestellt bist, dann würde ich jetzt denken, du nimmst vielleicht Drogen oder so was...“

      „Ich bin manchmal so“, sagte er. „Und ich lasse es behandeln. Wenn mich nicht jemand in meinen eigenen vier Wänden überrascht, dann bekommt das normalerweise auch niemand mit ...“

      Was er nur nicht garantieren konnte, wie ihm die vom Widerspruchsgeist geprägte Stimme in seinem Hinterkopf erklärte. Es konnte immer und überall passieren, wenn die Auslöser – die sogenannten Trigger - vorhanden waren. Das wusste er sehr gut.

      „Ich habe es unter Kontrolle“, behauptete Berringer.

      Sagte er das, um dich selbst zu beruhigen oder um Vanessa etwas vorzumachen?

      Letztere konnte er vielleicht belügen. Aber sich selbst konnte er nichts vormachen.

      „Es sah sehr gefährlich aus“, sagte sie.

      „Das ist es aber nicht. Und im Übrigen ist dieses Schiff eigentlich für jeden Außenstehenden ein Tabu-Gebiet. Was glaubst du, weswegen ich ein Büro habe?“

      „Ich bin eine Außenstehende?“, wunderte sich Vanessa und zuckte mit den Schultern.

      „Du bezahlst mich, deswegen bist du auch der Boss. Dein Wort ist Gesetz, und wenn du das so siehst, soll es mir recht sein.“

      „Nimm es nicht persönlich, aber ...“ Berringer sprach nicht weiter.

      Vanessa nutzte die Pause, um das Gespräch auf ein Thema zu lenken, das ihr unter den Nägeln brannte. „Zieh dir was Vernünftiges an. Der Mann, der bisher vergeblich unser Klient werden wollte, ist sehr stilvoll gekleidet. Wegen unserem Büro hat er schon ganz komisch aus der Wäsche geguckt! Ich habe dir ja von Anfang an gesagt, dass du mal etwas Geld für eine saubere Tapete investieren solltest. Manche Kunden legen nämlich Wert auf so was!“

      „Ich kann nur eins bezahlen: Die Tapete oder dich.“ Sie grinste schelmisch. „Dann will ich nichts gesagt haben. Vielleicht wird dieser fleckige Retro-Look aus den Siebzigern irgendwann wieder modern, und dann kann man jedem erzählen, dass die getrockneten Wasserschäden auf den Blumenmotiven in Wahrheit ein gewollter Aquarell-Effekt sind.“

      „Du solltest in die Werbung gehen“, meinte Berringer. „Oder in die Politik.“ Sie runzelte die Stirn. „Wieso?“

      „Na, wer fleckige Tapete zum Design definieren kann, der kann alles verkaufen!“ Schon drei Jahre betrieb Berringer die Detektei. Er hatte sie gleich nach seinem freiwilligen Ausscheiden aus dem Polizeidienst gegründet. Nach dem Tod seiner Familie war es ihm unmöglich gewesen, einfach so weiterzumachen, als wäre nichts gewesen. Er hatte sein Leben damals neu erfinden müssen, und manchmal konnte er immer noch nicht glauben, dass es dieses Attentat auf seine Familie tatsächlich gegeben hatte. Wenn er die Augen schloss und schlief, hoffte er insgeheim, dass ihn jemand weckte und darauf hinwies, dass alles nichts weiter als ein böser Traum war.

      Aber so ging das nicht.

      Berringer wusste es selbst am besten.

      „Hat dieser Kunde dir gesagt, worum es geht?“, fragte Berringer.

      „Als ob du da wählerisch sein könntest!“

      „Ich frage ja nur.“

      „Dieser Mann wollte den Chef persönlich sprechen“, berichtete Vanessa. „Davon war er nicht abzubringen.“

      „Was hast du ihm gesagt?“, fragte der Detektiv.

      „Dass du bei einem wichtigen Einsatz bist, der sich etwas verzögert hat ...“ Berringer schmunzelte. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Blick wirkte deutlich entspannter als zuvor.

      „Eine gute Ausrede. Die solltest du dir merken.“

      „Der Mann hat Geld. Glaub mir, ich habe einen sechsten Sinn dafür. Bis ins kleinste Detail ist er sehr stilvoll gekleidet, und die Rolex an seinem Handgelenk habe ich auch nicht übersehen.“

      „Fahr schon mal zurück. Ich komme dann nach“, sagte er.

      Aber sie machte keinerlei Anstalten zu gehen.

      Vanessa musterte Berringer einige Augenblicke stirnrunzelnd.

      Berringer stutzte. „Was ist los? Stimmt was mit mir nicht – abgesehen davon, dass mein Sweatshirt wahrscheinlich im


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