H. G. Wells – Gesammelte Werke. Herbert George Wells

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H. G. Wells – Gesammelte Werke - Herbert George Wells


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war ich jung, und mei­ne Ju­gend nahm un­ter an­de­ren ta­delns­wer­ten For­men die ei­nes Stol­zes auf mei­ne ge­schäft­li­chen Fä­hig­kei­ten an. Ich bin noch im­mer jung an Jah­ren, aber die Din­ge, die mir wi­der­fah­ren sind, ha­ben et­was von der Ju­gend aus mei­nem Geis­te fort­ge­trie­ben. Ob sie dar­un­ter ir­gend­wel­che Weis­heit ans Licht ge­bracht ha­ben, das ist we­ni­ger zwei­fel­los.

      Es ist kaum nö­tig, im ein­zel­nen auf die Spe­ku­la­tio­nen ein­zu­ge­hen, die mich zu Lym­pne in Kent lan­de­ten. Heut­zu­ta­ge hängt selbst um Ge­schäfts­un­ter­neh­mun­gen ein star­ker Schein des Aben­teu­ers. Ich ris­kier­te et­was. In die­sen Din­gen han­delt es sich un­wei­ger­lich um eine ge­wis­se Men­ge von Ge­ben und Neh­men, und schließ­lich fiel mir das Ge­ben zu. Ich tat es wi­der­stre­bend ge­nug. Selbst als ich aus al­lem her­aus war, hielt es ein wi­der­haa­ri­ger Gläu­bi­ger für an­ge­bracht, bös­wil­lig zu sein. Vi­el­leicht ist Ih­nen ein­mal je­nes flam­men­de Ge­fühl ver­letz­ter Tu­gend be­geg­net, oder viel­leicht ha­ben Sie es nur ge­fühlt. Er jag­te mich scharf. Mir schi­en zu­letzt, mir blieb nichts wei­ter üb­rig, als ein Dra­ma zu schrei­ben, wenn ich mich nicht als Hand­lungs­ge­hil­fe um mei­nen Le­bens­un­ter­halt pla­gen woll­te. Ich habe eine ge­wis­se Fan­ta­sie und lu­xu­ri­öse An­la­gen, und ich ge­dach­te, kräf­tig dar­um zu kämp­fen, ehe mich je­nes Schick­sal fass­te. Au­ßer mei­nem Glau­ben an mei­ne Ta­len­te als Ge­schäfts­mann hat­te ich in je­nen Ta­gen stets die Vor­stel­lung ge­habt, ich sei im­stan­de, ein sehr gu­tes Dra­ma zu schrei­ben. Ich glau­be, die­se Über­zeu­gung ist nicht sehr un­ge­wöhn­lich. Ich wuss­te, au­ßer le­gi­ti­men Ge­schäftss­pe­ku­la­tio­nen hat nichts so üp­pi­ge Mög­lich­kei­ten, und sehr wahr­schein­lich be­ein­fluss­te das mei­ne Mei­nung.

      Wenn je­mand Ein­sam­keit sucht, so ist si­cher­lich Lym­pne der Ort. Es liegt im Lehm­teil von Kent, und mein Häu­schen stand auf dem Ran­de ei­ner al­ten Mee­res­klip­pe und blick­te über die Mar­sche­be­ne von Rom­ney aufs Meer hin­aus. Bei sehr nas­sem Wet­ter ist der Ort fast un­zu­gäng­lich, und ich habe ge­hört, der Post­bo­te gehe zu­zei­ten die saf­ti­ge­ren Tei­le sei­ner Stra­ße mit Bret­tern an den Fü­ßen. Ich habe es nie ge­se­hen, aber ich kann es mir ganz gut vor­stel­len. Vor den Tü­ren der we­ni­gen Hüt­ten und Häu­ser, die das ge­gen­wär­ti­ge Dorf aus­ma­chen, ste­cken große Bir­ken­be­sen, mit de­nen man den schlimms­ten Lehm ab­fegt, was eine un­ge­fäh­re Vor­stel­lung von der Be­schaf­fen­heit des Distrikts ge­ben wird. Ich zweifle, ob der Ort über­haupt vor­han­den sein wür­de, wenn er nicht eine ver­blas­sen­de Erin­ne­rung an auf ewig ver­gan­ge­ne Din­ge wäre. Er war zu rö­mi­schen Zei­ten der große Ha­fen Eng­lands, Por­tus Le­ma­nus, und jetzt ist das Meer vier Mei­len ent­fernt. Den gan­zen stei­len Hü­gel hin­un­ter fin­det man Ge­röll und Mas­sen rö­mi­scher Zie­gel, und von ihm aus springt die alte Wat­ling Street, stel­len­wei­se noch ge­pflas­tert, wie ein Pfeil nach Nor­den. Ich stand oft auf dem Hü­gel und dach­te an all das, die Ga­lee­ren und Le­gio­nen, die Ge­fan­ge­nen und Of­fi­zie­re, die Spe­ku­lan­ten wie mich, den gan­zen Schwarm und Tu­mult, der im Ha­fen ein und aus ras­sel­te. Und jetzt ge­ra­de noch ein paar Hau­fen Ge­röll auf ei­nem Gras­hang, ein oder zwei Scha­fe – und ich! Und wo der Ha­fen ge­we­sen war, la­gen die Marsch­flä­chen, die sich rings in wei­ter Kur­ve bis zum fer­nen Dun­ge­neß her­um­schwan­gen und hier und dort mit drei Bäu­men und dem Kirch­turm mit­tel­al­ter­li­cher Städ­te ge­spren­kelt wa­ren, die jetzt Le­ma­nus in das Ver­lö­schen folg­ten.

      Je­ner Aus­blick auf die Marsch war denn auch eine der schöns­ten Aus­sich­ten, die ich je ge­se­hen habe. Ich glau­be, Dun­ge­neß war fünf­zehn Mei­len ent­fernt; es lag wie ein Floß auf dem Mee­re, und wei­ter nach Wes­ten hin la­gen die Hü­gel von Has­tings un­ter der un­ter­ge­hen­den Son­ne. Bis­wei­len hin­gen sie nah und klar, bis­wei­len schie­nen sie blass und nied­rig, und oft ver­barg der Zug des Wet­ters sie dem Auge ganz. Und all die nä­he­ren Tei­le der Marsch wa­ren von Grä­ben und Kanä­len durch­zo­gen und er­hellt.

      Das Fens­ter, an dem ich ar­bei­te­te, über­blick­te den Ho­ri­zont die­ses Kam­mes, und von die­sem Fens­ter aus kam mir Ca­vor zu­erst vor die Au­gen. Ich rang ge­ra­de mit mei­nem Sze­na­ri­um und hielt mei­nen Geist an die blo­ße, har­te Ar­beit dar­an nie­der­ge­drückt, und na­tür­lich ge­nug stör­te er mei­ne Auf­merk­sam­keit.

      Die Son­ne war un­ter­ge­gan­gen, der Him­mel war eine leb­haf­te Ruhe von Grüns und Gelbs, und ge­gen ihn tauch­te er schwarz auf – die son­der­bars­te klei­ne Ge­stalt.

      Er war ein kur­z­er, rund­lei­bi­ger, dünn­bei­ni­ger klei­ner Mann mit et­was Ruck­wei­sem in sei­nen Be­we­gun­gen; er hat­te es für an­ge­bracht ge­hal­ten, sei­ne au­ßer­or­dent­li­che See­le in eine Kricket­müt­ze, einen Über­rock und Rad­fahr­ho­se und -St­rümp­fe zu klei­den. Wa­rum er das tat, weiß ich nicht, denn er fuhr nie Rad und spiel­te nie Kricket. Es war ein zu­fäl­li­ges Zu­sam­men­tref­fen von Klei­dungs­stücken, das sich, ich weiß nicht wie, er­ge­ben hat­te. Er ges­ti­ku­lier­te mit den Hän­den und Ar­men, warf sei­nen Kopf um­her und summ­te. Er summ­te wie et­was Elek­tri­sches. Nie hat man so ein Sum­men ge­hört. Und von Zeit zu Zeit räus­per­te er sich mit ganz au­ßer­or­dent­li­chem Lärm.

      Es war Re­gen ge­fal­len, und je­nes, sein krampf­haf­tes Ge­hen, wur­de noch durch die äu­ßers­te Schlüpf­rig­keit des Fuß­pfads ver­stärkt. Genau, als er vor die Rich­tung der Son­ne kam, mach­te er Halt, zog eine Uhr her­aus, zö­ger­te. Dann mach­te er mit ei­ner Art krampf­haf­ter Ges­te kehrt und zog sich mit je­dem Zei­chen der Eile zu­rück; er ges­ti­ku­lier­te nicht mehr, son­dern ging mit wei­ten Schrit­ten, die das re­la­tiv große For­mat sei­ner Füße – sie wur­den, wie ich mich er­in­ne­re, im For­mat durch an­haf­ten­den Lehm gro­tesk über­trie­ben – so vor­teil­haft wie nur mög­lich zeig­ten.

      Dies ge­sch­ah am ers­ten Tage mei­nes Auf­ent­halts, als mei­ne Dra­men­schrei­be-Ener­gie auf ih­rer Höhe stand, und ich be­trach­te­te den Zwi­schen­fall nur als eine är­ger­li­che Ablen­kung – die Ver­schwen­dung von fünf Mi­nu­ten. Ich kehr­te zu mei­nem Sze­na­ri­um zu­rück. Aber als sich die Er­schei­nung am Abend dar­auf mit merk­wür­di­ger Prä­zi­si­on wie­der­hol­te, und so­gar je­den Abend,


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